Jaime verstand sofort, was Lyanna ihm mitteilen wollte und er bemerkte auch schnell den Mann mit der Glatze und den abstehenden Ohren, der gerade weiter bergaufwärts in eine Spelunke eintrat, in der sich in mehrerlei Hinsicht um das körperliche Wohl der Gäste gekümmert wurde. In dem Moment, als Lyanna den Mann wieder erkannte, durchlebte sie den Vorfall noch einmal. Sie wurde unruhig, was ihr Pferd zu spüren schien, den auch das Tier trat nervös von einer Stelle auf die andere.
Am liebsten wäre sie so schnell wie möglich zum Roten Bergfried geritten, doch Jaime hielt sie zurück. Er bat sie stattdessen mitzukommen, denn er vermutete, dass sich die drei anderen Männer ebenfalls in dem Gebäude befinden könnten. Auch wenn Lyanna ihm ihre Vergewaltiger äußerst detailliert beschrieben hatte, wäre es einfacher, würde Lyanna die Männer selbst identifizieren.
Lyanna war zwar nicht ganz von diesem Vorhaben überzeugt, aber in Jaimes Gegenwart fühlte sie sich sicher. Er hatte ihr versprochen, sie zu beschützen und auch wenn ihn der Rest der Welt Eidbrecher oder Mann ohne Ehre nannte, vertraute Lyanna seinem Schwur. Außerdem hatten sie noch zwei andere bewaffnete Wachen dabei. Was sollten ihr diese Männer also noch antun können?
In einer Gasse neben dem schäbigen Wirtshaus gab es einen Holzbalken, an den sie die Pferde anbinden konnten. Einer der Soldaten sollte dortbleiben, denn selbst in Königsmund trieben Pferdediebe ihr Unwesen. Den zweiten Mann schickte Jaime zur Hinterseite des Gebäudes. Dort sollte er jeden aufhalten, der versuchen würde, zu fliehen. Dann betrat Jaime das Innere des mehrstöckigen Gebäudes. Lyanna folgte dicht hinter ihm.
"Ser Jaime, einen Ritter wie Euch hätte ich hier in meinem geschätzten Etablissement nie erwartet", begrüßte die alte Wirtin ihren neuen Gast.
Ein Ritter mit goldener Rüstung, weißem Umhang und goldener Hand viel überall auf, wie ein buntes Pferd. Lyanna schien die Wirtin nicht bemerkt zu haben. Stattdessen bot sie Jaime Bier, Brot, Schinken und Frauen an.
"Ich bin nicht deswegen hier. Sagt mir, ist hier jemand mit einer Glatze und abstehenden Ohren? Er dürfte noch nicht lange hier sein", fragte Jaime leise.
Die Wirtin nickte und deutete mit dem Kopf auf einen Tisch in der hinteren Ecke des großen Raumes. Aus dieser Ecke dröhnte Gelächter, wobei Lyanna bereits die ersten Stimmen zuordnen konnte. Während Jaime und Lyanna immer weiter zu dem Tisch vordrangen, verließ die Wirtin ihre Spelunke. Lyannas Herz schlug schneller und schneller in ihrer Brust, bis sie vor dem Tisch stand, zu dem die Wirtin sie geführt hatte. Auf den U-förmigen Bänken rund um den Tisch saßen die Männer. Der älteste mit den Falten, den Lyanna Augen nannte saß in der Mitte und schien sich gerade mit einer Frau zu vergnügen. In der linken Ecke war der mit dem Muttermal, in der rechten der mit der auffälligen Narbe und neben dem saß der Mann, den Lyanna auf der Straße erkannt hatte.
Die Männer waren so tief in ihrem Kartenspiel und ihren Bierkrügen versunken, dass sie Jaimes und Lyannas Anwesenheiten gar nicht bemerkten. Erst als sich Jaime räusperte, sahen sie zu ihm auf. Verwundert starrten sie ihn an, dann griff Lyanna in ihre Tasche, zog ihren Geldbeutel hervor und fischte einen Heller heraus. Sie warf das Geldstück auf den Tisch, sodass es sich kurz wie ein Kreisel drehte. Als die Münze liegen blieb, schienen die Männer sie zu erkennen. Glatze versuchte zu fliehen, doch in dem Moment zog Jaime sein Schwert. Durch den Klang der Klinge wurde plötzlich der ganze Raum still, niemand wagte es, auch nur einen Ton von sich zu geben. Im Angesicht der Klinge blieben die vier eingeschüchtert sitzen, nur die Prostituierte stand auf und ging.
"Der Aufstand von Königsmund, erinnert ihr euch? Ihr hab mich und meine Schwester verfolgt. Sie konnte fliehen, ich aber nicht", konfrontierte Lyanna ihre Vergewaltiger.
Die Augen der Männer wurden immer größer und größer. Angst und Panik übermannte sie und sie taten, was so viele im Angesicht des Todes machten. Mit einem Schlag wurde die Tür geöffnet und Soldaten in goldener Rüstung stürmten herein, denn die Wirtin hatte die Stadtwache verständigt. Die Goldröcke vermuteten eine gewöhnliche Wirtshausschlägerei, doch als sie einen Ritter der Königsgarde vor sich sahen, erkannten sie den Ernst der Lage.
Es dauerte danach nicht lange, bis die vier Männer in Eisen gelegt wurden und man sie aus dem Gebäude führte. Man trieb sie vor Lyanna zum Roten Bergfried, wo man sie dann im Verließ in eine Zelle steckte. Als Lyanna zusah, wie der Wärter den Schlüssel im Schloss umdrehte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Beinahe zwei Jahre waren vergangen, zwei Jahre, in denen diese Männer vielleicht noch mehr unbeschreibliche Dinge getan hatten. Doch nun waren sie hinter Schloss und Riegel eingesperrt. Wäre es nach Lyanna gegangen, hätten sie die Zelle auch nie wieder verlassen dürfen, doch das Gesetz sah andere Strafen vor.
Gegen Abend kam Jaime zu Lyanna in ihr Gemach, um sie über den aktuellen Stand der Dinge aufzuklären.
"Man hat sie vor die Wahl gestellt - Kastration oder Mauer. Ich habe arrangiert, dass sie in den nächsten Wochen von einem unserer Männer persönlich zur Schwarzen Festung gebracht werden soll..."
Noch bevor Jaime seinen Satz beenden konnte, fiel Lyanna ihm voller Dankbarkeit um den Hals. In dieser Nacht würde sie nämlich nicht mehr diese vier Gesichter vor sich sehen.
DU LIEST GERADE
The Red Wolf of the North
FanfictionMein Name ist Lyanna, älteste Tochter des Lord Eddard Stark und Lady Catelyn Tully. Das ist meine Geschichte, die Geschichte des Roten Wolfes des Nordens."