Das Gespräch

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Dea wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Loki erwachte. So überraschend er Dea im Schlaf fest an sich gezogen hatte, so überraschend ließ er sie jetzt los mit einem Blick, als würde er sich schämen, das er in ihren Armen lag:
„Tschuldigung…….“
Er setzte sich stöhnend etwas auf und blickte Dea wieder an. Diese Augen! So unglaublich grün, tief, traurig! Dea schluckte und fand es schade, das er sie losgelassen hatte, aber sie wollte ihm Zeit geben. Sicherlich war er so viel Zuwendung nicht gewohnt. Wer wusste schon, wie es in seiner Welt aussah! Trotzdem wollte sie für ihn da sein. Vielleicht half sie ihm ja damit:
„Bitte nicht entschuldigen! Es ist ok.“
Sie richtete sich auf und setzte sich nur auf die Bettkante. Sie wollte nicht, das er sich bedrängt fühlte.
Loki ließ sich fast schon hoffnungslos in die Kissen sinken. Dea konnte es kaum ertragen ihn so zu sehen. Er war ein Gott, er sollte doch strahlend und vor Kraft strotzend sein und nicht wie ein Häufchen Elend hier im Krankenhaus liegen mit der Aussicht auf die Psychiatrie! Ganz vorsichtig nahm sie seine Hand, er zog die seine nicht weg sondern schaute nur zur Seite:
„Loki……Ich will dir nur helfen! Die stecken dich in die Psychiatrie, wenn du so weiter machst. Ich mache mir furchtbare Sorgen um dich. In dieser Psychiatrie…….du wirst es da nicht aushalten…..Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Bitte sieh mich an! Rede mit mir!“
Die grünen Augen richteten sich auf sie und blickten sie verständnislos  an:
„Psychiatrie…….Was ist das?“
Sie schaute ihn fragend an. War er so lange schon nicht mehr in Midgard gewesen, das er keine Klapsmühle kannte? Sie holte besorgt Luft:
„Weißt du, das ist eine Einrichtung in die sie Menschen tun, die Selbstmord begehen wollen oder anders sind als alle oder die in der Seele krank geworden sind.“
Loki schaute resigniert:
„Bettlaken zum aufhängen gibt es da sicherlich auch.“
Dea erschrak. Dachte er wirklich nur daran? Das konnte doch nicht sein! Ein Blick in seine Augen aber verriet, das dies sehr wohl sein konnte. Der Lebensmut, den man sonst in den Augen sah, war verloschen. Sie streichelte seine Hand:
„Nein, Loki…daran darfst du nicht einmal mehr dran denken. Die Menschen brauchen dich!“
Er schaute sie an, auf seiner Stirn erschienen kleine Falten, seine Nase kräuselte sich ein wenig unter den Augenbrauen. Anscheinend glaubte er nicht, was er da hörte:
„Die Menschen brauchen mich? An meine Wenigkeit glaubt doch eh niemand! Wären diese seltsamen Marvel- Filme nicht, würde mich nicht Mal ein Prozent der gesamten Menschheit kennen! Und diese neumodischen……Wie heißen diese Möchtegern- Hexen doch gleich? Wicca?  Oder wie auch immer…….Mal ganz ehrlich! Glauben, sie kennen einen Gott in- und auswendig, beten ihn an und wofür? Um anderen zu schaden, weil irgend so ein findiger Arsch den christlichen Glauben erfunden hat und uns alle durch den Kakao gezogen hat damit! Ich werde mit dem Teufel gleichgestellt! Mit dem Teufel! Hallo? Das seltsame Viech, das man erfunden hat, das angeblich Abgrundtief böse ist, irgendwo ein Loch betreibt, das Hölle heißt, wo es gern Seelen quält und wo es glühend heiß drin ist. Mit sowas vergleicht man mich! Angeblich habe ich ja auch Hörner, so wie der, oder einen Helm mit Hörner oder ….ach zum Kuckuck damit! Ich pfeif auf die Menschen, sie können mich mal gern haben! Hab genug eigene Probleme, da brauch ich keine Neuheiden, Wicca, weiß der Henker was. Und wenn ich nicht mehr da bin, vermisst mich eh keiner! Wer denn auch? Die Gewitterziege, die mal meine Frau war? Mal ganz ehrlich, was soll ich denn noch hier? Versetz doch doch mal in meine Lage! In Vergessenheit geraten, als bitterböse hingestellt……meine erste Frau ermordet, die zweite  ein habgieriges Miststück, die sich nur mit mir schmücken will, mein eines Kind verbannt, das andere irgendwo festgebunden, das dritte verschleppt und meine zwei jüngsten werde ich wohl nie wieder sehen. Und dazu…….ist ja auch egal.“
Dea hatte Tränen in den Augen. Aus diesem Blickwinkel hatte sie das noch nie betrachtet, aber er hatte ja Recht! Das musste sie zugeben! Aber sich deswegen das Leben nehmen? Und dazu……dazu was? Vielleicht erzählte er es ihr noch? Sie wollte ihn aber nicht drängen. Er sollte es ihr von allein erzählen , aber dafür brauchte er wahrscheinlich Zeit und morgen würde bereits der Psychiater kommen! Wenn sie es bis dahin nicht hinbekam, das Loki wenigstens etwas mitspielte, würde man ihn in die Geschlossene verlegen und das wollte sie unbedingt verhindern. Sie schaute ihn liebevoll an:
„Naja, man sagt, Fenrir sei hier irgendwo angebunden. Wenn wir ihn finden würden, könnten wir seine Fesseln lösen. Jörmungandr ist sowieso in Midgard und ich weiß auch wo. wir können sie sicherlich besuchen. Hm. Bleibt noch Hel.  Da finden wir bestimmt auch eine Lösung. Vielleicht wenn sie dich besucht……wir sind hier in einem Krankenhaus, hier sterben Menschen, sie werden nicht nur gesund. Wenn wir einen Sterbenden eine Botschaft von dir für sie mitgeben, weiß sie, das du hier bist. Vielleicht kommt sie ja kurz zu dir. Und bei Vali und Narfi stehe ich dir bei. Wir schaffen das schon gegen Sigyn. Zusammen sind wir stärker.“
Loki lächelte nur schwach und müde:
„Das ist sehr lieb von dir, danke……aber ich kann nicht mehr. Ich bin müde. Müde von den Jahrmillionen….den Jahrtausenden….den Jahrhunderten…..meine Schmerzen sind mittlerweile so groß, das du sie dir nicht einmal ansatzweise vorstellen kannst. Ich bin derer leid. Ich kann das  nicht mehr ertragen und will es auch nicht mehr. Seit jeher war ich ein Spielball der Belustigung, der Sündenbock, das Opfer, das leiden durfte. Nein. Es wird besser so sein. Lass mich einfach gehen. Lass mich sterben.“
Seine Augen waren voller Tränen, in seinem Gesicht so große Hoffnungslosigkeit, das es einfach nur weh tat. Wie sehr musste dieser Gott doch gelitten haben! Und das für eine unwahrscheinlich lange Zeit. Eine Zeit, die sich Menschen mit ihrem kurzen Dasein unmöglich vorstellen konnten. Dea  schluchzte auf, als sie mit tränenerstickter Stimme flüsterte:
„Ich kann nicht…….ich kann es einfach  nicht. Loki, bitte……du hast mich nicht gehen lassen, du hast gewollt, das ich bleibe…. .“
Bei ihren Worten regte sich etwas in seinem Gesicht. Es war, als würde eine Erinnerung in seine Gedanken huschen von einer Zeit, die so ewig schon vergangen war, das sie mehrere Leben her sein musste und in der er ein wenig Glück erfahren durfte, denn seine Augen verklärten sich, sein Gesicht nahm einen sanften Ausdruck an, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen . Er wirkte abwesend, als würde er diese Erinnerung noch einmal erleben. Dea betrachtete ihn, störte ihn aber nicht, sondern verstummte. Sie hätte alles gegeben, um auch nur ansatzweise zu erahnen, an was er gerade dachte. Es musste etwas wunderschönes sein, etwas, das er erlebt hatte. Wenn sie heraus bekam, was es war, könnte sie ihn vielleicht retten und ihm seinen Lebensmut zurück geben. Aber wie sollte sie das anstellen? Sie hätte ja nicht einmal die leiseste Ahnung, welche Erinnerungen so ein Gott hatte. Er sprach von Jahrmillionen. Er hatte so viel erlebt, wie es sich ein Mensch nicht mal ansatzweise vorstellen konnte.

Let me dieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt