21. Engelsgeduld

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Nach dem Vorfall vor dem Hotel hatte Lilly noch einige Zeit mit ihren Kollegen verbracht. Dann ging sie gemeinsam mit Gladio zurück zum Æther-Paradies, wo auch die anderen bereits eingetroffen waren. Während Gladio und Azura sich an dem Esstisch gegenüber saßen und aussahen, als würden sie gleich einen Nervenzusammenbruch erleiden, standen Tali und Nana mit ratlosen Gesichtern daneben. Lilly runzelte skeptisch die Stirn.
"Was ist denn bei euch los?"

Gladio und Azura erzählen den anderen von dem geheimen Labor. Tali riss entsetzt die Augen auf.
"Wie konnte das passieren, ohne dass wir etwas mitbekommen haben?"
Azura schüttelte nur den Kopf.
"Die Wildnis von Poni ist groß. Es ist unmöglich alles mitzubekommen, was dort vor sich geht."
Gladio fuhr fort.
"Es wird noch besser."
Als seine Schwester fragend den Kopf schief legte, fing er wieder an seine Haare zu raufen.
"Die Professoren! Einer interessiert sich nur für Dittos, welche zufällig die einzigen Pokémon in diesem Labor waren. Dann sein ehemalig kriminell aktiver Assistent, der Maschinen mit Pokémon baut. Nicht zu vergessen die zwei Professoren mit dem sprechenden Mauzi, die vielleicht überhaupt keine Professoren sind. Überhaupt: Ein sprechendes Mauzi? Die machen bestimmt Pokémonversuche!"

Lilly schwieg beklommen. Es schien ihr merkwürdigerweise nicht besonders gut zu gefallen, dass ihr Bruder ihre Arbeitskollegen für Kriminelle hielt. Sie presste angespannt die Lippen aufeinander.
"Wir können das nicht mit Sicherheit sagen. Ich will nicht, dass du ihnen gegenüber unhöflich bist, bis wir handfeste Beweise haben. Und morgen früh fragen wir mal die Bewohner von Alola, ob sie etwas mitbekommen haben."

Damit konnten sich alle abfinden. Sie aßen noch gemeinsam zu Abend, dann verschwand jeder wieder auf sein Zimmer. Das hieß - fast alle. Lilly, welche gerade die Treppe zu ihrer Etage betreten wollte, wurde dabei von Gary aufgehalten.
"Können wir kurz reden?"
Sie drehte schnaubend den Kopf weg.
"Ich bin müde."
"Es dauert nicht lang."
Sie sagte nichts.
"Du bist sauer?"
Und zum ersten Mal, seit er sie kennengelernt hatte, riss ihr der Gedultsfaden. Ungewohnt hönisch fuhr sie ihn an.
"Wie kommst du nur darauf?"
Ihre Augen blitzten giftig.
"Also entweder du flirtest mit allen Mädchen, die uns über den Weg laufen, oder du lässt es bleiben. Aber du kannst nicht verlangen, dass ich stumm dabei zusehe und trotzdem deine feste Freundin bleibe."
Sie stockte.
"Oder als was auch immer du mich sonst siehst..." Gary, der sie aufgrund ihres kleinen Wutausbruchs mit tellergroßen Augen anstarrte, suchte fassungslos nach Worten.
"Ich... wusste nicht, dass dich das stört."
Die Forscherin sah aus, als würde sie ihm gleich den Hals umdrehen.
"Ist das dein Ernst?"
Gary schrumpfte regelrecht unter ihrem Blick zusammen. Sie hatte sich erneut herumgedreht, als er hinter ihr reumütig flüsterte.
"Es tut mir leid. Wirklich. Ich dachte nicht, dass du es Ernst meinst."
Als sie dieses Mal herumfuhr, musste er tatsächlich vor einem halbherzigen Schlag zurückweichen.
"Dass es MIR nicht ernst ist? Hast du keine Augen im Kopf oder hast du nur beschlossen, sie nicht zu benutzten? ICH bin nicht diejenige, die allem, was mir über den Weg läuft, schöne Augen macht. Ich bin nicht das Problem in dieser Beziehung!"
Gary entschuldige sich abermals.
"Ich kann das ändern. Ich verspreche es dir."
Lilly sah nicht überzeugt aus. Sanft nahm er ihre Hände in seine.
"Das mit uns kann funktionieren. Bitte. Lass uns nochmal von vorne anfangen."

Auch Tali schlief noch nicht. Er lag hellwach in dem Gästezimmer, das Gladio ihm zur Verfügung gestellt hatte. Silvarro saß neben ihm und lauschte aufmerksam dem, was sein Trainer ihm erzählte.
"Morgen teilen wir uns auf und befragen die Inselbewohner."
Dann, ohne Vorwarnung, vergrub er sein Gesicht grinsend in einem Kissen.
"Ich will mich auf den Fall konzentrieren. Ich weiß wie wichtig das ist. Aber wie soll das gehen, wenn Lilly gerade Streit mit Gary hat?"
Silvarro legte gurrend den Kopf schief.
"Na ja, ich meine, wenn die beiden sich trennen, ist das gut für mich."
Sein Lächeln verschwand.
"Sie ist sicher traurig. Ich sollte mich nicht darüber freuen."
Er rollte sich schwungvoll aus dem Bett.
"Sie hat vorhin bestimmt mit ihm Schluss gemacht. Ich sollte ihr jetzt meine Liebe gestehen, bevor sie es sich anders überlegt."
Sein Pokémon gab einen warnenden Laut von sich.
"Ich weiß, ich weiß. Aber noch eine Chance bekomme ich vielleicht nicht."

Mord im MondscheinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt