Kapitel 15 - Teil 2

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Als der General gefolgt von Zeran zurückkehrt, weiß ich, worüber sie gesprochen haben, ohne dass ich dabei war. Ich merke allein schon an den interessiert funkelnden Augen des Generals, dass ich der Mittelpunkt der Unterredung war. Er mustert mich aufmerksam und ein seltsames, beängstigendes Lächeln verzieht seine Mundwinkel.

„Setzt euch. Wir beginnen mit dem letzten Teil der Prüfung. Danach informiere ich euch über die weitere Vorgehensweise." Die Stimme des Generals lässt keinen Zweifel übrig, dass das ein Befehl war. „Jawohl, General", salutieren die Fünf gleichzeitig und setzen sich sofort in Bewegung. Ohne meinen Blick zu heben, gehe ich an dem breiten Körper des Generals vorbei. Ich kann deutlich spüren, dass er mich dabei unverhohlen anstarrt. Wahrscheinlich schmiedet er auch schon Pläne, was man mit dieser Gabe alles machen kann, unwissend, dass es sie gar nicht gibt.

Auf der halbkreisförmigen Tribüne haben sich nun alle Anwärter versammelt, nur ganz vorne an der Seite ist noch etwas Platz frei. „Setz dich hierhin." Caelan deutet zwischen sich und Phan. Seine angespannten Züge machen deutlich, dass er keine Widerworte zulässt, weshalb ich mich stumm zwischen die beiden Männer zwänge.

Die dicke Wolkendecke hat sich mittlerweile verzogen und die Nachmittagssonne scheint erbarmungslos auf uns herunter. Der General tritt vor die Tribüne. Seine Schritte sind langsam und während er bis in die Mitte läuft, lässt er seinen Blick genussvoll über die jungen, wartenden Männer schweifen. Ruhe kehrt ein; wie von selbst verstummt das leise Geflüster und alle Aufmerksamkeit richtet sich auf den General. Selbst als dieser in der Mitte stehen bleibt, beginnt er noch nicht gleich mit seiner Rede, sondern kostet den Moment aus, so viele Augen auf sich gerichtet zu haben.

„Ich bin General Revinger, führender General aus dem Mynua Clan" erhebt sich die Stimme des Generals, „ihr alle seid hier, weil ihr augenscheinlich nicht völlig unfähig seid." In seinem Ton liegt keine Freundlichkeit, keine Wärme und er strotzt nur so vor Arroganz. „Aber ihr seid noch lange nicht an eurem Ende. Ihr müsst lernen, was es bedeutet eine Gabe zu besitzen und ihr müsst euer Königreich damit verteidigen können", er hält kurz inne, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Und das könnt ihr nur, wenn sich einer der Götter zu euch und eurer Gabe bekennt. Sobald ich diese Rede beende, werdet ihr euch alle bei den Sophos eintragen lassen", der General deutet auf eine Gruppe von Männern in langen, weißen Roben, die mir zuvor noch gar nicht aufgefallen sind, „danach, sobald die Sonne untergeht, beginnt das Blutritual. Nur die, die sich in die Listen eintragen haben lassen, dürfen sich den Göttern präsentieren. Wenn ihr eine Gabe besitzt, werdet ihr einem Clan zugewiesen. Ab diesem Moment seit ihr keine Anwärter mehr, sondern Initianten. Wir haben aus jedem Clan hochrangige Generäle hier. Ihr versammelt euch nach eurem Blutritual bei eurem jeweiligen Clan und werdet später gemeinsam nach Salarya reisen, um eure Ausbildung zu beginnen." Die Worte lösen eine Welle an leisem Geflüster aus und die Luft knistert förmlich vor Vorfreude und Euphorie.

Nur ich kann an nichts anderes denken als meinen bevorstehenden Tod. Der Gedanke hat die ganze Nacht über Wurzeln geschlagen und sich so weit ausgebreitet, dass ich die Worte des Generals zwar hören kann, sie aber nur bruchstückhaft zu mir durchdringen.

„Nun gut, der Tag wird lang sein. Jeder Sophos ist für einen der Clans verantwortlich. Geht zu dem, der das Zeichen des Clans trägt, zu welchem ihr glaubt zu gehören. Ich erwarte Disziplin und kein Chaos." Mit diesen Worten beendet der General seine Rede. Sobald er wieder an der Seite steht und mit erwartenden Blick in die noch regungslose Menge sieht, springen die Männer auf. Während sie eine Reihe vor den Gelehrten bilden, erheben sich ihre Stimmen allmählich wieder und euphorisches Getuschel wird laut.

Auch meine fünf Entführer sind aufgestanden und steuern nun einen Sophos an, hinter welchem sich eine dunkelviolette Fahne mit einem weißen Auge darauf befindet. Als wir an der Schlange ankommen, stellen wir uns allerdings nicht hinten an, sondern laufen an der Reihe Männer vorbei, bis ganz nach vorne. Zuerst bin ich verwirrt von der unberührten Reaktion der Wartenden, aber als ich bemerke, wie viele von ihnen hochachtungsvoll die Augen niederschlagen und hinter uns leises Getuschel losbricht, fällt mir wieder ein, wer Zeran ist. Der Kronprinz. Er darf sich alles erlauben. Dass deshalb auch ich ungewollter Weise im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, bemerke ich an den verwunderten Blicken, die mich aufmerksam verfolgen. Ich kann spüren, wie diese fremden Männer jede Stelle meines Körpers mustern und sich fragen, warum ich hier bin.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt