Kapitel 4 - Teil 1

16 3 0
                                    

„... ich bin mir nicht sicher, meine Fürstin." Mein Kopf dröhnt, so als wäre ich mit voller Wucht gegen eine Mauer gerannt. „Wir sind kurz davor, daran vorbeigekommen, da war noch alles unberührt. Wenig später hat sie die Falle dann ausgelöst." Ich will mich bewegen, doch sofort durchzuckt mich Schmerz. Ein gequältes Wimmern drängt sich aus meiner Kehle. Ich blinzle, versuche wieder zu Verstand zu kommen. Grashalme stechen gegen mein Gesicht und der Duft von Erde und Blut umhüllt mich. Wo bin ich? Bevor ich realisiere, was geschieht, packt mich jemand grob an meinen Armen und zieht mich hoch. Kurz wird mir wieder schwarz vor Augen und drohe wieder umzufallen, doch die Person neben mir lässt es nicht zu. Ich muss blinzeln, um die Dunkelheit zu vertreiben, die mich wieder mit sich reißen will. Dann erkenne ich eine Frau. „Bring sie ins Zelt." Aber bevor ich ihr ins Gesicht sehen kann, dreht sie sich schon um. Der Mann neben mir hält mich immer noch so fest, dass ich zwar nicht umfallen kann, aber auch nicht abhauen – falls ich dazu überhaupt noch in der Lage wäre. Er zwingt mich, der Frau zu folgen, indem er mich einfach weiterzieht. Ihr Rock aus dunkelgrauer Seide, dessen Stoff im Mondlicht glänzt und fast bis auf den Boden reicht, schwingt bei jedem ihrer Schritte. Obwohl er in einem schlichten Dunkelgrau ist, ist er keineswegs einfach; das erkenne ich selbst in dieser Dunkelheit. Dann schiebt die Frau den dunkeln Stoff eines Zeltes, das mir gar nicht aufgefallen ist, beiseite und tritt hinein. Ich folge ihr zwangsläufig, denn der Mann hinter mir lässt mir keine andere Wahl.

Der schwache Schein einer Öllampe erhellt das kleine Zelt.Ihr Licht flackert, so als würde selbst sie die Anspannung fühlen können. ImInnern befindet sich nur ein Tisch und zwei einfache Stühle, sonst ist esvollkommen leer und auch die Stoffwände sind nicht geschmückt. Die Fremde hatsich mittlerweile umgedreht und mustert mich mit ihren kalten Augen von Kopfbis Fuß. Braunrote Haare, manche Strähnen davon zu dünnen Zöpfen geflochten,umrahmen ihr helles, ebenmäßiges Gesicht und reichen bis unter ihre Brust. Ihrerestliche Kleidung ist ebenso aufwändig wie ihr Rock. Sie trägt eine weiße,langärmlige Bluse, die von einem Umhang, der um ihren schmalen Hals gebundenist und auf ihren Schultern liegt, verdeckt wird. Der Umhang reicht ihr nur biszur Taille und betont dadurch ihre weibliche Figur. In seinen Stoff sind dunkelblaueLinien eingearbeitet, die ein Muster bilden, das ich nicht erkennen kann. Der Mannhinter mir trägt mich halb zu einem der Stühle und zieht ihn zurück. Er lässtmich auf das harte Holz fallen. Mein Kopf dröhnt immer noch unablässig und ich ringedamit, bei klarem Verstand zu bleiben. Es ist, als würde ich das, was hiergeschieht, nur durch einen dichten Nebel wahrnehmen, so als wäre es nur einTraum, bei dem ich zuschaue, aber nicht eingreifen kann. „Wer hat dichgeschickt?" Ihre scharfe Stimme zerschneidet die Stille. Die Fremde hat ihrenMund zu einer dünnen Linie zusammengepresst und zwischen ihren Augenbrauenliegt eine kleine Falte, während sie auf mich herabblickt. Ich sage nichts,verstehe im ersten Moment gar nicht, dass die Frage an mich gerichtet ist. Dannüberkommt mich plötzlich Panik. Die Panik, die vorhin, als ich auf dem Boden zumir kam, ausgeblieben ist. Sie bricht über mich herein; wie eine Welle, sounerwartet, dass ich von ihr nach unten gezogen werde und mir die Luft zumAtmen fehlt. Wer soll mich hier her geschickt haben? Glauben sie etwa, ichgehöre zu den Skauk und würde sie verraten? Ich höre das sirrende Geräusch vonMetall und keinen Herzschlag später, fühle ich eine kalte Klinge an meinem Hals.„Antworte." Die Stimme des Mannes nur ein bedrohliches Knurren. Ich spüreseinen warmen Atem an meinem Ohr und wage es nicht mich zu bewegen. „Niemand", krächzeich wie von allein. „Lüge." Die Stimme des Mannes ist nun lauter. Der Druck anmeinen Hals wird stärker und ich presse mich so fest gegen die Lehne des Stuhlswie es nur geht. Ich wage es nicht einmal mehr zu atmen. Mein Herzschlag dröhntin meinen Ohren, wie ein warnendes Glockenläuten vor einem anstehendenGewitter. „Zurücktreten, Kommandant", befiehlt die Frau mit einem harten Tonund wirft ihm einen schneidenden Blick zu. Für einen Moment verharrt der Kommandantin seiner Position. Die scharfe Klinge an meinem Hals völlig reglos. Dann ziehter sie schnell zurück, aber bleibt direkt neben mir stehen, als würde er mirsagen wollen, dass er nur darauf wartet seine Waffe ein weiteres Maleinzusetzen. „Nun, die Wahrheit", richtet sich die Frau wieder an mich, „undich will mehr als nur ein Wort hören." Ihr Stimme hat nichts Warmes, ebensowenig wie ihr Gesicht. Ihre hervorstehenden Wagenknochen verleihen ihremAusdruck etwas Bedrohliches, das von ihren kalten, dunklen Augen noch betontwird. „Ich arbeite für meine Familie", ich entschließe mich dazu, die Wahrheitzu sagen, „ich habe hier Beeren gesammelt." Erst durch meine eigenen Worte erinnere ich mich wieder an die Beeren und blicke mich, wie automatisch nachmeinem Beutel um, doch ich kann ihn nirgends sehen. Kurz mustert sie mich, soals würde sie abschätzen, ob ich lüge. Dann wandert ihr Blick zum Kommandanten nebenmir. „In der Tasche waren einige Beutel mit Beeren, zwei kurze Seile und siehatte ein Messer dabei", erklärt dieser und plötzlich fällt mir etwas auf. Ichhabe nicht nur ein Messer dabei, sondern auch einen Dolch, aber diesen hat eranscheinend nicht bemerkt. Erleichterung – vielleicht aber auch etwas Hoffnung –überkommt mich. „Wenn ich meine Meinung dazu sagen darf, Fürstin", er verbeugtsich etwas und spricht weiter, „dann ist das alles eine Täuschung. Sie hat unsausspioniert und als sie verschwinden wollte, ist sie über unsere Fallegestolpert." Der Funke Hoffnung, der in mir entfacht ist, erlöscht in einem Mal,als ich den Titel der Frau vor mir höre. Fürstin. So wie die Ehefrau eines Clanfürsten.Mir stockt der Atem und jetzt sehe ich die Fremde zum ersten Mal wirklich. IhreKleider aus hochwertigem Stoff, die eleganten Verzierungen darauf und die imLicht glitzernden Steine in ihren Ohren ergeben plötzlich ein Bild – eines, daserschreckend schön und gleichzeitig furchteinflößend ist. Aber das kann dochnicht die Fürstin des Skauk Clans sein? Was sollte sie hier tun? Vielleichtirre ich mich auch und die Plünderer nutzen ebenfalls diese Titel – auch wennich immer dachte, dass sie eher an Wilde erinnern und nicht an hochrangigeClanmitglieder. „Und stimmt das?", wendet sich die Fürstin an mich unddurchbohrt mich mit ihrem Blick. Hastig schüttle ich meinen Kopf. „Nein, ich.. Esist die Wahrheit. Ich habe wirklich nur nach Essen gesucht", erkläre ich mich sofortund stolpere dabei über meine eigenen Worte. Die Fürstin bleibt stumm, mustertmich mit ihren berechnenden Augen, so als könne sie die Wahrheit von meinemGesicht ablesen. „Sie irren sich, Kommandant", sie atmet tief durch und wendetsich dem Kommandanten zu, „wenn Sie das Mädchen genau ansehen, werden Sie esverstehen." Kurz macht sich Erleichterung in mir breit, doch dann spricht sieweiter. „Trotzdem kann sie etwas gehört haben und wir können unsere Missionnicht gefährden. Der Krieg wäre vorbei, bevor er angefangen hat." WelcherKrieg? Ich verstehe nicht, worauf sie hinaus will, doch mir ist klar, dass alldas nichts Gutes heißen kann. „Nein, bitte, ich weiß gar nichts." Meine Stimmeist panisch, fast kreischend. Ich blicke die Fürstin direkt an, suche in ihrenAugen nach einem Funken Gnade. „Diese Möglichkeit besteht. Aber nun, da du michgesehen hast, ist es eigentlich völlig unerheblich, warum sich unsere Wegegekreuzt haben. Ich kann dir die Erinnerung daran nicht nehmen." Mit jedemihrer Worte wird mein Herzschlag schneller. Wo bin ich hier nur hineingeraten?„Ich erzähle niemanden davon", beharre ich und meine es sogar ehrlich. Mir istes egal, worum es hier geht, für mich zählt nur meine Familie. Die Mundwinkelder Fürstin heben sich leicht. Ein kaltes, mitleidiges Lächeln erscheint aufihren Lippen. „Darauf kann ich nicht vertrauen-" Bevor sie weiterspricht,unterbreche ich sie mit meinem Flehen: „Nein, bitte. Ich verspreche es. Bitte."Meine zuvor noch kreischende Stimme ist jetzt nur noch ein verzweifeltes Winseln.„Diese Wahl bleibt dir nicht, Mädchen", sie hebt ihre Stimme. Ihr Ton ist soscharf, dass mir jedes Wort im Hals stecken bleibt. „Natürlich könnte ich dirdie Zunge herausschneiden lassen, aber wer sagt mir, dass du nicht schreibenkannst? Oder es irgendwann lernst. Deshalb ist die einzige Wahl, die ich dirlassen kann, der Tod." Sie tritt einen Schritt näher. Kein Gefühl liegt in ihrerStimme; sie ist eisiger als ein Bergsee im Winter. Ein Schauder jagt übermeinen Rücken. Diesmal kommt kein Laut über meine Lippen, so sehr haben michihre Worte getroffen. Sie würden mich einfach so töten? Furcht durchflutetmeinen Geist und lähmt mich. Für einen kurzen Moment ist alles still. So als würde selbst der Wald außerhalb vom Zelt innehalten und warten, was als Nächstes passiert. „Nun gut. Ich glaube, du hast deine Entscheidung getroffen. Du wirst mit uns kommen und dann wird mein Gatte, Fürst Jalan der Dritte, darüber entscheiden, was mit dir geschehen wird." Sie wirft noch einen letzten Blick auf mich. „Wir brechen wie geplant auf. Du kümmerst dich darum, dass sie nicht flieht", befiehlt sie dem Kommandanten und verlässt das Zelt. „Jawohl, Fürstin", salutiert dieser noch bevor er sich in mein Blickfeld stellt und auf mich herab sieht. Falls er wirklich Kommandant in einem Clan ist, dann trägt er im Gegensatz zu allen restlichen Clanmitgliedern keine Hexagone, die seinen Rang preisgeben. Er ist vollständig in eine Ledermontur gekleidet, die keinerlei Verzierungen oder Farben aufweist, die mir einen Hinweis auf einen Clan geben würden. Während mich der Kommandant anweist, aufzustehen, kann ich an nichts anderes denken, als an den Namen, den die Fürstin erwähnt hat. Fürst Jalan der Dritte. Der Fürst des Skauk Clans heißt Drogan und nicht Jalan. Ich kenne diesen Namen nicht, aber grundsätzlich weiß ich auch nicht viel über die Clans; ich kenne weder die Namen von hochrangigen Mitgliedern noch ihr Aussehen. Ich weiß nur das, woran ich mich aus den Geschichten meines Großvaters erinnere – wobei ich mir dabei nicht einmal sicher bin, ob es wahr ist oder eben nur eine Geschichte für Kinder.

Ich stehe direkt vor dem Kommandanten, seine kantigen Züge sind steinhart. Ich muss meinen Kopf heben, um ihn ansehen zu können. Er hat kurze hellrote Haare und in derselben Farbe einen Bart, der einen Teil seines Halses verdeckt. „Umdrehen", befiehlt er mit eiskaltem Ton. Seine braunen Augen dabei auf mich fokussiert, so als würde ich ihn gleich angreifen. „Bitte, lasst mich gehen." Die Worte kommen einfach so über meine Lippen und mein Ton ist dabei so fehlend, dass ich mich selbst dafür hasse. Ich bin schwach, vollkommen wehrlos – genau wie die Kaninchen, welche ich erhofft habe zu fangen. Der Kommandant antwortet nicht, nur einer seiner Mundwinkel zuckt amüsiert. Dann packt mich an einer Hand und dreht mich so schnell um, dass ich mich nicht einmal wehren kann. Er greift nach meiner anderen Hand. Sofort schießt gleißender Schmerz von meinen Fingerspitzen durch meinen Körper und lässt jeden Widerstandsversuch in mir sofort erlöschen. Der Kommandant wickelt ein raues Seil um meine Handgelenke und zieht es so fest zu, dass ich aufwimmere. Bittere Hilflosigkeit liegt auf meiner Zunge. Ich kann nichts tun – jedenfalls jetzt nicht mehr. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? „Geh", befiehlt der Kommandant und versetzt mir einen leichten Stoß gegen meinen Rücken. Ich stolpere nach vorn, finde aber glücklicherweise mein Gleichgewicht, sodass ich nicht schon wieder hinfalle. 

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt