Kapitel 20

35 3 0
                                    

Kapitel 20

Ella

Ich hoffe so sehr, sie finden mich nicht. Die Worte klingen in meinem Kopf wie ein verzweifeltes Gebet. Nicht, dass ich besonders religiös wäre, aber in solchen Momenten neigt man dazu, an höhere Kräfte zu glauben. Ich habe ihn erkannt. Der Mann, der wie ein Bösewicht aus einem billigen Horrorfilm ständig in meinen Träumen herumschleicht, ist real. Er ist real und er ist hier. Und das ist pure, eiskalte Angst. Was hat der mysteriöse Fremde mit dem Fall zu tun? Was ist damals nur passiert? Ich hatte immer gedacht, das wären nur böse Träume, Albträume, nichts weiter. Aber heute? Heute sah ich ihn - diesen Mann - leibhaftig, in Fleisch und Blut. Die Alarmglocken in meinem Kopf läuteten wie verrückt. Ich muss hier weg, denke ich, so schnell wie möglich. Ohne nach einem bestimmten Ziel zu suchen, stürmte ich in mein Zimmer und schnappte mir meine Jacke. Nur weg, weg von hier. Ich wusste, dass ich hier nicht sicher war. Nicht bei meiner Mutter, nicht bei Jeremy, und schon gar nicht bei Braden und Drake. Sie würden immer zu ihrem Vater halten, nicht zu mir. Das konnte ich nicht riskieren. Ich tauchte in den schützenden Schatten des Waldes ein. Bald wird es dunkel. Bei einem meiner morgendlichen Spaziergänge war ich tiefer in den Wald vorgedrungen und hatte dort eine kleine Hütte entdeckt. In diese bin ich nun gelaufen. Ich musste beten, dass sie mich hier nicht finden. Die Hütte liegt abseits des Hauses, etwa 30 Minuten Fußweg entfernt. Da ich jeden Tag in den Wald gehe, hinterlasse ich stets meine Fußspuren. Aber wenn sie die Spuren finden, die weiterführen als sonst, dann...dann ist es vorbei. Die Hütte ist unbewohnt. Ein Zeichen dafür ist der allgegenwärtige Staub. In der Hütte gibt es sogar zwei Betten: ein großes Kingsize-Bett und ein kleineres. Es ist Dosenessen vorhanden, das nicht abgelaufen ist, doch das sollte für ein paar Wochen reichen. Ich muss mir überlegen, wie ich weiter vorgehe, aber zuerst muss ich den Kamin anheizen. So etwas habe ich noch nie gemacht, aber ich bin zuversichtlich, dass ich das Schaffen werde. Nach ein paar Fehlversuchen habe ich es doch hinbekommen und langsam wird es innen warm. Sie könnten den Rauch sehen oder das Licht, falls sie nochmal losgehen, um mich zu suchen. Suchen sie immer noch? Ich habe jedoch keine andere Wahl, als hier zu bleiben und abzuwarten, da ich nirgendwo anders hingehen kann. An der Wand hängt eine Uhr. Sie zeigt, dass es jetzt 16:30 Uhr ist. Draußen ist es fast dunkel. Strom gibt es hier nicht, doch ich habe einige Kerzen gefunden. Ich zünde ein paar an. Es wird zwar nicht besonders hell und auch der Kamin beleuchtet nur einen Teil des Raumes, aber es reicht für mich. Ich schaue in alle Schränke und finde mehrere Taschenlampen und Batterien. Ich hoffe, sie funktionieren noch alle. Die erste Taschenlampe geht nicht, doch die zweite funktioniert. Bei der ersten wechsele ich die Batterien aus und ja, sie funktioniert wieder. So da sitze ich nun, großartig, oder? In einer verschneiten Hütte, die seit wer weiß wie lange niemandem mehr gehört. Eingefroren, abgeschieden von allem und jeden, ganz meine eigene kleine Winter Wonderland-Hölle. Hach, prickelnd. Die Blicke aus dem Fenster sind meine einzige Unterhaltung, abgesehen von alten Fotoalben und Büchern, die ich gefunden habe. Ganz zu schweigen von den ganzen Spinnweben, die ich entfernt habe - ja, wirklich spaßig, das Ganze. Auf den Fotos ist ein alter Mann mit zwei Jungs. Sie könnten so fünf und sieben sein, wer weiß das schon. Und oh Überraschung, der alte Mann sieht Jeremy verblüffend ähnlich. Vielleicht ist das sein Vater? Und das sind Braden und Drake als Kinder? Tja, dann kann ich wohl bald mit Besuch rechnen. Denn wenn die Hütte ihnen gehört, wird es nicht lange dauern, bis sie mich finden. Ich hoffe nur, sie haben vergessen, dass die Hütte existiert. Es ist eiskalt hier. Der Kamin ist aus. Ich habe natürlich vergessen, Holz nachzulegen. Wie konnte das nur passieren? Nun, ich ziehe mir meine Jacke über und gehe raus, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Alles so schön verschneit draußen, weiß und rein. Ein echter Wintertraum. Aber hey, zumindest wurden meine Spuren vom Schnee bedeckt - Glück muss man haben, oder? Zurück in der Hütte mache ich mir einen Kaffee. Es gibt genug Wasserflaschen, also muss ich den Schnee nicht schmelzen und trinken. Ehrlich, darauf hätte ich auch wirklich verzichten können. Es gibt viele Unannehmlichkeiten hier, wie die Toilette im Freien und das Fehlen einer Dusche. Aber wen kümmert's? Ich habe schließlich andere Probleme. Und nach all der Arbeit ist die Hütte jetzt ziemlich sauber. Ich könnte hier wohl für eine Weile leben. So romantisch. Nun sitze ich fix und fertig da und starre aus dem Fenster - eine wirklich erhebende Erfahrung.

The Truth Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt