Kapitel 1
Ella
Ich verharre hier, unentwegt den frostgefangenen Horizont betrachtend, während die weiße Pracht da draußen unter der Sonne funkelnd meine Blicke gefangen nimmt. Jede einzelne Schneeflocke, die leise auf das unschuldige Weiß hinabtänzelt, trägt zur eisigen Schönheit dieses Winterbildes bei. Aber trotz der betörenden Szenerie, die sich vor mir ausbreitet, vermag ich keine Ehrfurcht in meinem Herzen zu spüren. In meiner Seele wütet ein Orkan aus Eis, beißender und herzloser als der härteste Winter. Die vergangenen sechs Monate überschatten meinen Geist, lassen mir keine Ruhe, keinen Frieden. Tag für Tag, Woche um Woche, Monat um Monat gefangen in der sterilen Atmosphäre des Krankenhauses, das mehr einer Haftanstalt gleicht als einem Ort der Heilung. Die Tabletten, rein, steril und weiß, wollte man mir einflößen, doch ich widerstand. Nicht im Dämmer der Betäubung wollte ich leben; nicht von der Wirklichkeit abgeschnitten sein. Mein Verlangen war zu spüren, zu leben, zu streiten, auch wenn die Welt von mir erwartete zu vergessen, zu erstarren, mich zu fügen. Meine Familie, von denen ich angenommen hatte, dass sie an meiner Seite seien, wenn das Dunkel hereinbricht, wendeten sich ab. Meinen Schmerz sahen sie nicht, meinen Kampf verstanden sie nicht, meine Entscheidungen ehrten sie nicht. In meinem Leiden, in meinen Hoffnungen, in meiner Entschlossenheit zu kämpfen, fand ich mich isoliert wieder. Doch trotz alledem In meinem Innern brannte der unerschütterliche Wunsch, Kraft zu schöpfen, das Leben erneut zu umarmen, Liebe wieder zu entdecken. Ärzte umgaben mich mit beharrlichem Optimismus, zeichneten Visionen einer hellen, leuchtenden Zukunft, einer Zeit, in der ich erneut frei durchatmete, herzlich lachte, voller Leben war. Doch ihr Verstehen reichte nicht bis zu dem tiefen Schmerz, der meine See und die Schatten meiner Ängste, die Schwere meiner Trauer. Es entging ihnen, das Zittern der Morgendämmerung zu erleben, überwältigt von der Furcht, nicht erkennen zu können, wer man eigentlich ist. Ihre Erfahrung vermochte dies nicht zu fassen. Doch mit festem Entschluss wählte ich Stärke. Wie ein Fels in der Brandung widerstand ich den tückischen, erdrückenden Wellen, kämpfte nicht allein gegen die Stürme in meinem Inneren, sondern auch leidenschaftlich für die zarte Flamme der Hoffnung, für den tieferen Glauben an einen freundlichen, goldenen Horizont. Ohne diesen schimmernden Funken Hoffnung, diesen festen Glauben, wären all die Qualen, all die Herausforderungen, die sich meine Pfade noch stellen würden, ohne Sinn und Zweck. Doch die Zeit webt ihre heilenden Fäden, Tage werden zu Wochen, Wochen zu Monaten, und mit jeder Sekunde wird die Narbe auf meiner Seele schwächer. Langsam beginnen die offenen Wunden meines Herzens zu vernarben, weicht die Finsternis dem warmen, versöhnlichen Licht. Mit jedem Sonnenuntergang nähert sich die Freiheit, die Zukunft leuchtet ein wenig heller, der Schmerz wird ein wenig erträglicher. Dennoch, die Reise ist lang, der Pfad uneben und verschlungen - doch meine Zuversicht ist unerschütterlich, kraftvoll genug zu sein, um weiter voranzuschreiten, alle Barrieren zu durchbrechen und den süßen Geschmack wahrer Freiheit zu kosten. "Ella, Liebling, lass uns gehen", ihre Stimme durchdringt die Stille, erschüttert mich hart, doch mit unermesslicher Kraft. Ein Flattern in meiner Brust, ein Kribbeln der Furcht. Ihre Stimme klingt so sanft, erfüllt von mütterlicher Wärme. Aber nein, die Wahrheit ist mir bekannt. Sie spielt ein Spiel. Mit einem erzwungenen Lächeln verberge ich mein Wanken, stehe auf, bereit, mich den Masken und Schauspielen zu stellen, mit der verborgenen Stärke einer Seele, die nicht aufgibt. Mit einem erzwungenen Lächeln wende ich mich zu ihr, blicke ihr direkt in die Augen. "Ja, Mama, ich bin gleich da", sage ich, während mein Innerstes von einem Orkan heimgesucht wird. Sie provoziert mich - bis aufs Äußerste. Die erdrückenden Klinikbesuche, die mich so unendlich belastet haben. Ihre Besuche waren wie Gift, das langsam in meine Wunden träufelte. Anfangs öffnete ich mich ihr, versuchte vergeblich, ihr meine Wirrungen und wahren Empfindungen zu erklären. Doch sie verschloss sich, schnitt mir das Wort ab, versank in ignoranter Stille. Sie schrieb mein tiefes Leid den Gespenstern der Imagination zu, nannte es Einbildungen. Sie beharrte darauf, dass die erstickende Dunkelheit, welche Nacht für Nacht über mich kam, bloß Hirngespinste seien. Langsam begann ich, ihren Worten Glauben zu schenken. Fast hätte mich die Illusion gepackt, es wäre alles nur Täuschung. Doch die Alpträume, die mich Nacht für Nacht heimsuchen, sind zu mächtig, um sie beiseitezuschieben. Sie sind greifbar real, von grausamer Intensität. Sie nehmen keine Rücksicht und ketten sich an mich, immer und immer wieder. Trotzdem weiß ich, ich darf nicht nachgeben. Ich muss gegen meinen Schmerz ankämpfen, auch wenn der Kampf aussichtslos zu sein scheint. Ich muss fest an die Hoffnung klammern, selbst wenn diese manchmal endlos fern wirkt. Denn ohne Hoffnung, ohne den Glauben an irgendwas Besseres am Horizont, wäre alles umsonst. In der Dämmerung des frühen Morgens sitzen wir vereint in der Stille des Wagens, meilenweit entfernt von dem Ort, der nie wirklich Heimat war. Mein Blick verliert sich in der flüchtigen Landschaft, die draußen an mir vorbeizieht - ich sehne mich nach Stille, nach dem Frieden, der so schwer zu fassen ist. Doch meine Mutter bricht das Schweigen. "Es gibt da etwas, das du wissen musst", beginnt sie zaghaft ihre Eröffnung. Ihre Worte schwirren durch die kalte Luft und bergen eine Schwere, die mich erzittern lässt. "Ich habe jemanden kennengelernt... und jetzt... jetzt leben wir gemeinsam bei ihm." Ihre Worte fallen auf mich herab wie Frostblumen, eisig und scharfkantig. Wie oft habe ich mir gewünscht, sie würde mich sehen, meine Ängste und Sehnsüchte bedenken. Doch wieder fühle ich nur die beißende Kälte der Enttäuschung. "Er hat Kinder, zwei Söhne, die auch dort leben", fügt sie hinzu, als könnte dies irgendwie tröstend wirken. Ich presse die Augenlider zusammen, bemüht, die Welle des heraufziehenden Schmerzes zu unterdrücken. "Das ist mir gleichgültig. Bitte, lass mich einfach in Ruhe", bringe ich mit unterdrückter Stimme heraus. Doch in mir tobt ein wilder Sturm weiter, ungezähmt und unbarmherzig. Nur dieses eine Mal hätte sie Rücksicht nehmen können, mich vorbereiten können auf das, was kommt. Aber nein. Einmal mehr zählt nur ihr Leben, ihre Entscheidung. Und ich? Ich stehe hier, muss erschüttert zusehen, wie meine Welt wieder ins Wanken gerät. „Sie wissen nicht, dass du in der Psychiatrie warst", lässt sie dann fallen, ausweichend in ihrem Blick, fast beschämt. Wo bleibt die Mutter, die sich für mich einsetzen sollte? Die mich festhält, anstatt mich von sich zu stoßen? „Warum hast du es ihnen nicht erzählt? Fürchtest du dich etwa? Schämst du dich für deine Tochter, die krank ist?", konfrontiere ich sie, gepeinigt von ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit. „Nein, wie kommst du darauf... Ich verstehe selbst nicht, warum du dort warst... Niemand kennt den Ursprung der Anfälle", murmelt sie, doch ihre Worte verstärken nur den Verdacht ihrer Unfähigkeit, mich zu begreifen. So oft habe ich versucht, ihr zu erklären, was in mir vorgeht. Von welcher Finsternis ich ummantelt werde, welche Dämonen mich jagen. Doch sie will es nicht hören, sie weigert sich zuzuhören. Sie lässt mich alleine mit meinem Kampf. "Würdest du zuhören, wüsstest du es längst." „Ella, bitte, fang nicht wieder damit an. Es geht dir jetzt besser, du hast Fortschritte gemacht", versucht sie zu relativieren, doch jeglicher Hauch von Wohlwollen prallt ab an meinem Gefühl der Taubheit. Das Auto kommt zum Stehen und sie wendet sich mir zu. „Bist du bereit?", fragt sie, doch ihre Worte hallen hohl in mir wider. „Fahr einfach weiter", entgegne ich steif. In diesem Moment realisiere ich, dass ich weiterkämpfen muss - gegen die Dunkelheit, ungeachtet der Hindernisse. Denn nur ich kann meine Dämonen besiegen. Nur ich kann meinen Frieden finden. Und auch wenn der Weg noch so steinig und ungewiss ist, weiß ich, dass ich es schaffen kann. Denn in mir brennt ein Feuer, eine unerschütterliche Stärke. Eine Stärke, die mich selbst in den dunkelsten Momenten nicht verlässt. Eine Stärke, die mich weiterkämpfen lässt, immer weiter. Bis zum Ende. Denn ich bin stark. Und ich bin bereit, meine Dämonen zu bekämpfen. Aus dem Auto ausgestiegen, nimmt sie meine Hand, so wie es eine liebevolle Mutter tun würde. In diesem Moment fühle ich die bittere Ironie. Wir betreten das Haus und ein Mann erwartet uns. Er trägt einen Anzug, ein Zeichen von Autorität und Formalität, die meinem Herzen einen Stich versetzen. Sein Lächeln wirkt warm und freundlich, doch für mich hat es einen fahlen Beigeschmack. Er begrüßt sie mit einem Kuss auf die Wange - eine Vertrautheit, die mich noch mehr an den Rand drängt. "Ella, ich bin Jeremy Wightwell." Seine Stimme ist fest und selbstsicher. Ich begrüße ihn zurück, versuche meine Unsicherheit zu verbergen. "Meine Söhne sind zurzeit nicht da, aber du wirst sie auch noch kennenlernen. Sie kommen etwa in einer Stunde." Eine Stunde. Eine weitere Stunde in diesem fremden Haus, mit diesen fremden Menschen. Der Gedanke lässt mich innerlich erstarren. "JA, ich freue mich schon drauf," antworte ich, doch es ist eine Lüge. Es ist mir egal, wer diese Menschen sind. Leere Worte, leere Höflichkeit. "Komm, wir zeigen dir dein Zimmer," sagt meine Mutter. Ihre Stimme ist gefüllt mit falscher Herzlichkeit, doch ich spüre nur eine kalte Distanz zwischen uns. Sie führt den Weg die Treppe hinauf und ich zähle die Türen. Vier insgesamt - ein Zimmer für jeden von uns. Eine falsche Vorstellung von Gleichheit und Zugehörigkeit. "Hier ist dein Zimmer, die anderen gehören meinen Söhnen." Seine Worte lassen mich kurz innehalten, bevor ich die Tür zu meinem neuen Zimmer öffne. Alles ist weiß - die Wände, die Möbel. Die Reinheit und Unschuld des Weißen kontrastiert mit meinen düsteren Gedanken und Gefühlen und erinnert mich schmerzlich an die Klinik. Es ist, als ob ich von einem Gefängnis in ein anderes verlegt worden bin, nur dass dieses viel heimtückischer ist. Ich fühle mich verloren in diesem endlosen Weiß, als ob ich von der Welt verschluckt worden bin. Und in dieses Gefühl hinein hoffe ich verzweifelt auf ein Licht am Ende des Tunnels, auf ein Ende meiner Einsamkeit und Verzweiflung. Doch in diesem fremden Haus, in diesem weißen Zimmer, scheint diese Hoffnung so weit entfernt zu sein wie ein ferner Stern. Jedoch weiß ich, dass ich weiterkämpfen muss. Für meine Zukunft. Für meine Freiheit. Nur so kann ich es schaffen. „Lass dir Zeit, richte dich hier ein. Deine Taschen werden hochgebracht. Du hast auch neue Kleidung im Schrank. Ich dachte du könntest etwas Neues gebrauchen," sagte meine Mutter. Sie verließen das Zimmer und ich konnte endlich ich selbst sein, kein falsches Lächeln, nur ich. Ich begann, in jeder Schublade herumzustöbern, um zu sehen, was alles darin lag. Auch das angrenzende Bad habe ich inspiziert. Das Zimmer war schön, aber es war zu viel für mich. Ich hatte gedacht, ich würde zurück in unser altes Haus kommen. Nun musste ich neue Pläne machen, Pläne, wie ich hier wegkommen konnte. Ich wollte hier nicht lange bleiben. Ich betrat den Balkon, den ich von meinem Zimmer aus erreichen konnte. Ich blickte auf das große Grundstück, es war riesig, mit einem großen Pool, der überdacht war. Das Dach war aus Glas und darunter waren viele Sportgeräte. Wenn ich nur heute hierbleiben könnte, das Zimmer nicht verlassen müsste, keinen Druck hätte, alle kennenzulernen. Heute wollte ich einfach nur da sein. Ich lag auf dem Bett, meine Koffer hatte ich gar nicht ausgepackt. „Kommst du runter? Wir werden essen," hörte ich meine Mutter rufen. Sie verließ sofort das Zimmer, und so stand ich auf und folgte ihr ins Esszimmer. Niemand war da außer uns. Sie zeigte mir, auf welchen Stuhl ich mich setzen sollte. Es sah so aus, als ob ich alleine auf der Seite sitzen sollte. An beiden Enden war ein Teller, gegenüber von mir waren noch zwei weitere Teller. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin. Ich nahm Platz, wartete, bis sie sich auch setzte, aber sie ging wieder hinaus. Wahrscheinlich, um die anderen zu holen. Als Erste betraten Jeremy und meine Mutter das Esszimmer, dann kamen zwei junge Männer hinterher. Sie sahen ziemlich gut aus. Man konnte sehen, dass sie viel trainieren und großen Wert darauflegen, wie sie aussehen. Ich blieb sitzen. Ich wusste, dass es unhöflich war, aber das war mir egal. „Das sind meine Söhne, das ist Braden und das ist Drake. Wenn du Fragen hast, kannst du sie auch fragen, sie werden dir helfen. Und Jungs, das ist Ella, die Tochter von Shana" stellte Jeremy uns vor. Einer grinste die ganze Zeit und sah mich an, der andere sah mich gelangweilt an. Es wurde klar, das würde kein einfaches Leben werden. Meine Mutter und Jeremy nahmen Platz an den Seiten. Braden und Drake gegenüber von mir. Jeremy redete die ganze Zeit, wie er sich schon darauf gefreut hatte, mich kennenzulernen. Wie viel Gutes meine Mutter über mich erzählt hätte. Ich konnte das aber nicht glauben. Sie verlor nie ein gutes Wort über mich, und das hatte sich geändert, ja, da sie wieder die Lügen erzählen konnte, wie toll sie sei. Ich lächelte nur. Ich musste ja zeigen, dass alles in Ordnung ist, nicht, dass sie mich wieder in die Klinik steckte. Was hatte sie nur erzählt? Hatte sie überhaupt gesagt, dass ich in der Psychiatrie war? Das bezweifelte ich. Sie hatte extra noch gesagt, dass sie nichts erwähnt hatte, dass sie nichts wissen sollten. "Wie war es auf dem Internat?" wollte Jeremy wissen. "Internat?" fragte ich überrascht nach. "Ja, Shana hat erzählt, dass du da unbedingt hinwolltest, deswegen warst du dort." Ich drehte mich zu meiner Mutter. Sofort wusste ich, dass ich bei ihrem Spiel mitspielen musste, sonst konnte ich ein normales Leben vergessen. "Es war großartig", antwortete ich monoton, ließ aber mein Lächeln nicht verblassen. Die Worte fielen mir schwerer, als ich zugeben wollte. Ein Internat? Das war ihre Ausrede für meine Abwesenheit? Ich spürte, wie meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten ballten, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete. Plötzlich fühlte ich mich erschöpft, wie noch nie zuvor. "Kann ich gehen? Ich bin fertig und müde", bat ich und stand auf, bevor jemand antworten konnte. "Ja, geh und ruh dich aus", sagte meine Mutter mit einem gezwungenen Lächeln. Ihr Blick folgte mir, wie ich den Raum verließ. Und obwohl ihre Worte freundlich klangen, konnte ich das eisige Unterton nicht überhören. Sie war froh, dass ich ging. Ich ging in mein Zimmer, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Mein Herz schlug so heftig gegen meine Brust, dass es wehtat. Die Wände schienen auf mich zuzukommen, jede Ecke des Raumes schien dunkler und bedrohlicher als die andere. Ich schloss die Augen, tief durchatmend.
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The Truth
RomanceEs ist eine DARK Romance Geschichte Ich würde mich über ein Kommentar freuen wie ihr die Geschichte fandet.