Kapitel 30

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- Harry -

Zum Abschluss des Tages fuhren wir eine Runde Riesenrad. Die Kleinen jubelten, nachdem sie erfahren hatten, dass sie damit fahren durften. Kaum war unsere Gondel in Sicht, sprangen sie von einem Bein auf das andere und warteten darauf, dass wir einsteigen durften. Sie rannten los, als uns das Signal gegeben wurde. Sie klebten an der Scheibe, nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten. Mit großen Augen betrachteten sie das Geschehen um uns herum. Sie leuchteten, als hätten wir Weihnachten und Santa Clause hätte ihnen Geschenke gebracht.


„Schau mal, Emma. Da drüben sind die Bullen, die wir beim Eingang gesehen haben. Und da ist der Streichelzoo, bei dem wir waren." Milenas Stimme war eine Oktave höher, als gewöhnlich. „Und da ist das Scooter, mit dem wir gefahren sind."


„Und da die Spielbuden. Können wir vielleicht nochmal Fische fangen?", fragte mein Neffe.


„Das musst du mit deinem Onkel besprechen. Er meinte, dass wir nach dieser Runde nach Hause fahren."


„Onkel Harry, ich möchte gerne Fische angeln. Können wir da nochmal hin?"


„Schauen wir mal, Dominic. Aktuell sitzen wir im Riesenrad", antwortete ich ihm.


„Au ja. Emma? Tauschst du mit mir den Platz? Ich mag neben Milena sitzen."


Dominic stand auf und quetschte sich auf den Platz von Emma, die nun gezwungen war, neben mir Platz zu nehmen. Es gefiel ihr nicht sonderlich, aber der Wunsch des Kindes ging vor. Steif saß sie neben mir und blickte stur zum Fenster hinaus. Ihren Rucksack hielt sie fest umklammert. Ich hatte das Gefühl, dass sie absichtlich etwas von mir weggerutscht war, um nicht in meiner Nähe zu sein. Als die Gondel kurz stehen blieb und dadurch leicht ins Wanken geriet, nutzte ich meine Chance und rückte näher zu ihr. Ich tat so, als wäre es durch das Ruckeln geschehen. Ich wusste, dass es ihr nicht gefiel, dennoch tat ich es. Dieser Streit machte uns beide noch fertig und wir wussten, dass wir noch häufiger aufeinandertreffen würden, solange ich in Kanada war und die Eishockey-Saison Pause hatte.


„Sorry!", sagte ich, als ob ich es nicht mit Absicht getan hätte.


Ihre grünen Augen fixierten mich. Ich hatte mit Abscheu oder Ablehnung gerechnet, aber keines war der Fall. Ihre Augen strahlten Neutralität aus. Vorhin hätte sie mich am liebsten tot gesehen und nun war es ihr egal, dass ich ihr nahe kam. Ich verstand sie nicht. Ich fragte mich, ob ich weitergehen sollte, als bisher. Sollte ich den Trick des Kinos wiederholen? Sollte ich einfach ihre Hand ergreifen und schauen, wie sie reagierte? Was sprach dafür? Was dagegen? Ehe ich mir die Frage beantworten konnte, stoppte unsere Gondel und wurde geöffnet. Die Fahrt war beendet.



„Mommy! Mommy, da war so viel zu sehen, zu fahren und zu spielen. Wir müssen dir so viel erzählen", japsten die Kinder Gemma an, als wir zu Hause ankamen.


„Jederzeit, aber jetzt zieht euch erst mal um und geht vorher bitte duschen oder baden. Ich bereite in der Zeit das Essen vor. Emma würdest du bitte?"


Emma nickte meiner Schwester zu, nahm Dominic und Milena bei der Hand und verschwand mit ihnen im ersten Stock.


Kaum waren sie außer Sicht- und Hörweite, legte meine Schwester los.


„So, mein Bruder! Da wir jetzt allein sind, will ich ganz genau wissen, was zwischen Emma und dir vorgefallen ist. Ich will keine Ausflüchte, Ausreden oder Lügen hören. Ich bin nicht dämlich und sehe, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst."


Da hatten wir den Salat. Der Streit am Morgen hatte die Signale meiner Schwester auf scharf gestellt. Sie hatte sich heute Morgen noch bedeckt gehalten und feuerte nun ihre Munition ab. Gemma war nicht auf den Kopf gefallen und hatte festgestellt, dass sich zwischen Emma und mir etwas verändert hatte. Sie hatte uns ganz genau beobachtet, war lange ruhig geblieben, bevor sie ihren Mund aufmachte und sich einmischte. Das war die Art meiner Schwester. Wenn sie sich einmischte, dann ordentlich. Sie ließ dich nicht mehr los, bis du ihr die Wahrheit sagtest. Doch konnte ich ihr die Wahrheit sagen? Heute Mittag hatte ich noch überlegt, jemanden einzuweihen, abgesehen von meinen Freunden, und darüber zu sprechen. Ich hatte bereits an meine Schwester gedacht, aber nicht so schnell. Ich wollte in einer ruhigen Minute mit ihr sprechen und nicht dann, wenn die Kinder und Emma im Haus waren. Gab es überhaupt eine ruhige Minute im Haus Mlynowski?

Still The OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt