Kapitel 1 - Teil 3

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Mein Vater und ich spannen die beiden Mehlsäcke an ihrem Karren, ebenso wie einen weiteren Sack gefüllt mit Lederbeuteln aus unserer Vorratskammer. Verbittert befestige ich unsere Vorräte und stelle fest, dass sie weit mehr als den fehlenden Betrag mitnehmen. Wie ironisch, denke ich, wir helfen diesen Männern dabei, uns zu bestehlen. In dem Moment als ich ein Meckern höre, erstarre ich. Ich lasse von der Arbeit ab und drehe mich um. Als ich den anderen Skauk, dessen Name ich vergessen habe, mit unserer Ziege an der Leine sehe, hätte ich am liebsten laut geschrieben. Die kleine Mina meckert und widersetzt sich dem Zug des Seils, doch der Mann zerrt sie erbarmungslos weiter. Ich versuche meinen Zorn hinunterzuschlucken, aber er steckt wie ein dicker Knoten in meinem Hals und droht herauszuplatzen. Allein die raue Hand meines Vaters, welche er behutsam auf meine Schulter legt, hält mich zurück. Ich schließe meine Augen vor dieser grausamen Szene und wage es nicht in die niedergeschlagenen Gesichter meiner Geschwister zu sehen. Ich wende mich ab. Fixiere die abgenutzten, von Dreck zerfressenen Seile in meinen Händen. Bleib stark, wiederhole ich immer wieder in meinem Kopf.Alles, was danach geschieht, geht an mir vorbei, so als wäre es gar nicht mein Schicksal, sondern das einer anderen. Die schneidenden Worte des Skauks von Rang zwei klingen dumpf in meinen Ohren. Die Ermahnung an meinen Vater, dass sie ein weiteres Mal nicht mehr so nachsichtig sein würden, dringt nicht zu mir durch. Meine Gedanken – oder sind es Gefühle? – sind so laut, dass jeder hinzukommende mich noch mehr von dem Geschehen um mich herum isoliert. Der Schmerz betäubt mich. Doch ich wehre mich dagegen, diese Männer haben mir vieles genommen, aber meinen Stolz würden sie nicht auch noch nehmen. Ich muss mich zusammenreißen. „Fürst Drogan dankt euch für euren Tribut." Der Skauk lässt seinen Blick ein letztes Mal über uns schweifen. Seinen Mund hat er zu einem angedeuteten Grinsen verzogen, während seine kleinen Augen dunklen vor Hohn triefen. Unter der Genugtuung uns schikaniert zu haben, schwillt seine Brust an, die Silhouette Torians darauf erhebt sich als würde uns der Berggott höchstpersönlich verspotten. Ein weiteres Mal wird uns heute vorgeführt, wessen Gnade wir wehrlos ausgesetzt sind. Als die Männer uns endlich den Rücken zukehren und auf ihre Pferde zugehen, atme ich gierig ein, so als hätte ich seit ihrer Ankunft nicht richtig Luft bekommen. Keiner von uns regt sich, still beobachten wir, wie sich die Männer auf ihre Pferde hieven. Diese tänzeln kurz nervös, setzen sich aber dann in Bewegung. Ich starre auf Mina, welche uns verwirrt nachsieht, während sie sich immer weiter von uns entfernt. Erst als die Gestalten in der Dunkelheit und Ferne zu einer zusammenfließen, kann ich meinen Blick abwenden. Die Stille ist erdrückend. Ich fühle mich leer, so als wäre ich ein Laib Brot, der in seinem Inneren von Maden zerfressen und ausgehöhlt wurde. Ich traue mich kaum in die Gesichter meiner Familie zu blicken, ich weiß, dass mich darin Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit erwarten wird. Ich versuche mich an dem Gedanken festzuhalten, dass wir einen kleinen Teil retten konnten und hoffe inständig, dass das reichen wird.

Am Abend sitzen wir gemeinsam am Tisch. Bis auf Beyza sagt niemand etwas und diese plappert auch nur leise vor sich hin, weil sie die bedrückende Stille spürt, aber nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Die Geschehnisse des Tages hängen wie dunkle Nebelschwaden im Raum. Mein Vater kaut teilnahmslos auf seiner Scheibe Brot herum und blickt abwesend in die Luft. Hätte ich die Vorräte vorhin nicht selbst mit ihm gemeinsam wieder an ihren vorgesehenen Platz gestellt, hätte ich spätestens an seinem Gesicht erkannt, dass uns nicht viel geblieben ist. Ich sehe es daran, wie er seine dunklen, buschigen Augenbrauen zusammenkneift, so als würde er gerade ausrechnen, ob die Ernte reicht den Winter zu überstehen und wie wir so schnell wie möglich an Goldmünzen kommen. Denn man weiß nie genau, wann die Skauk wieder kommen. Einmal im Winter und einmal im Sommer, aber den Tag kann man nie vorhersehen. Als ich von meiner Scheibe Brot, die mit etwas Ziegenkäse belegt ist, abbeiße, verzieht sich mein Mund wie von allein. Obwohl ich hungrig bin, bekomme ich das Brot nur mit Mühe hinunter. Ich sollte froh sein, dass wir überhaupt etwas zu essen haben, aber ich schaffe es nicht. Vielleicht ist es auch die Gewissheit, dass wir auch die nächsten Tage – vielleicht den ganzen Mond lang - nichts anderes auf den Tisch bekommen werden, die mir den Appetit verdirbt. „Morgen gehen wir nach Meranthis", meint mein Vater plötzlich und sieht mich an. Sein Blick hat sich geklärt und Entschlossenheit funkelt darin. Meranthis ist eine riesige Stadt in den Bergen. Nur Rostak, die Hauptstadt Grakoks ist noch größer als sie, doch dort war ich noch nie. Meistens verkaufen wir unser Mehl in Gavra, ein kleines Dorf hinter den Bergen im Westen. Der Weg dorthin ist der Weg recht kurz und unbeschwerlich; es ist flach und wir können die Berge durch ein schmales Tal passieren. Bis nach Meranthis dauert es etwas mehr als ein halber Tagesmarsch. Der Weg ist dahin steil und steinig – und mit einem beladenen Karren mitten im Sommer anstrengender als auf dem Feld zu arbeiten. Aber der Markt ist dort dafür umso größer und lukrativer. Ich nicke nur, weil ich damit beschäftigt bin, auf dem trockenen Brot herumzukauen. „Ich habe noch ein paar Stickereien", meint meine Großmutter, „nehmt sie mit." Die Stickereien meiner Großmutter sind wunderschön – jedenfalls waren sie das früher. Mittlerweile zittern ihre Hände zu stark, egal ob Sommer oder Winter, als dass sie so komplexe und hochwertig aussehende Muster sticken könnte, wie sie es damals getan hat. Aber sie sind immer noch so schön, um sie verkaufen zu können. Im Sticken und Nähen war ich noch nie gut. Ich habe einfach nicht die Geduld stundenlang irgendwo zu sitzen und selbst, wenn ich diese hätte, fehlt es mir wahrscheinlich an Kreativität, denn die ausgefallenen Muster, Blumen und manchmal sogar kleinen Bilder würden mir nie im Leben einfallen. Gaya stellt sich bei solchen Dingen immer geschickter an als ich, auch wenn sie selbst noch nicht an die Werke unserer Großmutter herankommt.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt