Kapitel 22 - Teil 2

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Das eiskalte Wasser weckt meinen erschöpften Verstand und wäscht mir den Schweiß der letzten Stunden vom Körper. Meine aufgebrochenen Fingerknöchel brennen als ich mir mit der rauen Oberfläche des Schwammes das getrocknete Blut wegschrubbe. Kampftraining ist nichts Neues für mich, trotzdem würde ich morgen ungern bei meinem ersten Kampf verlieren, weshalb ich heute wirklich alles gegeben habe.

Mein Körper ist vollkommen erschöpft, dennoch erlaube ich mir nicht einmal an Ruhe zu denken, denn gleich muss ich in den Palast gehen und Lilian für ihr eigenes Training mit General Revinger abholen und selbst auch noch daran teilnehmen. Während die anderen Initianten etwas Freizeit haben, um zu üben oder sich auszuruhen, werde ich gleich vom nächsten hochrangigen Clanmitglied angebrüllt werden – obwohl ich neben Lilian noch recht gut wegkomme. Innerlich graut es mir jetzt schon davor, aber ich versuche mir einzureden, dass mich dies einfach nur stärker machen wird und jedes Gefühl der Erschöpfung sich irgendwann auszahlen wird.

Wie immer wird das Turmzimmer von zwei Soldaten flankiert. Als ich herantrete, nicken sie mir zu, sagen jedoch nichts. Ich klopfe zweimal laut gegen die Tür und nur einen Augenblick später öffnet sie sich schon. „Guten Morgen, mein Herr", Rea verbeugt sich noch bevor ich in den Raum treten kann. „Guten Morgen", wiederhole ich ihren Gruß und schenke ihr ein Lächeln, das sie zurückhaltend erwidert.

Lilian steht einige Schritte hinter ihr, ihre Arme wie immer unbeholfen um ihren Körper geschlungen, so als versuche sie so viel wie möglich dahinter zu verstecken. Wirklich viel nützen tut ihr das nicht, denn ich kann die Konturen ihres Körpers trotzdem gut erkennen. Obwohl sie erst seit einer Woche hier ist, hat das Training und die Ernährung bereits äußerliche Spuren hinterlassen. Ihre Haut wirkt wärmer, strahlender, ihr Körper hat leichte Rundungen bekommen und sie ist deutlich stärker geworden. Nur mit ihrer Gabe macht sie keinerlei Fortschritte. Ein Blick auf die Rose auf ihrem Tisch genügt, um zu wissen, dass sie auch diese Nacht nicht erfolgreich war. Mittlerweile frage ich mich, ob sie es wirklich nicht kann, oder uns alle nur hinters Licht führen will, aber da ihr Gefühlsnebel keine Auffälligkeiten aufweist, habe ich keinen Grund für die Vermutung und schiebe sie beiseite.

„Morgen", begrüße ich sie und schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln. Ihr müder Blick trifft nicht den meinen, sondern wandert abwesend über meinen Körper, so als hätte sie mich nicht gehört. „Gut geschlafen?", frage ich, weil jeder vergehende Augenblick, in dem sie mich nur anstarrt, sich etwas unangenehmer anfühlt. Lilian zuckt zurück, so als wäre sie bisher in einer ganz anderen Welt gewesen und erwidert dann meinen Blick. „Eh ja", sagt sie hastig. Obwohl sie ihren Blick senkt, sehe ich trotzdem, dass sich ihre Wangen leicht röten. „Bereit für das Training?", frage ich, um dieses unangenehme Gefühl zu vertreiben. Sie stöhnt genervt auf. „Habe ich irgendwann auch einen Tag Pause?", sagt sie und verzieht ihr Gesicht. Obwohl meine Muskeln ebenfalls völlig ausgezehrt sind – oder vielleicht genau deswegen – kann ich mir ein bisschen Schadenfreude nicht verkneifen und muss Grinsen. „Solange das mit deiner Gabe nicht funktioniert, sicher nicht", erwidere ich leichtfertig, doch bereue es im selben Moment wie ich die Worte ausspreche. Ich sehe einen hellgelben Blitz der Furcht durch ihren Gefühlsnebel jagen und ihre Schultern sacken nach unten. Es ist offensichtlich, dass sie frustriert ist und Angst hat, ihre Gabe nicht bewältigen zu können – oder hat sie nur Angst, dass ich ihre Scharade durchschauen könnte? Meine immer wieder aufkommenden Zweifel schiebe ich beiseite und setze einen entschuldigenden Ausdruck auf mein Gesicht. „Mach dir nicht zu viele Gedanken. Es ist gerade einmal eine Woche vergangen. Früher oder später wird sich deine Gabe schon zeigen", versuche ich sie aufzumuntern, doch ihr ungläubig Blick zeigt nur einmal mehr, wie sehr sie an sich zweifelt. Ich sehe eine Frage auf ihrer Zunge liegen, aber obwohl ich sie erwartend ansehe, stellt sie sie nicht. „Dann lass es uns hinter uns bringen", sagt sie stattdessen und geht auf die Tür zu.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt