Kapitel 2 - Teil 2

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Wie immer spricht mein Vater mit den Kunden und versucht ihnen unsere Waren anzudrehen. Während ich einfach so daneben stehe und ihm zuschaue. Ich halte immer nach Dieben Ausschau, obwohl wir fast nie bestehlt werden. Hauptsächlich, weil unsere Waren nicht wertvoll genug sind, zu riskieren, von den Skauk erwischt zu werden. Mit der Zeit wird der Marktplatz immer voller. Unter der Sonne brodelt die Luft und die Hitze, nicht so drückt sie so schwer wie ein Sack Mehl auf mich herunter. Die lauten Rufe der Händler vermischen sich in meinen Ohren, einige sind in eine Art Singsang verfallen und bei ein paar wenigen klingt es sogar gut. Verschiedene Musiker lassen sich in unserer Nähe nieder und spielen mir unbekannte Instrumente, welche noch ungewöhnlichere Melodien erzeugen. Münzen wechseln klirrend ihren Besitzer und die Schritte unzähliger Menschen und Tiere klappern auf dem steinernen Untergrund. Irgendwann erreicht die Hitze ihren Höhepunkt. Schweiß fließt quälend langsam über meinen Rücken. Bei jedem Atemzug, den ich mache, brennt die trockene Luft mehr in meinen Lungen.„Nacron?" Ein Mann mit lumpigen Kleidern tritt an uns heran. Seine Haut ist braun, aber nicht so wie die meiner Familie; sie wirkt fahler, als hätte er versucht, seine Farbe wegzuwaschen. Den Rücken hat er so stark gekrümmt, dass ich größer bin als er und über ihn hinwegblicken kann. Seine Augen werden von den zahllosen Falten in seinem Gesicht zusammengedrückt. Den Blick hat er nur kurz auf meinen Vater gerichtet, danach fokussiert er die Tonschale mit dem getrockneten Nacrongras. „Eine Handvoll, vier Silbermünzen." Mein Vater setzt den Preis immer etwas höher an. Ungefragt greift der Fremde zum Tongefäß und hält es sich unter die Nase. Geräuschvoll zieht er den Duft ein und atmet tief aus. Seine Augen schließen sich für einen kleinen Moment und seine Gesichtszüge werden weicher. Er verharrt für einige Herzschläge in dieser Position und stellt die Schale dann an ihren Platz zurück. So schnell wie der entspannte Ausdruck auf seinem Gesicht erscheint, so schnell ist er auch wieder weg. „Ich nehme drei für zehn Silbermünzen." Seine Stimme ist kehlig, es klingt mehr wie das Krächzen eines verletzten Tieres, als das eines Mannes. Mit zehn Silbermünzen bezahlt er mehr, als mein Vater eigentlich verlangt. Aber selbst dieser Preis ist noch günstiger als bei anderen Ständen, weshalb das Nacron bei uns begehrt ist. Während er die Münzen hervorholt, entweicht ihm ein schleimiges Husten. Mit der Bezahlung überreicht er meinem Vater einen Lederbeutel, in welchem er das Nacrongras füllt. Der fremde Mann fixiert seine Hände, so als befürchte er, wir würden ihn betrügen. Doch er bleibt still; die üppigen Portionen, die mein Vater immer gibt – er würde nie jemanden betrügen – scheinen ihn zufriedenzustellen. Als ich wieder aufsehe, steckt zwischen seinen dünnen, von Falten umringten Lippen bereits ein hölzerner Stab. Nach außen hin wird er breiter und endet in einer kleinen Schale; eine Pfeife, wie mein Vater mir einmal erklärt hat. In kleinen Mengen Narcon entspannt die Muskeln und den Geist; es kann bei starken Schmerzen oder schlaflosen Nächten helfen. In größeren Mengen lässt es einen tief schlafen und wenn man zu viel davon nimmt, wacht man nie wieder auf. Eigentlich muss man daraus ein Öl herstellen, damit es seine Wirkung entfalten kann, aber in den Städten haben sie einen anderen Verwendungszweck dafür: sie nutzen es als Pfeifentabak. Ob man ein Öl daraus herstellt oder es raucht, soll laut meines Vaters wenig Unterschied machen. Während ich dem Mann nachsehe, wie er in die Gasse neben uns verschwindet, empfinde ich unweigerlich Mitleid, das mit einer Spur Ekel vergiftet ist. Nun erkenne ich auch die offensichtlichen Anzeichen. Die dunklen Ringe unter den Augen, das unerbittliche Husten und die faltige Haut sind eindeutige Spuren des Narcons, wie die Räder eines schweren Karrens, hinterlässt es eine Spur bei den Menschen. „Stoffe aus Myrandola, so weich wie die Haut Ihres Kindes!" Ein Händler zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich schmunzle bei seinen Worten, es scheint mir nicht das beste Verkaufsargument zu sein. Myrandola ist die Region des Mynua Clans, der Clan, der alle Regionen und die dazugehörigen Clans zum Königreich Krynia vereint hat und seitdem über alle Menschen herrscht. Die Region des Mynua Clans ist bekannt für die seidenweichen Stoffe, aufwändige Kleider und außergewöhnliche Stickereien. Jeder mit genug Münzen in den Taschen trägt die Mode aus Myrandola. Es sollte relativ klar sein, dass ich so einen Stoff noch nicht einmal berührt habe. Mein Großvater – bevor er meine Großmutter kennengelernt hat – war einst ein Händler und hat mir früher immer die fantastischsten Geschichten aus ganz Krynia erzählt, auch von den atemberaubenden Kleidern aus Myrandola. Er meinte, das wäre auch ganz logisch, denn keinem anderen Clan ist das äußere Erscheinungsbild so wichtig wie den Mynua. Vielleicht liegt es daran, dass die Mynua die Kräfte von Lessuro, dem Gott des Geistes, haben. Sie haben die göttlichen Kräfte, dein Innerstes zu sehen; manche sehen und steuern deine Gefühle, während sich andere in deine Träume schleichen können. Dieser Clan ist mir – mit den Skauk, denn sie sind für all unser Leid verantwortlich – der wahrscheinlich unliebste. Während die blaue Farbe des Himmels langsam verblasst und gelben Licht Platz macht, füllt sich auch der Marktplatz wieder. Junge und alte Männer, ihre Kleidung mit dunklen Flecken übersät, laufen an unserem Stand vorbei. Schichtende in den Bergwerken. So wie überall in Grakok befinden sich auch in der Nähe von Meranthis zahllose Bergwerke. Einige davon auch Arbeitslager, aber die Menschen dort kommen am Abend nicht in die Stadt zurück. Sie sind Gefangene, die ihre Schuld am Königreich abarbeiten müssen. Die vollen Geldbeutel der Männer schwanken an ihren Gürteln. Viele ältere Männer halten an unserem Stand an, hauptsächlich um Narcon zu kaufen. Manche von ihnen grüßen meinen Vater sogar und sie wechseln ein paar Worte, woraufhin sich sein Blick jedes Mal verdüstert. Aber ich bin nie nah genug, um ihre Worte zu hören. Vielleicht liegt es auch daran, dass es mit den Menschen auch zunehmend lauter wird. Straßenmusiker versuchen einander zu übertönen, um die Massen auf sich zu lenken. Auch die Rufe der Händler passen sich der Lautstärke an und so bin ich umgeben von wildem Gekreische und abwechselnd schnellen und langsamen Melodien. 

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt