Das Knarren machten diesen Moment fast unheimlich, als Jaime mit zwei Bechern und einem Krug Wein in Lyannas Zimmer eintrat. Anders als sie war er nicht umgezogen. Er trug noch genau das, was er auch schon im Götterhain trug. Als Jaime sich Lyanna näherte, fühlte sie sich wie ein Reh bei der Treibjagd, in eine Ecke gedrängt und als die schwere hölzerne Zimmertür ins Schloss fiel, ohne jeden Ausweg. Lyanna sprang vom Bett auf und schlüpfte geschwind zwischen dem Bett und Jaime hindurch. Sie setzte sich so auf den Boden, dass zwischen ihr und Jaime möglichst viel Abstand war. Ihren Rücken lehnte sie an die Steinmauer, die selbst als Außenwand durch die heißen Quellen unter Winterfell nicht kalt, sondern eher warm war. Ihr Herz pochte, wie verrückt, als sie mit angezogenen Beinen zusammengekauert dort, wie ein Häufchen Elend auf einen erlösenden Moment wartete.
„Den habe ich vor Robert gerettet", meinte Jaime, während er die zwei metallenen Becher großzügig mit Rotwein aus dem Krug füllte. „Hier, das könnte helfen. Wir trinken erst einmal und dann haben wir immer noch Zeit."
Während er auf dem Schemel zwischen Fußende des Bettes und Kaminfeuer Platz nahm und in die Flammen schaute, schob er Lyanna den mit Wein gefüllte Becher auf einem kleinen hölzernen Tablett hinüber, wobei dieser überschwappte. Lyanna griff den Becher und trank ihn in einem Zug leer, woraufhin Jaime schmunzelte. Danach fing er an zu erzählen. Er erzählte von seiner Kindheit, seiner Jugend, seinen Diensten als Knappe und Ritter und er sprach von dem Tag, als er „Der Königsmörder" wurde.
„Es war sehr mutig von Euch, Ser Jaime, dass was ihr für Eure Familie getan habt, meine ich."
Wieder grinste er nur. Da er aber diesmal seine blonden Haare hinter den Ohren hatte, konnte Lyanna erkennen, dass Jaime, wenn er lachte, mit den Ohren zuckte - lustig, wie sie fand.
„Ihr wart noch nicht einmal geboren, da habe ich schon meinen ersten Mann getötet..."
Jaime klang nachdenklich und verwundert, er atmete tief ein und drehte sich in Richtung seiner Braut.
„Hätte ich Euch nicht zur Frau genommen, hätte Robert euch zur Mätresse gewählt, ob Ihr es gewollt hättet, oder nicht. Robert mag zwar fett und alt sein, aber er hätte immer noch genug Kraft, um jemanden Eurer Statur zu überwältigen. Ich verstehe, dass Ihr mit keiner der zwei Möglichkeiten zufrieden seid, aber ich will Euch versprechen, Euch nicht anzufassen, wenn Ihr es nicht wollt, Eure Ehre zu verteidigen und für Euch zu sorgen. Das kann ich aber nur, wenn Ihr, ohne Zweifel zuzulassen, meine Frau seid."
Lyanna schluckte, denn was er sagte, klang zumindest in ihren Gedanken logisch. Bereit dafür war sie aber trotzdem noch nicht, weshalb sie Jaime ihren leeren Becher ins Gesicht streckte. Wieder schmunzelte er, als er Arborgold in den Becher fließen ließ. Lyanna wunderte, ob an dem Grinsen und Gelache von Jaime der Wein schuld sein, oder ob sie sich einfach daran würde gewöhnen müssen.
Mittlerweile war es die Stunde der Geister, ganz Winterfell schlief. Hier und da hörte man leise Flügel flattern, sonst war alles ruhig. Überall war es dunkel wie die Nacht selbst. Einzig bei den Wachtürmen brannten noch die Fackeln. Auch aus Lyannas Zimmer schien noch das Licht des Kaminfeuers. Seit einiger Zeit unterhielten sich Jaime und Lyanna über alles Mögliche und versuchten, das Unvermeidbare hinauszuzögern. Zusätzlich hatte dieses Gespräch für Lyanna den Effekt, dass sie sich allmählich entspannte. Jaime schien doch nicht so ein schlechter Mensch zu sein, wie alle immer sagten. Als Lyanna Jaime ihren Becher rechte, damit der ihn wieder nachfüllen konnte, tropfte der letzte Rest Wein wie Blut aus einer frischen Wunde in den Becher. Ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass das Schicksal nun doch unausweichlich war. Lyanna sah Jaime mit flehenden Augen an.
Er stand auf, nahm die Becher und den Weinkrug und stellte sie auf einer Kommode ab. Er wandte Lyanna den Rücken zu, als er ihr sagte, sie solle sich auf das Bett legen. Ihr Herz begann wie wild zu pochen, noch stärker als jemals zuvor. Jaime drehte sich um und Lyanna schloss die Augen und wandte ihr Gesicht ab. Sie fühlte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, den Hauch seines Atems und das Kitzeln seiner blonden Haare an ihren Wangen. Sie spürte einen Schmerz, wie ihn Mutter beschrieb, als Jaime anfing. Lyanna kniff ihre Augen zusammen, doch die Tränen, die auf das Bett tropften, konnte das nicht aufhalten. Mit jedem Stoß betete sie zu den Göttern, zu den Alten und den Neuen und zu allen, die zuhörten, dass es bald vorbei sei. Sie versuchte, sich selbst zumindest in Gedanken abzulenken, aber auch das half nicht. Nichts half, es war ihr Schicksal. Nicht einmal Könige können gegen ihr Schicksal befehlen. Keine Armee, nicht die beste, nicht die größte, kann gegen das Schicksal ankämpfen. Arm und Reich, Mann und Frau, Kind und Alte, alle müssen vor dem Schicksal niederknien.
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The Red Wolf of the North
FanfictionMein Name ist Lyanna, älteste Tochter des Lord Eddard Stark und Lady Catelyn Tully. Das ist meine Geschichte, die Geschichte des Roten Wolfes des Nordens."