Kapitel 7

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Kapitel 7

Ella

Als ich aufwachte, war die Frische des Morgens erfüllt von der Abwesenheit von Drake. Die Spur seiner Gegenwart war verschwunden, als ob er nie dort gewesen wäre. Vielleicht war es nur eine Illusion, eine Manifestation meiner Sehnsucht. Seine unerwartete Güte hatte mich aus der Bahn geworfen. War er nur ein Rätsel, das ich nicht lösen konnte, oder hatte ich einen Fehler gemacht, ihn so nah an mein Herz zu lassen? Seine Attraktivität war kein Geheimnis. Seine magnetische Aura, sein Charme, sie zogen mich unwiderstehlich an, erfüllten mich mit einem Gefühl von Furcht und Hoffnung. Aber warum? Warum musste er so blendend sein, wenn sein Herz nur Wut für mich hegte? Er hat mir selbst zugeflüstert, dass er mich und meine Mutter verschwinden sehen wollte, um jeden Preis. Ich fühlte mich schwindelig, während ich versuchte, Distanz zwischen uns zu schaffen. Ich hatte ihm zu viel von meinem Innersten gezeigt. Und doch, das wahre Übel war nicht Drake, sondern meine eigene Mutter. Ihre Schläge waren mehr als körperliche Verletzungen, sie waren Verrat. Ihr endloses Lügen hatte mein Vertrauen in Menschen zerstört. Ich hörte meinen Namen aus der Tiefe des Hauses aufrufen. Kommst du runter, Jeremy will heute mit allen frühstücken und du sollst mit dabei sein, sagte sie mit jener Stimme, die in mir Widerwillen erregte. Mit einem schweren Seufzer bestätigte ich mein Kommen. Ich zog mich schnell in meine schwarzen Leggings und meinen rosa Strickpullover an, band meine Haare zu einem hohen Zopf. Mein Spiegelbild starrte zurück, ein stummer Zeuge meines inneren Kampfes. Aber heute, heute würde ich stark sein. Tief atme ich ein, versuche, meine Nervosität zu beruhigen, bevor ich das Esszimmer betrete. Das ist der Ort, an dem wir alle zusammen essen; die Küche bleibt für die anderen Mahlzeiten. An diesem Morgen saß ich gegenüber von Drake und Braden, genau wie am ersten Tag. Als die Letzte, die ankam, fühlte ich wie alle Augen sich auf mich richteten. Besonders Drake, der gerade dabei war, sein Brötchen zu buttern, schien mich intensiv zu beobachten. Ella", kam Jeremys Stimme zu mir über den Tisch. Wie geht es dir? Ich habe gehört, du warst gestern in deiner alten Stadt. Hat es dir gefallen? Du vermisst sie sicher, aber denke daran - wir sind jetzt deine neue Familie." Sein Interesse verwirrte mich und ich runzelte die Stirn. Warum er sich so sehr interessiert? Als ich ihn beobachtete - wie er mit seiner Gabel eine Kirschtomate aufspießte - fiel mir plötzlich der Ring an seinem Finger auf. Dieser Ring, den ich immer wieder in meinen Träumen sehe, Bedeuten die Ringe etwas Besonderes?", fragte ich ihn spontan. Ja", antwortete Jeremy, seine Augenbraue sich hebend. Das sind Familienerbstücke. Warum fragst du?" Sie sind mir einfach aufgefallen und ich dachte, ich frage mal nach." Eine plumpe Ausrede, sicherlich. Aber besser fiel mir spontan nichts ein. Schnell wandte ich mich meinem Frühstück zu, um weitere Fragen zu vermeiden. Ich habe von Shana gehört, dass du an Amnesie leidest", bohrte Jeremy weiter. Kannst du dich wirklich an nichts erinnern?" Ich fühlte mich wie bei einem Verhör. Was steckte eigentlich dahinter? Ich kann mich wirklich an nichts erinnern", erwiderte ich knapp. Was im Sommer passiert ist - es ist einfach weg. Und es kommt nicht zurück." Jeremy sah mich über den Tisch hinweg an, sein Blick unergründlich. Shana hat erwähnt, dass du nur hingefallen bist, hast du dir den Kopf verletzt. Nach der Verletzung konntest du dich nicht mehr erinnern. Sie meint, es ist nichts Schlimmes passiert." Wut brodelte in mir auf. Er analysierte und zerstückelte meine Geschichte, während die Anderen grinsten. Ich fühlte meine Hände sich zu Fäusten ballen. Ich denke, du bildest dir etwas ein und deine Mutter hat recht", fuhr Jeremy fort. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Was versucht er hier eigentlich? Was ist zum Teufel los, dass jeder davon ablenkt die wissen etwas: ich sehe zu Drake und Braden, die nur dasitzen und zu ihrem Vater sehen... Jetzt erkenne ich die subtilen Manipulationen in seinen winkenden Worten. Er versteckt sicher geschickt die Unschönheiten der Realität hinter trügerischen Versprechungen von Normalität. Aber ich werde mitspielen, zumindest für den Moment, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Ja, ganz bestimmt, antworte ich ihm mit einem Lächeln, während seine Finger über den Ring gleiten. Ich zweifle, ich hadere, ich hinterfrage... Und dennoch kann ich nicht leugnen, es ist sein Ring. Als Jeremy aufsteht und meine Mutter auf die Wange küsst, spüre ich eine Kälte in meinem Herzen. Wir müssen gehen, Mädels. Ihr seid heute allein zu Hause. Ich nehme die Jungs mit, wir haben zu tun. Habt einen schönen Tag. Die Worte meiner Mutter hallen wie ein schlimmes Omen nach. Ja, das werden wir haben, mit Sicherheit. Ihr Grinsen ist genauso kalt wie das Gefühl in meinem Magen. Als sie gegangen sind, sitze ich in meinem Zimmer und bete, dass sie nicht kommen wird. Eine Stunde ist vergangen, und bis jetzt blieben meine Gebete erhört. Doch plötzlich öffnet sich die Tür, und in ihrer Hand schimmert ein Gürtel bedrohlich. Ein Gefühl der Angst überfällt mich, dass ich seit der Scheidung nicht mehr gespürt hatte. Ich erinnere mich, wie sie es oft getan hat, mich nach der Trennung zu schlagen. Ich hatte ihm nie davon erzählt, aus Angst, es könnte alles nur noch schlimmer machen. Warum hörst du mir nie zu, wenn ich dir etwas sage, Ella? Du solltest auf deine Mutter hören. Ihre Worte sind wie Messer, die langsam in mein Herz sinken. Die Schläge fallen unaufhörlich und unerbittlich, immer wieder auf dieselbe Stelle. Jeder Aufschlag lässt mich vor Schmerz zusammenzucken, doch ich weiß, bald wird nur noch ein blauer Fleck davon zeugen. Tränen laufen meine Wangen hinab und ich spüre nur noch das brennende Verlangen, sie zu hassen. Ich hasse sie so sehr. Erschöpft von ihrer grausamen Erziehung, keucht sie schließlich: Ich muss jetzt wegfahren. Wehe, du machst hier irgendetwas – es sind überall Kameras, ich werde es sehen. Der Schmerz lässt meine Stimme versagen, also antworte ich ihr nur mit einem Nicken. Ein stummes, leidvolles Nicken, das mehr als tausend Worte sagt. Ich rolle mich zusammen, form mich zu einer Kugel auf dem kühlen Boden. Einsamkeit umhüllt mich wie ein Mantel, und ich liege da, eingehüllt in quälenden Gedanken. Ich überlege, was ich noch tun kann, um diese Stille, diese Dunkelheit zu durchbrechen. Kann es wirklich sein, dass dies alles ist, dass dies mein Leben ist? Der Schmerz nimmt zu, erstickt jeden Funken Hoffnung - es ist kein Leben auf diese Weise. Jeder Atemzug, den ich nehme, fühlt sich wie eine immense Anstrengung an. Jeder Herzschlag ist eine schmerzhafte Erinnerung an das, was war und was hätte sein können. Aber ich weigere mich aufzugeben. Jeder Atemzug, jedes Herzpochen, ist ein Kampf gegen die Dunkelheit, gegen die Verzweiflung. Und solange ich atme, solange mein Herz schlägt, weiß ich, dass ich eine Chance habe, einen Weg zu finden, damit es aufhört, damit ich wieder lebe - wirklich lebe - anstatt bloß zu existieren."

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