Mord im Mondschein

37. Linus

Im Eiltempo preschte Solgaleo über die nassen Steine in die Höhle des Kapus. Drinnen stand Hapu'u und starrte das Totem von Kapu-Kime mit leerem Blick an.
"Es ist nicht hier."
Sie deutete auf die Statue.
"Die Kapus haben uns verlassen."
Die sonst bunte Skulptur war rabenschwarz geworden.
"Für keinen von uns besteht noch Hoffnung."
Lillys tellergroße Augen, zogen sich mit einem Mal wütend zusammen.
"Also war es das jetzt? Du gibst auf?"
Sie zischte verächtlich.
"Ich hätte dich ja für vieles gehalten, aber nie für einen Feigling. Die Kapus haben immer über uns gewacht und jetzt, wo sie Hilfe benötigen, wirfst du das Handtuch?"
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, lenkte Lilly Solgaleo wieder aus der Höhle heraus.
"Gehen wir nach Lili'i. Wir brauchen jetzt jede Unterstützung, die wir kriegen können."
Gary der bis jetzt geschwiegen hatte, blickte nachdenklich nach oben.
"Meinst du, Azura und dein Bruder kommen zum Kampf?"
Lilly ließ die Schultern hängen.
"Ich hoffe es auf jeden Fall."

In Lili'i waren gerade die letzten, protestierenden Kinder in Sicherheit gebracht worden. Anweisungen wurden durcheinander gebrüllt und selbst die Inselkönige hatten es aufgegeben, für Ordnung sorgen zu wollen. Einige Bewohner waren verzweifelt. Nicht wenige hielten ihre Pokémon nur als Haustiere. Diese konnten dann zwar im Haushalt helfen, waren jedoch für einem richtigen Pokémonkampf viel zu untrainiert. Viele sorgten sich um ihre Pokémon. Doch wenn sie kampflos aufgaben, erwartete sie ein weitaus schlimmeres Schicksal. Linus, Hala und Mayla standen am Rande des Geschehens. Um ihre Pokémon brauchten sie sich ebenso wenig Sorgen machen, wie die Captains und die Top Vier. Linus sah die anderen zuversichtlich an.
"Ich habe mit Yasu viel trainiert. Ich bin sicher wir können Kirsch schlagen."
Mayla nickte müde.
"Das wäre schön. Unsere Chancen würden besser stehen, wenn der Champion und das Lichttrio uns beistehen würden."
Sie sah Linus fest in die Augen.
"Du bist der jüngste von uns. Wenn wir Kirsch später angreifen, will ich, dass du ihn so weit weg wie möglich lockst. Ohne seine Armee hast du vielleicht eine Chance gegen ihn."
Linus nickte und wollte noch etwas erwidern, als ein ohrenbetäubendes Dröhnen ihn zusammenfahren ließ. Es war bereits dunkel und so erkannten sie nicht auf Anhieb, was sich aus den schwarzen Wolken näherte.
"Das ist ein Luftschiff!"
Der Aufschrei war aus der Menge gekommen, doch auch die Inselkönige konnten das Monstrum von Flugobjekt nun ausmachen. Linus schwang sich auf sein Tauboss.
"Ich versuche reinzugehen."
Bevor Mayla Einspruch erheben konnte, war er schon in der Luft. Immer näher kam er dem Schiff. Gerade als er nur noch wenige Meter entfernt war, öffneten sich um ihn herum Klappen. Sein Tauboss bäumte sich erschrocken auf. Nur mit Mühe hielt sich Linus fest und musste entsetzt mit ansehen, wie gepanzerte Pokémon auf die Dorfbewohner geschleudert wurden.
"Sofort aufhören!"
Sein Befehl wurde natürlich ignoriert. Dafür hatte er jetzt aber Zugang zum Luftschiff. Mit einem letzten Blick nach unten, auf die begonnene Schlacht, sprang er von seinem Pokémon in den frisch geöffneten Schacht.

Im Inneren des Metallungetüms war es stockfinster. Mit einer Hand fischte er einen Pokéball aus seiner Hosentasche und rief sein Flamara zu sich. Ängstlich sah das Pokémon sich in dem dunklen Raum um. Linus streichelte ihm beruhigend den Kopf.
"Kannst du mir den Weg leuchten?"
Das Feuerpokémon sah sich noch einmal beunruhigt um. Dann plusterte es seinen Fellkragen auf, welcher daraufhin zu Leuchten begann. Linus lobte seinen Freund.
"Super, danke Flamara."
Gemeinsam drangen sie weiter in das Innere des finsteren Luftschiffs vor. Dann sah Linus etwas, was ihm seine Hoffnung um einiges realistischer erscheinen ließ. Es war eine Außenwand des Luftschiffs, welche offenbar nur aus Segeltuch bestand und über ein Metallskelett gezogen worden war. Linus' Gesicht hellte sich, entgegen seiner eigentlichen Stimmung, ein klein wenig auf.
"Das ist ein Zeppelin!"
Flamara teilte seine Begeisterung nicht. Zitternd hatte es sein leuchtendes Nackenfell gesträubt. Linus redete unbeirrt weiter.
"Wenn wir in die Außenwand ein Loch machen könnten, würde der Zeppelin abstürzen."
Er hielt inne.
"Aber wenn er hier abstürzt, trifft er die Dorfbewohner."
Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. Dann packte er Flamara zurück in seinen Ball, rannte zurück zu dem Schacht und streckte den Kopf nach draußen. Sein Tauboss flog immer noch unter dem Schacht seine Kreise und wartete auf die Rückkehr seines Trainers. Erleichtert stieß Linus einen leisen Pfiff aus. Sofort sah das Pokémon zu ihm auf und fing ihn sicher, als er aus dem Luftschiff sprang.