Eine Gestalt zeichnet sich zwischen den Hecken ab. Groß und breit steht die Person mit dem Rücken zu uns da, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. Ich weiß nicht, ob er unsere Schritte auf dem Gras rascheln hört oder ob es einfach nur so ein Gefühl ist, aber plötzlich dreht er sich um und ein bekanntes Gesicht sieht mir entgegen.
Caelan hebt seine Hand an seine Stirn und salutiert. „Da seid ihr ja endlich." General Revingers kleine braune Augen richten sich sofort auf mich. Langsam, abschätzig, lässt er seinen Blick über meinen abgemagerten Körper wandern. Dann wendet er sich Caelan zu. „Komm in ein paar Stunden wieder, um sie abzuholen", befiehlt er ihm und dreht sich bereits wieder zu mir.
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Er will mich doch nicht ernsthaft mit diesem Mynua alleine lassen, oder? Panisch blicke ich zu Caelan und stelle glücklicherweise fest, dass er keine Anstalten macht, mich zu verlassen. „Der König hat mir befohlen, selbst während des Trainings nicht von ihrer Seite zu weichen, General", erklärt er, sein Ton dabei beinahe entschuldigend. „Hast du nicht heute Morgen schon das Training mit den anderen Initianten absolviert?" Die Skepsis in seiner Stimme ist deutlich herauszuhören. Offensichtlich will er Caelan nicht dabei haben. „Das habe ich, General", antwortet er; seine Worte betont er dabei klar und deutlich; so wie immer, wenn er mit dem General spricht. Bevor Caelan also zu mir gekommen ist, hat er schon den ganzen Morgen trainiert. Das erklärt auch seine nassen Haare von zuvor.
„Na gut, dann bleib hier", gibt sich der General zähneknirschend geschlagen, „Heute beginnen wir mit dem Ausdauertraining. Das Veridiangebiet ist uns größtenteils unbekannt. Welche Gefahren dort lauern oder wie anstrengend es sein wird, das Juwel zu finden, können wir nicht wissen. Aber es handelt sich dabei um ein Fleckchen Land, in das die Kräfte der Götter ungezügelt geflossen sind. Dort könnte an jeder Stelle ein übernatürlich starkes Tier lauern oder das Juwel könnte sich an einem Ort befinden, der nur schwierig zu erreichen ist. All diese Möglichkeiten bestehen und es könnte sich dort noch so viel mehr verstecken, das wir uns gar nicht vorstellen können. Mit aller Sicherheit kann ich nur sagen, dass du viel Kraft und Ausdauer dafür benötigen wirst. In deinem jetzigen Zustand würdest du keinen Tag dort überleben", erklärt er ausdruckslos und lässt seinen Blick demonstrativ über meinen Körper schweifen.
Wenn er wüsste, welche Situationen ich bisher erlebt und überlebt habe, dann würde er nicht so mit mir sprechen, doch aufgrund seiner bleiernen Miene wage ich es nicht, dem General ins Wort zu fallen.
„Neben deinem eigenen Körpergewicht musst du außerdem einen Rucksack mit deiner gesamten Ausstattung tragen können. In den nächsten Wochen muss ich dich in die körperliche Verfassung bringen im Veridian Reich zu überleben und da uns die Götter nicht einen unbezwingbaren Krieger geschickt haben, sondern eine schwächliche Frau, wird das keine einfache Aufgabe werden", spricht er weiter und langsam breitet sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend aus. Der General glaubt nicht daran, dass ich die Aufgabe des Königs schaffen kann. Nicht einmal wegen meiner mageren Statur, die eindeutig der einseitigen Ernährung geschuldet ist, sondern weil ich eine Frau bin. Den bissigen Kommentar, der mir bereits auf der Zunge liegt, verkneife ich mir, weil ich weiß, dass ich mir dadurch nur noch mehr Probleme schaffen würde.
„Dann lasst uns nicht noch mehr Zeit verschwenden, sondern beginnt. Für den Anfang dürft ihr dreißig Runden um das Labyrinth laufen; ich erwarte, dass ihr fertig seid, bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hat." Sein lauter Befehl hallt über den Garten und es scheint, als würden selbst die Blumen bei seinem strengen Ton zusammenzucken und loslaufen wollen.
Ich blicke in den Himmel. Bis die Sonne ihren Höhepunkt erreicht hat, dauert es zwar noch ein bisschen, allerdings kann ich auch nicht abschätzen, wie groß das Labyrinth wirklich ist.
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Das letzte Juwel - die Chroniken von Krynia
Fantasy„Ich werde der erste König, der ganz Krynia vereint", erklärt er mit vor Stolz angeschwollener Brust. Dann senkt er seinen Blick und sieht mich direkt an, so als wäre ich ein Schatz, den er keinesfalls verlieren will. ‚Wir werden noch eine Menge Spa...