Kapitel 42

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Kapitel 42

Ella

Seit geraumer Zeit weile ich nun hier, in diesem Zimmer, verborgen vor der Welt. James und Jeremy haben das Haus längst verlassen, und ich - gefangen in meinen eigenen Bedenken - suchte hier Schutz. Eine Erinnerung kreist unaufhörlich in meinem Geist, droht meinen Willen zu untergraben: das Bild von Alexo und seine unfassbare Tat. Mit jedem Gedanken an ihn, der mich missbrauchte, spüre ich, dass es meine Seele zu zersplittern droht. Das Verlangen nach Rache, eingeflüstert von Braden, hat in mir Wurzeln geschlagen. Der Schmerz, die Demütigungen, die ich erleiden musste - sie verlangen nach Gerechtigkeit. Es ist seltsam, diese Tränen, die ich kaum spüre, wie sie über mein Gesicht strömen. Ein stummes Zeugnis meiner inneren Zerrissenheit. Doch Ruhe findet mein Geist nicht. Die Unruhe treibt mich hinaus, auf die Suche nach Braden und Drake. Sie sind im Fitnessstudio, versunken in ihr Training, als ich außer Atem vor ihnen stehe. Drake schaut auf, seine Miene von Sorge gezeichnet. "Was ist geschehen?", seine Stimme voller Befremdung. "Hast du geweint?", fragt mich Braden sanft. Ich ringe nach Luft, hebe abwehrend meine Hand - ein Moment des Innehaltens ist nötig. "Wo ist Alexo?", presse ich dann hervor. Drake fixiert mich mit ernstem Blick, "Was ist los?" Die bittere Vorstellung, "Ich will Alexo leiden zu sehen Tränen bahnen sich ihren Weg. Braden, mit seiner beruhigenden Präsenz, zweifelt, "Bist du dir sicher?" Meine Antwort ist ein knappes "Ja", begleitet von einer neuen Welle der Entschlossenheit. Braden reicht mir seine Hand. Ich ergreife sie, als würde sie mir Halt in dieser turbulenten Zeit versprechen. Er führt mich hinab in den Keller, und als wir eine weitere Tür durchqueren, zeigt sich uns ein Tunnel. Die Kälte des Ortes kriecht in meine Glieder, ein spürbares Unbehagen breitet sich aus. Bei jedem Schritt, den wir voranschreiten, neigt die Waage der Gerechtigkeit dazu, sich zu meinen Ungunsten zu neigen. Die Notwendigkeit, ihn für die Demütigung und den Schmerz bezahlen zu lassen, kämpft gegen das Unbehagen, das mich bei dem Gedanken an die Vergeltung überkommt. Schließlich stehen wir vor einer massiven Stahltür. Braden, mit einem fragenden Ausdruck, hält inne: "Bist du bereit? Es ist hinter dieser Tür." Drakes Gestalt hinter mir bietet stillen Beistand. "Wenn du es dir anders überlegst, drehen wir um", sagt er mit fester Stimme. Ich stehe an einem Scheideweg. Wenn ich jetzt umkehre, könnte ich diesen Pfad nie wieder betreten. Doch in meinem Kern weiß ich, dass ich hindurchmuss. Um mir selbst zu beweisen, dass diese Tat eine Erlösung für mich darstellt, dass Alexo seine gerechte Strafe erhält und ich vielleicht, endlich, weiterleben kann. Weiterleben mit der Gewissheit, dass all dies einen Sinn hatte, dass meine Leiden nicht umsonst gewesen sind. In der Dämmerung der Verlassenheit schlich Braden mit gezieltem Tastendruck an einem unscheinbaren Kasten heran; eine Zahlenfolge, die ihm die Tüt zur Dunkelheit öffnen sollte. Ein Klicken, schwer und endgültig, erfüllte den Raum, und ehe ich mich versah, setzte sich die schwere Metalltür in Bewegung. Ein schachbrettartiges Spiel von Licht und Schatten breitete sich vor uns aus, als Braden den unheiligen Ort betrat, dicht gefolgt von meiner zögerlichen Gestalt, und schließlich von Drake. Der Raum öffnete sich uns in seiner grausamen Wahrheit. Einzelne Lichtflecken zitterten wie die Flügel gefangener Motten an den kahlen Wänden, doch sie vermochten es kaum, die Schwärze, die im Herzen dieses Ortes wohnte, zu erhellen. Es war Drake, der mit einer schnellen Handbewegung die Leuchten entfachte und die Szene vor uns in voller Pracht ausleuchtete. Da saß er, Alexo, die Schreckensgestalt aus meinen Albträumen, an einen Stuhl gekettet, übersät mit Blut, das nicht gänzlich sein eigenes sein konnte. Obwohl geschwächt, hauchte sein Brustkorb noch das Zeichen des Lebens, und das unablässige Steigen und Sinken seines Atems war Zeuge einer verblassenden Beharrlichkeit. Mein Herz erstarrte, als ich in seinen Zustand schaute; aus den Tiefen meiner Seele brodelte eine düstere Furie empor, genährt von Erinnerungen an Verfehlungen und schmerzlichen Verlust. "Jenny...", entwich es mir gedankenverloren. Wo mochte sie sein, wenn nicht, in den Klauen dieses Ungeheuers? Wir waren in die Höhle des Löwen eingedrungen, in die Villa, doch sie fand sich nicht unter den Schatten ihrer Gemäuer. Die Ungewissheit um ihr Schicksal hieb tiefer als jedes Schwert. Das Innerste dieser Kammer offenbarte die Werkzeuge von Schrecken, geordnet mit einer solch kalten Effizienz, dass es das Blut in den Adern gefrieren ließ. Klingen und Zangen, Sägen und Scheren, allesamt Instrumente einer dunklen Kunst, eingesperrt hinter einem Gitter, deren Zweck es war, Fleisch von willensbruchvollen Seelen zu schälen. Erstarrend bei dem Gedanken, was hier geschehen sein mochte, brachte ich ein stilles Gebet dar, dass diejenigen, die diese Qual erleiden mussten, lediglich die waren, die es verdienen. Drake, beiläufig und mit einer Stimme, die die Ruhe vor dem Sturm predigte, fragte nach meinem Befinden. Mit einer flachen Selbsttäuschung, die eher ihm als mir selbst galt, erwiderte ich, dass es mir noch gut gehe. Braden gelang es inzwischen, einen Eimer - vermeintlich erfüllt mit Wasser - hervorzuziehen und entlud seinen Inhalt über Alexos gebrochene Gestalt, ein Sturm von Erwachen, ein Strudel aus Panik. "Willst du reden, Alexo?" war Bradens Frage, tief und drohend, doch von dem Gefesselten kam nichts als Hohn. Dann der Anblick Drakes, der sich mit bedrohlich ruhiger Stimme anschickte, in die Rolle des Verhörenden zu schlüpfen. Im fahlen Schein des Lichts wähnte er sich als Meister des Schmerzes, als er ein Messer auswählte - klein, doch in seiner Bestimmung unermesslich. Und Alexo? Ein sturer Gegenpol, der spöttisch sein Schicksal herausforderte. Doch als das Messer sich seinen Weg in sein Fleisch bahnte, entglitt ihm das Grinsen, und aus seinen rasenden Atemzügen gebar sich der reine, ungetrübte Schmerz. Sein Finger war ab. Die Luft in dieser verdammten Kammer verdichtete sich, als Drake seine Frage wiederholte, schärfer, giftiger. Mit der Enthüllung, dass Jenny tot sei, tauchten wir in eine Spirale der Verzweiflung, eine Lüge, so durchschaubar, und doch tödlich in ihren Konsequenzen. Diese Erzählung, so finster und so wahr, markiert die Schritte von drei Seelen, verstrickt in einem Netz aus Vergeltung, Verlust und der seltenen Genugtuung, die nur die Gerechtigkeit spenden kann. Was könnte geschehen, wenn er die Wahrheit sagt? Nein, das ist unmöglich; er lügt, er muss lügen. Mein Blick fällt auf den abgetrennten Finger, der auf dem Boden liegt, Übelkeit erfasst mich, und der metallische Geruch von Blut dringt in meine Nase. Blut rinnt aus seiner Hand; es bildet einen dunklen Fleck auf dem schmutzigen Untergrund. "Sollen wir ohne dich fortfahren?" fragt Barden mit einem beiläufigen Ton, der die Situation noch grausamer erscheinen lässt. "Nein", erkläre ich schnell, mit einer Stimme, die fester klingt, als ich mich fühle, "ich will dabei sein." Drake, in seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit, greift nach dem Messer und führt es an den Oberschenkel unseres Gefangenen, genau dorthin, wo ich ihn zuvor schon getroffen hatte. Ein Schrei des Schmerzes entfährt ihm, während wir Zeuge seiner Qual werden. Einen kurzen Moment lang verliert Alexo das Bewusstsein, und wir warten in beklemmender Stille, bis er wieder bei Sinnen ist. "Er ist schwach, hat viel Blut verloren", konstatiert Drake mit einer fast geschäftsmäßigen Distanz. "Aber falls er nicht redet, werde ich nachdrücklichere Methoden anwenden müssen." Um die Wartezeit zu verkürzen, schüttet Barden erneut Wasser über den Bewusstlosen, ungeduldig darauf wartend, dass er zu sich kommt. Alexo keucht erschrocken nach Luft und Drake spottet, "Wir haben noch nicht einmal richtig begonnen, und du gibst schon auf." In seiner Hand glänzt bereits ein anderes Messer, das er drohend nahe an Alexos Ohr hält. "Wo ist sie? Rede, oder dein Ohr muss dran glauben", droht er, während seine Finger dem Messer erlauben, leicht in die Haut zu schneiden. "Ich habe doch gesagt, sie ist tot ..." Alexos Antwort lässt Drake nicht gelten, der mit zunehmender Brutalität nachhakt. Braden, dessen finstere Stimme durch den Raum hallt, verspricht und droht zugleich mit einem langen, schmerzvollen Tod. Das flößt mir eine Angst ein, die mich bis ins Mark erschüttert. "Sie ist bei Enriquo", gesteht Alexo schließlich. Drake, mit einem Funken von Wut in seinen Augen, fordert sofort die Adresse. "Sag es!", befiehlt er, diesmal lauter. Ein kalter Schauder durchläuft meinen Rücken bei dem Gedanken an weiteres Blutvergießen. "Ich weiß es nicht", wimmert Alexo. Drake gibt ihm eine letzte Chance, leiser nun, aber jeder seiner Worte trägt das Gewicht eines drohenden Unheils. Plötzlich überkommen mich Erinnerungen - Bilder von Opfern, von Frauen, und ich kann nicht länger schweigen. "Wie viele Frauen hast du schon vergewaltigt, du verdammt verachtenswerter Narr?", schreie ich, außer mir vor Wut und Ekel. Braden ergreift meine Hand, versucht mich zu beruhigen, während ich zittere - getrieben von der Notwendigkeit, dass Alexo für all seine Vergehen bezahlt. Doch Alexo lacht nur, provozierend, genießt es vielleicht sogar, mich in Rage zu sehen. Und ich fühle mich wahnsinnig, erzürnt von seinem Grinsen, das mich zu noch größerem Zorn antreibt. Drake agiert blitzschnell und bevor ich begreife, wie es geschehen kann, hat er bereits einen Teil von Alexos Ohr abgetrennt. Der Anblick, der Geruch, das Geräusch - zu viel für mich. Mit letzter Kraft drehe ich mich weg und entleere den Inhalt meines Magens in einen Eimer. Die Szene, die sich hier abspielt, ist eine finstere Schachpartie: Eine Frage nach Wahrheit und Lüge, ein Spiel um Leben und Tod. Hier, in dieser unterkühlten Atmosphäre, regiert nicht die Gerechtigkeit, sondern einzig das Gesetz des Stärkeren. Eine Welt, in der Menschlichkeit und Gewalt in einem ständigen, erbitterten Widerstreit liegen und jedes Wort, jeder Blick, jede Geste das Schicksal eines anderen zu besiegeln vermag.

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