Kapitel 14 - Teil 1

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Kein Busch, kein Baum, kein Wald, wo ich mich verstecken könnte. Nichts. Das kniehohe Gras ist zu tief, als dass ich mich flach hinlegen könnte. Nur ebene Landschaft.

Meine Oberschenkel brennen. Aber ich renne immer weiter. Mein Puls dröhnt in meinen Ohren. Trotzdem höre ich immer noch das Knacken der zerbrechenden Felswand in meinem Rücken. Der Boden vibriert jedes Mal, wenn ein weiterer Stein aufschlägt. Doch ich werfe keinen Blick nach hinten, denn ich weiß, dass ich noch nicht weit gekommen bin. Falls die Mynua es geschafft haben sich zu retten, dann können sie mich mit Sicherheit sehen. Auch nur ein Moment der Unaufmerksamkeit kann darüber entscheiden, ob sie mich wieder einfangen oder ich fliehen kann.

Meine Muskeln drohen bereits nachzugeben, als ich hinter mir etwas höre. Ein Keuchen. Schnelle Schritte. Mit einem hastigen Blick nach hinten will ich mich vergewissern, dass ich mir die Geräusche nur eingebildet habe, als ich eine Gestalt mit einem hellen Haarschopf erkenne. Ridge. Meine Füße werden wieder schneller. Trotz der Erschöpfung in meinen Gliedern und meiner gefesselten Handgelenke treibe ich mich immer weiter an.

Du darfst nicht aufgeben, sage ich mir wieder und wieder. Ich bin mein ganzes Leben noch nie so schnell gerannt, wie in diesem Moment. Trotzdem werden die Schritte hinter mir immer lauter – und auch mehr. Nur die Panik in meinem Blut lässt mich immer wieder einen Fuß vor den anderen setzen. Würde nicht die Angst, wieder in die Fänge dieser Männer zu geraten, meinen Körper beherrschen, wäre ich schon lange zusammengebrochen.

Doch all meine Anstrengungen sind umsonst. Ich fühle einen Körper hinter mir aufrücken. Noch bevor ich versuchen kann, schneller zu werden, packt mich jemand an meinem Kleid. Ich werde nach hinten gerissen. Sofort verliere ich mein Gleichgewicht. Mein Angreifer wirft sich auf mich. Mit meinen gefesselten Händen bin ich völlig wehrlos. Innerhalb eines Wimpernschlags liege ich am Boden. Ein schwerer Körper landet auf mir und drückt mich nach unten. Der wuchtige Aufprall lässt die Welt für einen kurzen Moment innehalten. Die Luft wird aus meinem Körper gepresst. Und in einem Mal sind alle Geräusche verstummt. Das grüne Gras beginnt mit dem staubigen Boden zu verschwimmen. Schwarze Punkte tanzen in meinem Blickfeld und die Dunkelheit greift nach mir.

„Nicht einschlafen." Eine flache Hand trifft auf mein Gesicht. Schlagartig klärt sich mein Blick und Hitze schießt durch meinen Körper. Keuchend ziehe ich die Luft in meine Lungen.

Honiggoldene Augen starren mich an. Sie sind verengt, kein spöttisches Funkeln liegt darin – dennoch fühle ich mich verhöhnt. Ich hatte meine Chance und habe es nicht geschafft. „Ich trage dich nicht zurück, den Weg kannst du schön selbst gehen", zischt er.

„Ridge?" Caelans Atem Stimme ertönt, doch ich kann ihn nicht sehen. Vor mir befindet sich immer noch Ridges schmales Gesicht. Darin liegt ein Ausdruck, der mir einen Schauder über den verletzten Rücken jagt. Er sieht aus, als würde er gerade darüber nachdenken, wie er mich für meine Taten bestrafen wird. Zum ersten Mal sehe ich ihn wirklich wütend und es macht mir fast noch mehr Angst, als wenn er provokant und spöttisch ist.

„Hast du sie?" Caelans braune Stiefel erscheinen neben mir. Ridge richtet sich langsam auf und sobald sein Gewicht nicht mehr auf mir liegt, sauge ich gierig die Luft ein. „Du kannst mir dankbar sein. Hätte ich sie nicht aufgehalten, hättest du dem König erklären müssen, warum du sie fliehen hast lassen", erklärt er leichtfertig, während er sich den Staub von der Kleidung klopft. Er hat wieder diesen teilnahmslosen Ton angeschlagen, so als wäre er mir gerade nicht ewig hinterhergerannt. „Jaja, danke", erwidert Caelan nur. Seine Stimme klingt erschöpft und nachdem ich mir unter schmerzverzerrten Stöhnen aufgerichtet habe, weiß ich auch warum. Sein Hemd ist an den Armen aufgerissen und blutige Striemen zieren seine Oberarme. Eine leichte Beule, umringt von hellen Blau- und Grüntönen, die mit Sicherheit bald ganz dunkel werden, zeichnet sich an seinem Kinn ab.

Das letzte Juwel - die Chroniken von KryniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt