Kapitel 49

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Kapitel 49

Drake

Mit gespannter Erwartung sitzen wir, bereit die Reise zu beginnen, im kühlen Schatten der Abenddämmerung. Braden, mit beherrschter Miene und einer Ausstrahlung, die angeborene Führungskraft verrät, sitzt mit einem unserer treuesten Wachmänner am Steuer unseres Konvoi-zentrierenden Fahrzeugs. Hinter den beiden ich mich selbst, eingehüllt in die wohlige Wärme von Ellas Nähe, deren Hand in meiner zittert - ein leises Echo ihrer inneren Unruhe. Vor uns bilden drei Autos, beladen mit unserer loyalen Mannschaft und Alexo, eine schützende Front, während zwei weitere Fahrzeuge unser Rückendeck formen. Eine stählern anmutende Phalanx auf vier Rädern, die nur ein Ziel kennt: sicher in das Herz der Stadt zu gelangen, zu dem Ort des vorbestimmten Treffens mit den de Konza, ein Ort, der nur einen Steinwurf entfernt liegt von dem klandestinen Konklave unseres Großvaters und meines Vaters. Ella, in einem nervösen Auf und Ab der Gefühle, scheint beinahe jeden Kilometer mit ihrem Herzen zu messen, während ich fest ihre Hand halte, als möchte ich ihr meine ganze Kraft übertragen. Braden wiederum - der einzig durch die Notwendigkeit des Fahrvorgangs abgelenkte - scheint in seiner konzentrierten Distanz die Turbulenzen um ihn herum auszublenden, vielleicht, um sich nicht der eigenen Angst zu stellen, oder um sie zu verbergen. Die Ankunft gleicht dem Öffnen eines eisernen Vorhangs, das Tor zu Enriques Festung schwingt auf, und wir rücken mit all unseren Männern ein, ein Jeder von uns bereit für das, was kommen mag, geschützt durch kugelsichere Westen wie moderne Ritter in einer alten Fehde. Ein Schachbrett aus Menschen und Maschinen spannt sich vor uns auf, die Gefolgschaft der de Konza formiert sich, und aus dem Schatten der Eingangstür tritt jener alte Mann hervor – eine Kontur, die ich mit verschwommener Sicherheit in den Gesichtern auf Großvaters alten Fotos wiedererkenne, an seiner Seite Enriquo und Shana. Es ist ein Tanz der Diplomatie und des Misstrauens, den sie aufführen, als sich Großvater und der Alte mit vertraulicher Geste begegnen. Ist es die Freude über ein Wiedersehen, die ich in ihren Mienen lese, oder die gleißende Maske alter Gewohnheit? Ellas Griff um meine Hand wird fester, ihr Zittern greifbarer, denn die Angst malt Schatten über ihre Eigenschaften, während die beiden Patriarchen sich umarmen, Rücken klopfend in einer noch unbekannten Verbundenheit. Verwirrt frage ich mich, welche Geheimnisse hier spielen. Welche vergangenen Geschichten verknüpfen meinen Großvater mit diesen Menschen? James, wie lange war es her, seit wir das letzte Mal unser Glas erhoben haben? Zehn Jahre, oder gar mehr? lässt der alte Mann seine raue Stimme durch die Stille wogen. Andrej, es ist eine Ewigkeit vergangen, erwidert Großvater und hält inne, während er seine Umgebung mustert, nur um unverzüglich ein anderes Thema anzuschlagen. Etwas lastet schwer in der Luft. Enriquo, dessen Züge sich vor Anspannung und Stress krümmen, verleihen der Szenerie eine bedrückende Schwere. "Lasst uns eintreten," schlägt Andrej vor, und wir folgen, ein Strom von Schicksalen, der sich in die Ungewissheit einer nächtlichen Versammlung ergieß. In der Villa finden wir das Werk von Andrej De Konza. Seine Fotografien sind überall verstreut und offenbaren einen Kosmos voller Intensität und Gefühl. Porträts eines Lebens, und zwischen den Fotos entdecken wir offensichtlich – die Silhouetten von Enriquo und, auf einigen der Bilder, auch die von Alexo. An einem Tag, der in der Erinnerung als Wendepunkt verankert ist, leitet uns Andrej durch die labyrinthischen Korridore der Vergangenheit in ein Art Büro, dessen Herzstück ein monolithischer Tisch bildet. Um diesen Tisch versammeln sich die Schatten der Vergangenheit und Zukunft, ein stiller Zeuge der Entscheidungen und Konflikte, die dort ausgebreitet werden. Unser Gefolge zerteilt sich dabei; einige unserer Männer bewachen die Türschwellen, während andere im Dunstkreis unserer Unsichtbarkeit verharren. Und innerhalb dieser vier Wände, die mehr Zeugen als nur den Tisch in ihrer Mitte beherbergen, bleiben die engsten Vertrauten. Der Großvater – weise und gezeichnet von der Last des Gelebten – offenbart Andrej die Taten, die unsere Familiengeschichte in ein leises Chaos gestürzt haben. Die Verwirrungen durch Shana, die Tücke, die sich hinter den Handlungen von Enrique und Alexo verbirgt, werden entblößt. Der schwere Mantel der Verantwortung liegt auf seinen Schultern, als er spricht, seine Worte dringen tief und lassen die Luft im Raum erzittern. Doch Andrej, dessen Zusagen im Raum widerhallen, beruhigt mit der Gelassenheit eines Mannes, der keine Furcht kennt, das prasselnde Feuer der Sorgen. Er verkündet mit Bestimmtheit, dass Ella und wir uns Frieden gewähren und sich für jedes Unheil entschuldigen werden. In einem Atemzug der Überraschung entfaltet sich die Wahrheit wie die Flügel eines Schmetterlings: Alexo ist nicht das Blut, das Andrej einst in seinen Adern glaubte. Eine Wendung so unerwartet, – und doch gibt es keinen Schock, nur stilles, emotionales Erwachen. Ella, eine Präsenz so zart und doch so stark, hält meine Hand, eine unerschütterliche Säule inmitten des stürmischen Meeres. Shana, ein Orkan von Gefühl und Widerwillen, wirft Blicke, die wie vergiftete Pfeile fliegen, doch treffen sie nicht; die meiste Zeit ruhen ihre Augen auf mir. Doch unter ihrer Oberfläche schwelt eine Welt, die wir nicht wieder ergründen möchten. Es ist Zeit, den Knoten der Vergangenheit zu lösen. Der Großvater gibt das Zeichen, und Alexo nun ein gebrochenes Bild der Reue, betritt den Raum. Enriquo, erschüttert und verloren in den Wirren des Moments, sieht den jungen Mann, gezeichnet von seinen Taten und Verletzungen und verstümmelt bis ins Innerste seiner Seele. Der Schmerz spricht Bände, und in den Augen der Anwesenden spiegeln sich die Schrecknisse und Abscheu. Doch ist da auch eine stille Anerkennung der gerechten Vergeltung. "Alexo, was hast du nur angerichtet?" Die Frage, die Andrej stellt, bohrt sich durch die Stille, eine Klage, die keine Antwort erwartet. Alexo, fallen gelassen in den Abgrund des Schocks, hat keine Worte, nur einen Blick, der um Gnade fleht oder vielleicht um ein Ende des Sturms, der sein Leben verwüstet hat. "Ich werde mich um ihn kümmern," verspricht Andrej mit der ruhigen Autorität eines Felsens im aufgewühlten Ozean. "Er wird euch nicht länger belästigen." Ein Schwur, der uns die versprochene Ruhe bringt. Großvater nimmt Abschied von dem Mann, der das Unheil in die Wege leiten konnte. Und so, auf ungreifbaren Schwingen der Hoffnung, verlassen wir den Ort des Urteils und fahren heimwärts, einem unbekannten Morgen entgegen.

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