Halt - Richard

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„Stößchen"
„Auf St. Petersburg!"
Unsere Tequilagläser klirrten geräuschvoll aneinander und wir leerten diese in einem Zug.
Danach ging es auf die Bühne. Till voraus, danach Schneider, Flake und es folgte Olli.
Paul und ich sollten die letzten sein.
Paul hielt mich ruckartig am Arm zurück und sagte: „Halt!".
Er schaute mir flehend in die Augen.
„Bitte Richard. Können wir den Kuss auslassen?"
Ich war etwas verblüfft.
Warum das denn auf einmal?
„Natürlich! Kein Problem!" versicherte ich ihm.
Vielleicht war es ihn zu viel geworden.
Die letzten Tage beschäftigten sich unsere Fans und die Medien nur noch mit der Frage, ob Paul und ich eine schwule romantische Beziehung führten, was natürlich absoluter Bullshit war.
Leider kam ich nicht dazu, nachzuhaken, denn wir mussten auf die Bühne, bevor unsere Fans in der riesigen Halle das spekulieren anfangen würden.

Das Konzert lief gut. Obwohl wir alle noch von den alkoholreichen Abendstunden verkatert waren. Man merkte es an Tills Power. Diese war bei weitem nicht so ausgeprägt wie sonst. Was seiner Stimme aber keinen Abriss erlangte.
Der Song „Ausländer" ging zu Ende und unsere zahlreichen Fans spekulierten, ob es einen Kuss geben würde, oder nicht.
Wir bewegten uns im Gitarrensolo dennoch aufeinander zu.
Wir blickten uns kurz an und ließen unsere Instrumente verstummen.
Wieder trafen sich unsere Blicke.
Was sollten wir nun tun?
Paul setzte zu einer Umarmung an und ich tat es ihm gleich.
Wir lösten uns voneinander und Paul grinste beschämt in sich hinein.
Enttäuschte Gesichter erblickte man in den ersten Reihen der Feuerzone.

Zurück in unserem luxuriösen Apartment gingen wir zuerst einmal unsere verschwitzten und geschminkten Körper duschen, ehe wir in unserer Sitzlounge den Abend mit einem Bier, Tequila und einer Snackplatte mit Spießen aller Art ausklingen ließen.
Zwei Nächte waren uns in unserer Suite noch vergönnt.
Als Paul und ich uns auf unserem Zimmer wiederfanden, fiel mir der fehlende Kuss ein.
An sich - kein Problem. Jedoch machte ich mir schon meine Gedanken.
Paul saß neben mir im gut gepolsterten Bockspringbett. Er hatte seinen Rücken mit ein paar Dekokissen ausgepolstert und war in sein Buch vertieft.
Er schien in letzter Zeit nachdenklicher.
Für unsere offene Frohnatur war das äußerst ungewöhnlich. Ich drehte mich auf die Seite und schaute ihn nachdenklich von der Seite an.
War es eine Frau?
Oder immer noch die Angelegenheit mit Lilli?
Mittlerweile ging sie doch offen mit ihrer Sexualität um und hatte sogar eine Partmerin gefunden.

Ich scheute mich nicht.
„Paul?"
Er markierte mit seinem Finger den Absatz im Buch, den er zuletzt las und schaute mich an.
„Ja?" fragte er.
„Sag mal, warum genau wolltest du mich nicht küssen?" Ich grinste dreckig.
Er schaute mich lang an.
Vermutlich überlegte er, was er sagen sollte.
Er ließ seinen Blick nervös über die Decke über seinen Beinen streifen.
Er legte das Buch zur Seite und massierte seine Fingerknöchel.
Seine Hände schienen feucht.
„Du kannst es mir ruhig sagen!" versicherte ich ihm mit einem lachen am Satzende.
„Also..." er räusperte sich.
Ich habe noch nie einen Menschen so nervös werden sehen.
„Es ist mir zu viel Liebe im Spiel". Er sagte es, als hätte er sich nackt ausgezogen.
Prompt färbte sich sein Gesicht rosa vor Scham.
„Ich wusste es!" rief ich und knuffte ihn in die Seite.
Ich freute mich, dass er nach langer Zeit wieder eine Dame an der Hand hatte.
„Du wusstest es? Woher?" Paul sah erleichtert und unsicher zugleich aus.
„Hab's gespürt!" Ich zwinkerte ihn zu und lachte.
„Und... ...was sagst du dazu?" fragte er mich mit leiser, zurückhaltender Stimme.
„Was soll ich schon sagen? Das ist völlig okay für mich!" sagte ich ihm mit zustimmendem Blick.
Es hat ihn die Sprache verschlagen.
Aber warum?
Dachte er wirklich, ich hätte etwas dagegen, wenn er sich verliebte?
„Du Paul, mich freut das wirklich, dass du nach langer Zeit endlich wieder jemanden an deiner Seite hast. Wer ist sie denn?" fragte ich gespannt.
Stille.
Paul starrte mich mit offenem Mund an.
„Wer sie ist?" er starrte die Wand an und schnaubte.
Er schaltete das Licht aus, warf die Dekokissen vom Bett und legte sich hin. Er drehte sich von mir weg.
Darauf folgte ein bissiges „Gute Nacht!"
Ich verstand die Welt nicht mehr.
Warum wollte er nicht darüber reden?
Hab ich etwas falsches gesagt?

Auch die Folgekonzerte in Lettland, Finnland, Schweden und Norwegen blieb der Kuss aus.
Die Band akzeptierte Pauls Entscheidung, mich nicht küssen zu wollen.
Er redete mit niemandem über seine Bekanntschaft und seine Traurigkeit zeigte sich deutlich.
Am 23.08. fand im Ernst-Happel-Stadion unser letztes Konzert für 2019 statt.
Ich stellte mich wieder auf eine Umarmung oder ein plötzliches umdrehen Pauls ein.
Und so kamen wir zum einunddreißigsten mal in diesem Jahr aufeinander zu. Als unsere Gitarren verstummten, sah mir Paul das erste mal nach fast drei Wochen wieder in die Augen.
Man erkannte den Schmerz, der in ihm schlummerte, sofort.
Und plötzlich, ganz plötzlich kam Paul mir näher.
Ich setzte zu einer Umarmung an, jedoch drückte Paul seine Lippen auf meine, ehe ich es realisieren konnte.

Was ein gelungener Konzertabschluss!
Wir waren allesamt sehr zufrieden mit unseren Auftritten.
Die Sensationsgeilheit der Journalisten ebnete nach unserer „Skandalwelle" ab und wir hatten weitesgehend unsere Ruhe.
Paul war zu allen aufgeschlossen, freundlich und zuvorkommend, wie sonst auch.
Nur zu mir war er kühl und abweisend.
Warum, konnte ich mir nicht erklären.
Meine Vermutung lag darin, dass ich, seiner Ansicht nach, vielleicht nicht so für ihn da war, wie er bei mir mit Juliet.

Apropos Juliet:
Sie hatte es tatsächlich noch einige Male probiert, mich über unser Management zu kontaktieren. Jedoch erfuhr sie von meiner Seite aus nur Abweisung.
Es tat immer noch weh. Jedoch tat mir die Ablenkung und die beinahe 1-zu-1-Betreuung meiner Jungs sehr gut.
Ich fand langsam wieder die Freude am musizieren wieder und plante bereits die Studioaufnahme für meinen Song „You can't run away" mit meiner Band Emigrate.
Die nächsten Monate würde ich viel Zeit haben, mich auf Dinge konzertieren zu können, die sonst viel zu kurz kommen.
Am meisten freute ich mich auf die Zeit mit meinen Kindern.

#Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt