Kapitel 22 - Teil 3

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Mit fünfzehn anderen Gefühlsmanipulatoren und Hauptmann Lesondra, der uns in der Ausübung unserer Gabe unterrichtet, befinde ich mich in einem der Lehrsäle der Kaserne. Wie die anderen neunzehn Säle ist auch dieser ein rundes, einstöckiges Gebäude am Rand der Schlossmauern. Der Hauptmann ist ein junger, aufstrebender Mynua. Er hat langes, blondes Haar, das ihm glatt über die Schultern fällt und trägt ein silberfarbenes Hemd und eine schwarze Weste, die von dünnen violetten Nadelstreifen geziert wird. Auf seinem kantigen Gesicht liegt stets ein freundlicher Ausdruck; dieser erreicht seine Augen allerdings nie; sein Blick ist immer zu hart und prüfend.

Im Halbkreis angeordnet sitzen wir um den Hauptmann herum. Ich höre ihm nur mit einem Ohr zu, denn wie immer fasst er die letzte Lektion zusammen. „Mittlerweile müsste jeder von euch die unterschiedlichen Farben und Bewegungen in den Gefühlsnebel recht zuverlässig interpretieren können. Meine Anweisungen bezüglich der Personenanalyse sind somit abgeschlossen und wir gehen zum nächsten Teil der Ausbildung über. Wer sich hinsichtlich dessen allerdings noch weiterbilden möchte, empfehle ich, die Werke von Royaso Urumadi zu lesen. Er hat verschiedene Gefühlsnebel grafisch dargestellt, in ihren Einzelheiten aufgearbeitet und ausführliche Analysen erstellt." Ich nicke zustimmend. Von Urumadi habe ich ‚Das Lehrbuch der Farben und Schattierungen' und fand es unglaublich hilfreich. Innerlich mache ich mir eine Notiz, sobald ich wieder etwas mehr Zeit habe, mich nach weiteren seiner Werke im Archiv umzusehen. „Mit dem ersten Teil lassen wir die neutrale Dimension eurer Gabe hinter uns und fokussieren uns nun auf die offensive Ebene und den Kern eurer Fähigkeiten: der Gefühlsmanipulation." Einige der anderen Initianten schauen sich aufgeregt um. Bisher haben wir nur die Gefühle anderer interpretiert, stundenlang darüber diskutiert, welche Bewegung denn, was über die jeweilige Person aussagt und jetzt kommen wir endlich zu etwas Spannenderem. Während für viele der erste Teil bereits neu war, habe ich diesen mir schon selbst vor Jahren beigebracht. Wie ich Gefühle manipuliere, habe ich allerdings nie ganz durchdrungen. „Dafür habe ich mir heute eine Übung überlegt. Eigentlich müssten sie gleich hier sein." Hauptmann Lesondras Grinsen wird etwas breiter und ich sehe mich verstohlen um. „Weißt du es?", zischt mir Frey zu, der sich näher zu mir gebeugt hat. Mit einem gespannten Lächeln auf den schmalen Lippen, fährt er sich durch sein rotbraunes, halblanges Haar. „Nein, keine Ahnung", flüstere ich, ohne ihn dabei anzusehen. Frey öffnet bereits seinen Mund und will schon etwas erwidern, als es plötzlich anklopft.

Sofort wird es wieder ganz still im Saal. Ich sehe, wie einige der Initianten sich aufrichten und erwartungsvoll Richtung Tür blicken. „Kommt herein", ruft Hauptmann Lesondra und sofort schlägt die Tür auf. Ein Mynua Soldat in seiner typischen Uniform mit violetten Akzenten tritt als Erster herein. Seine Miene ist hart und der Gefühlsnebel, der ihn umgibt, ist so blass, dass er nur ein Gefühlsmanipulator sein kann. Hinter ihm humpelt ein Mann herein. Seine Hände sind hinter seinem Rücken mit eisernen Handschellen gefesselt. Er hat graues Haar und lumpige, verdreckte Kleider; Schuhe trägt er keine und in seinem Mund steckt ein Knebel.

Nach ihm tritt ein weiterer Mynua Soldat ein, ebenso wie der erste ist seine Miene stoisch nach vorne gerichtet. An der geraden Linie, verbunden mit einem Halbkreis, sieht man, dass beide Mynuas von Rang zwei sind. Sie gehen im Gleichklang. Vor Hauptmann erstarren sie und salutieren. Der Mann zwischen ihnen verzieht keine Miene, fast apathisch geht sein Blick ins Leere. Genauso leer ist auch sein Gefühlsnebel; er wird von weißen Rauchschwaden, wie die einer Pfeife, umschlungen. Sie fließen wie kleine Wellen um seinen Körper und nehmen keinerlei Raum ein.

„Das sind Soldat Eral und Soldat Yarne. Beide sind ehemalige Schüler von mir, vor nicht zu langer Zeit, saßen sie dort, wo ihr jetzt sitzt. Und jetzt sind sie vollwertige Mitglieder und dienen der Krone." Lesondra blickt in die Luft und scheint für einen Moment in Erinnerungen zu schwelgen. Dann breitet sich ein strahlendes Lächeln auf seinem breiten Mund aus. „Wollt ihr den Initianten erklären, welche Tätigkeit ihr ausübt?" Obwohl Lesondra es immer wie eine Frage klingen lässt, höre ich genau die Anweisung in seiner Stimme. Einer der Soldaten – ich glaube, es ist Yarne – räuspert sich. „Also, wie der Hauptmann schon erklärt hat, sind wir beide auch Gefühlsmanipulatoren. Wir arbeiten im Gefangenentransport und hin und wieder haben wir auch Einsätze in den Arbeitslagern. Um es direkter zu sagen, wir bringen Gefangene zu den jeweiligen Arbeitslagern. Unsere Gabe ist für diese Aufgabe essenziell; um Umständlichkeiten zu vermeiden, nehmen wir den Gefangenen ihre Gefühle oder geben ihnen welche, die sie ruhig bleiben lassen. In den Arbeitslagern kontrollieren wir manchmal auch den Zustand der Insassen, bei einem Rundgang kann man an den verschiedenen Emotionen gut die aktuelle Lage abschätzen", erklärt er und ich komme nicht darum herum zu bemerken, dass er etwas zurückhaltender spricht als der Hauptmann.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt