Kapitel 18 - Teil 1

11 3 0
                                    

Mehr Schiffe, als ich geglaubt habe, dass überhaupt existieren können, ankern vor der Küste Myrandolas. Im Hafen stehen weitere Schiffe, deren Mäste höher in den Himmel ragen als so manche Bäume und luxuriöser geschmückt sind als die meisten Häuser.

Erst sobald alle anderen Initianten über die schmale, hölzerne Planke unser Schiff verlassen haben, folgen wir ihnen. Als ich hinter Caelan auf die Planke trete, biegt sie sich unter meinem Gewicht, doch trotz meiner Angst, in das kristallblaue Wasser unter mir zu fallen, gehe ich ohne zu zögern weiter. Da sich General Revinger hinter uns befindet, wage ich es nicht, mich zu widersetzen, egal auf welche Weise oder aus welchen Gründen.

Wir gehen einen langen, schwankenden Steg entlang. Die Luft hier ist warm und feucht und riecht nach Fisch. Unter uns schwappt das Wasser geräuschvoll gegen die hölzernen Stelzen des Stegs und bringen ihn einmal mehr ins Wanken. Egal in welche Richtung ich schaue, um mich herum sehe ich nur Schiffe, die sich im Rhythmus des Wassers bewegen und deren Holz immer wieder knarzend aufstöhnt.

Sobald ich endlich auf festem Boden stehe, kann ich das Gefühl von einem stabilen, unbeweglichen Untergrund keinen Moment genießen, denn ich werde sofort von Caelan weitergezogen, der mit dem Seil meiner Fesseln in der Hand vorangeht. Der Boden ist mit polierten Pflastersteinen überzogen und vor uns erheben sich mehrere Häuser. Sie alle bestehen aus perfekt zugeschnittenen, glatten Holzplanken, verziert mit kunstvollen Schnitzereien und haben ausladende, geschwungene Dächer. Violette Lampions, die drei Augen Lessuros kunstvoll darauf gezeichnet, hängen an den Traufen und schwanken in der leichten Meeresbrise.

Bei einem der Häuser stehen die Fenster offen, aus ihnen strömt der Duft von angebratenem Fisch und ich höre, wie sich im Inneren Personen lautstark unterhalten. Als ich einen Blick durch das Fenster werfe, erkenne ich die zahllosen Männer darin, schaumige Getränke vor sich stehend. Weitere stehen an der Tür des Lokals und sehen den Initianten dabei zu, wie sie sich etwas entfernt an der Straße aufstellen.

Hier im Hafen sind alle Clans wieder aufeinander getroffen. Das konnte ich ganz einfach an den Segeln der fünf Schiffe erkennen, die alle ein anderes Clanwappen tragen, und an den zahllosen jungen Männern in weißen Hemden, mit Kreisen in unterschiedlichen Farben unter ihrer Schulter.

Die Initianten werden nun gemeinsam bis zum Palast des Königs marschieren und sich dem Volk Krynias präsentieren. So hat es jedenfalls der General vorhin erklärt. Caelan und ich werden hingegen mit einer Kutsche zum Palast fahren und der General und Zeran werden mit einem Pferd zum König reiten. Anscheinend ist diese Angelegenheit dringlicher, als sich vor dem Volk zur Schau zu stellen.

Gruppen von Schaulustigen bilden sich um die Initianten, die mit nervöser Ruhe den Befehlen ihrer Generäle folgen und sich reihenweise aufstellen. Irgendwo in dieser Menge befinden sich auch Ridge, Phan, Ash, Wallrian und Destroni. Sie marschieren mit dem Mynua Clan, der die Menge natürlich anführt.

Gestern Abend war es mit den vier Initianten entspannter, als ich davor vermutet hatte. Der Wein hat ihre Zungen gelockert und sie geselliger gemacht – ich dagegen habe nur wenige Schlucke dieser bitteren, ungenießbaren Flüssigkeit zu mir genommen und konnte dadurch beobachten, wie sie langsam aber sicher vom Alkohol berauscht wurden. Durch diesen Abend habe sie nun etwas besser kennengelernt, kann vielleicht besser einschätzen, wie die Dynamiken unter ihnen sind. Und obwohl ich nun zum Schluss gekommen bin, dass ich mich vor diesen Menschen mehr in Acht nehmen muss, als ich es ohnehin schon getan habe, ist mir auch klar geworden, dass ich nur fliehen kann, wenn ich ihr Vertrauen gewinne. Aus diesem Grund werde ich ab jetzt einfach mitspielen und so tun, als wäre ich kooperativ – bis ich endlich fliehen kann. Obwohl sich dies als schwierig als gedacht herausstellen könnte, denn die Mynuas können mit ihren Gaben Menschen perfekt durchschauen.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt