Nach einigen Wegstunden überquerten die Männer die Grenze von den Flusslanden zum Norden. Ein mulmiges Gefühl für Lyanna, nicht nur weil sie zum ersten Mal seit Jahren wieder in ihrer alten Heimat war, sondern weil sie nicht wusste, wie die wenigen Lords, deren Ländereien sie durchqueren mussten, auf eine Armee bestehend aus Lannisters reagieren würden.
Die sumpfigen Gebiete der Eng waren bereits für so manch Reisenden, der sich vom Königsweg abgewandt hatte, ein Todesurteil. Einmal eingesunken, konnte man sich nicht so schnell befreien. Gerade das schützte den Norden seit hunderten Jahren vor Angriffen aus dem Süden. Die Pfahlbaummänner, die sich oft in den dichten Baumkronen der Sumpfgebiete versteckten, erspähten Eindringlinge und führten sie in Hinterhalte, ohne jemals gesehen zu werden und überwältigten sie mit Giftpfeilen. Die Stimmung war dementsprechend sehr angespannt, als sie durch die Eng zogen.
Julen, der mittlerweile selbst auf einem Pony neben seiner Mutter her ritt, schien die Neugierde gepackt zu haben. Er fragte Lyanna über den Norden nach allem Möglichen. Sie musste ihm jedes Gewässer, jede Straße, jede Siedlung und jeden Berg benennen. Sie hatten die Eng schon fast passiert, als sie plötzlich aufgehalten wurden. Lyanna ritt nach vorne, um nach dem Rechten zu sehen. Zwei Männer blockierten den Königsweg, das Wappen, das sie trugen, kam Lyanna sofort bekannt vor.
„Was wollen so viele Südländer im Norden?", fragte einer der Männer.
-"Ihn zurückerobern, Mylords", entgegnete Lyanna, „Euer Lord, Howland Reet war schon immer ein guter Freund meines Vaters, Lord Eddard Stark. Kehrt zu ihm zurück und richtet ihm meinen Dank für seine Dienste aus".
„Das werden wir, Mylady. Aber er hat uns noch ein Geschenk für Euch mitgegeben", entgegnete der andere und Gab Lyanna ein Bündel aus Stoff.
Tränen füllten ihre Augen, als sie den Schattenwolf ihres Hauses auf dem Banner erkannte, das man ihr überreichte. Zu lange hatte sie das Wappen ihres Hauses nicht mehr gesehen. Es berührte sie so sehr, dass sie befahl, ein Bannerträger sollte es an der Spitze der Kolonne tragen.
So folgten sie dem Schattenwolf ohne weitere Zwischenfälle weiter nach Norden. Sie schlugen ihr Nachtlager an der teilweise zerstörten Burg Maidengraben auf, die einst die Ersten Menschen zur Verteidigung des Nordens errichtet hatten. Die Festung war seither nie durchgehend bewohnt, denn dafür war sie schon zu sehr verfallen. Jede Armee, die Maidengraben und die Sümpfe hinter sich lassen konnte, bedeutete für den Norden eine Bedrohung, so auch die Lannister-Arryn-Armee, die nach einer kurzen Nacht weiter durch die weitläufige Landschaft des Nordens marschierte.
Der Königsweg führte sie durch die Hügellande immer tiefer in den Norden, wo die Temperaturen immer kälter wurden. Aus strategischen Gründen verließen sie den Königsweg kurz nach der Brücke über die Weißklinge in Richtung Osten und umgingen so Burg Cerwyn, die nur einen Tagesritt von Winterfell entfernt lag. Sie erreichten eine Umgebung, die Lyanna nur zu gut kannte. Oftmals war sie mit Robb durch die Hügel rund um Winterfell geritten, eine Zeit, an die Lyanna sowohl mit Freude als auch mit Trauer zurückdachte. Die Hügel, die vor ihrer Abreise noch in einem saftigen Grün strahlten, wurden langsam kahl, Reif färbte sie zudem in einem leichten Grau. Hier und da lag schon Schnee, den Julen hier zum ersten Mal sah. Während manchen Ritten blies ihnen ein kalter Wind ins Gesicht, ein Gefühl, dass Lyanna vermisst hatte.
Da sie sich nun in unmittelbarer Nähe von Winterfell befanden, wurden Späher losgeschickt. Sie sollten nicht nur ihre Ankunft verkünden, sondern auch die Position des Lagers von Jon und Sansa herausfinden, damit sie sich ihnen anschließen konnten. Am Tag darauf kam aber niemand zurück. Lyanna fürchtete bereits, dass sie zu spät kamen, weshalb sie direkt nach Winterfell reiten wollte. Als nur mehr ein Hügel sie von Winterfell trennte, bemerkten einige Soldaten Rauch. Dort vermuteten sie das Lager.
Sie schickten einen weiteren Reiter, um die Lage zu beurteilen. Dieser kam sogar wieder und berichtete, dass das Lager leer war. Es gab keine Spuren von einer großen Armee, nur die Zelte und Feuerschalen wurden zurückgelassen. Es sah aber auch nicht aus, als hätte man es geplündert, weshalb noch Hoffnung bestand. Wenig später hörte man in der Ferne leise Geräusche. Je näher man Winterfell kam, desto lauter und deutlicher wurde der Lärm. Es war Eisen zu hören, das aufeinanderprallte und Männer schrien. Die Schlacht hatte bereits begonnen.
So war es leider auch. Sie folgten den Geräuschen zum Kamm eines Hügels, von dort aus konnte man Winterfell und die Ebene, die es umgab, sehen. Die Boltons hatten Jons Armee im wahrsten Sinne des Wortes eingekreist und es sah alles danach aus, als würden sie nicht mehr lange durchhalten können, doch dann starteten Lord Rois und Lyanna den Angriff. Einer der Ritter aus dem Grünen Tal blies in ein Horn, woraufhin die Pferde über den Hügel getrieben wurden. 4000 Mann auf Pferden stürmten die Ebene, während der Rest hinterherlief. Lyanna, Julen, Ser Garret und Yohn Rois beobachteten vom Kamm aus, wie ihre Soldaten durch die Reihen der Boltons brachen.
Nach dieser Rettung in letzter Minute bemerkte Lyanna, wie sich einige Reiter in Richtung der Burg entfernten. Einer von ihnen war vermutlich Ramsay, der sich nach der Niederlage im Feld vermutlich auf Winterfell verschanzen wollte. Ser Garret wollte sie noch aufhalten, doch Lyanna stieß ihrem Pferd in die Seiten und jagte dem Feigling nach.
Als sie das Tor von Winterfell erreichte, war es bereits durchgebrochen. Im Hof, wo Bran mit ihren anderen Brüdern immer Bogenschießen übte, lag ein gigantisches totes Wesen - ein Riese. Männer mit Armbrüsten und Bogen hielten ihre Waffen niedergeschlagen zu Boden, während ein Mann auf einen anderen, der auf der Erde lag, einschlug. Immer und immer wieder holte er mit seiner Faust aus.
„Jon?", fragte Lyanna zögerlich.
Der Mann stand auf und drehte sich zu ihr um. Obwohl seine schwarzen Locken ordentlich zusammengebunden waren und sein Gesicht von der Schlacht gezeichnet war, erkannte sie ihn sofort. Der Mann, den er zuvor verprügelt hatte, war Ramsay. Ihn zerrte man vorerst in eine Zelle, wo er auch hingehörte.
„Was machst du hier? Ich dachte, du wärst auf Casterlystein beschäftigt genug", stammelte Jon völlig fassungslos.
„Dir den Arsch retten, würde ich sagen", scherzte Lyanna, woraufhin Jon sie anlächelte und sie so fest umarmte, dass sie glaubte, bald keine Luft mehr zu bekommen.
Mittlerweile waren auch andere Reiter im Burghof eingetroffen, unter ihnen Sansa, die sich mit Brienne und Podrick im Lager versteckt hielt. Als sich die Schwestern zum ersten Mal seit Jahren wiedersahen, fielen sie sich gegenseitig um den Hals. Dabei musste Lyanna bemerken, wie sehr sich Sansa verändert hatte. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sondern bereits eine junge Frau. Auch Ser Garret hatte zwischenzeitig mit Julen Winterfell erreicht, weshalb Lyanna ihren Geschwistern ihren Sohn zum ersten Mal vorstellen durfte.
„Julen, das ist deine Tante Sansa. Sie war dabei als du geboren wurdest und das ist den Onkel Jon. Ich habe dir schon einige Male von ihnen erzählt, nicht wahr?"
Julen nickte, trotzdem waren seine Tante und sein Onkel ihm fremd, weshalb er aus Schüchternheit nichts sagte und sich deshalb hinter seiner Mutter versteckte.
Es war ein fast magischer Moment, als die Soldaten die Banner des gehäuteten Mannes von Grauenstein gegen die Schattenwölfe der Starks austauschten. Überraschenderweise hatte man diese nie entsorgt und stattdessen nur in einer Kiste eingeschlossen. Während die vielen Leichen, die sich bereits auf dem Schlachtfeld getürmt hatten, identifiziert wurden, fand man einen besonderen Körper. Ihn trug man in die Burg, wo Lyanna, Jon und Sansa ihn ein letztes Mal betrachten konnten.
„Anscheinend hat Theon sie doch nicht verbrannt. Die Umbers haben und Struppel gefunden. Wo Bran ist oder ob er noch lebt, wissen wir nicht. Ramsay hat ihm dann die Pfeile durch den Körper gejagt", gab Jon zu, während man Rickons leblosen Körper auf einer Trage vor ihnen ablegte.
Das Gerücht, über das man Lyanna bereits auf dem Stein unterrichtete, stimmte also doch. Obwohl er älter war, als sie ihn in Erinnerung hatten, gab es keinen Zweifel, dass er Rickon war. Jon befahl seinen Männern, ihn mit den anderen Toten zu verbrennen, Lyanna bestand aber darauf, dass zumindest seine Asche in der Krypta an der Seite ihres Vaters seinen Platz finden sollte. Eine Statue sollte man für ihn bauen, denn abgesehen von Bran wäre Rickon der rechtmäßige Lord von Winterfell gewesen.
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The Red Wolf of the North
FanfictionMein Name ist Lyanna, älteste Tochter des Lord Eddard Stark und Lady Catelyn Tully. Das ist meine Geschichte, die Geschichte des Roten Wolfes des Nordens."