Kapitel 19

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- Emma -

Mein Instinkt sagte mir, ich sollte meine Hand umgehend wegziehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich war unfähig irgendetwas zu machen. Meine Augen waren weit aufgerissen, ich starrte auf die Leinwand, ohne mitzubekommen, was im Film passierte. Mein Puls hatte sich beschleunigt und war auf einem Niveau angekommen, wie nach einem Marathonlauf. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Sollte ich seinen Druck erwidern? Sollte ich meine Hand wegziehen? Egal was ich machte, es wäre die falsche Entscheidung. Ich konnte es nicht richtig machen. Es gab kein richtig und kein falsch. Nein, ich würde einfach so tun, als würde ich nichts merken und ließ mir nicht anmerken, wie sehr es mich aufwühlte, dass er meine Hand ergriffen hatte. Vielleicht hatte er es nicht absichtlich gemacht. Vielleicht war es ein Reflex, dass er die Hand seiner Freundin ergriff, wenn sie im Kino waren und er merkte nicht, dass er es getan hatte. Menschen taten die seltsamsten Dinge, wenn sie es aus Reflex machten. Ja, das musste es sein. Es war keine Absicht, sondern ein Versehen. Ganz sicher.

Meine Atmung setzte wieder ein, meine Augen verkleinerten sich und ich begann damit, mich zu entspannen. Irgendwie zumindest. Dennoch verspürte ich nach wie vor eine gewisse Anspannung in meinem Körper, die nicht von mir ablassen wollte. Wieder verkrampfte ich mich, als Harrys Daumen sich bewegte und über meinen fuhr. Eine Gänsehaut stellte sich auf und mein Puls beschleunigte sich wieder ins Unermessliche. Scheiße, ich musste hier raus. Ich wandte mich an Milena, teilte ihr mit, dass ich kurz auf die Toilette ging und sie brav sein sollte, bis ich wieder anwesend war. Mit ihrem Blick auf die Leinwand gerichtet, nickte sie mir zu. Ich entriss meine Hand der von Harry, schnappte meine Tasche und verschwand so schnell ich konnte aus dem Kinosaal.

Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Ich wollte nicht weit laufen, also lehnte ich mich an der gegenüberliegenden Wand an und atmete mehrfach tief ein und aus. Da sich der Kinosaal in einer Nische befand, kam hier kaum einer vorbei. Nur die Menschen, die sich den Film ansahen, verliefen sich in diese Ecke des Kinos. Ich musste mich beherrschen. Alles war vollkommen normal. Ich bildete mir ein, dass Harry die Geste absichtlich gemacht hatte. Es war ein Reflex. Ganz sicher. Ich würde mir ein paar Atemzüge gönnen und im Anschluss zurückgehen. Es würde auffallen, wenn ich länger wegblieb, als eine Pinkelpause. Milena würde es nicht unbedingt merken, aber Harry sicherlich. Ich atmete ein letztes Mal tief ein und aus, bevor ich mich entschloss, den Rückweg anzutreten. In meinem Kopf hatte ich mir fest vorgenommen, mich von der Wand abzustoßen und durch die Tür mir gegenüber zu gehen. Doch meine Beine taten nicht das, was ich ihnen sagte. Sie waren festgewachsen und bewegten sich keinen Millimeter von der Stelle. Es war verhext, mein Kopf sagte mir, dass ich gehen sollte, aber mein Körper hörte nicht auf meine Worte. Als ob ich es geahnt hatte, öffnete sich die Tür und Harry trat heraus. Er sah mir direkt in die Augen. Hatte er tatsächlich die Kinder allein zurückgelassen?

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er mich. Ich antwortete ihm nicht, sondern sah ihn lediglich an. „Emma, ich fragte, ob alles in Ordnung ist? Du bist plötzlich aus dem Saal gerannt, als wärst du von Bienen gestochen worden.“

Warum machte er sich Sorgen um mich? Die letzten Tage hatte er sich nicht für mich interessiert, war mir aus dem Weg gegangen und hatte sich nicht gemeldet. Was sollte ich ihm antworten? Sollte ich ihm sagen, dass ich seinetwegen den Raum verlassen hatte, damit ich etwas Abstand zwischen uns bringen konnte? Nein. Ich musste etwas Glaubwürdiges erfinden.

„Ich brauchte etwas Luft. Da drinnen wurde mir schwindelig. Sorry, dass ich so schnell verschwunden bin.“

„Schwachsinn! Das glaube ich dir nicht.“ Verdammt, ich war aufgeflogen. „Emma, ich bitte dich, sag mir, was mit dir los ist?“

Wollte er wirklich wissen, was mit mir los war? Konnte er sich das nicht denken? Ich war verwirrt. Die letzten Tage konnte ich mich etwas sammeln und kaum sah ich ihn wieder, drehte sich meine Gedankenwelt fast nur noch um ihn. Erst küsste er mich, dann ignorierte er mich und nun hielt er Händchen mit mir? Was war los mit ihm? Er war verlobt, konnte aber dennoch nicht von mir ablassen.

Still The OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt