Ich mach die Augen zu, wir sind allein - Richard

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Da saßen wir nun. Zu sechst in einer Runde.
Und schwiegen uns vorerst an.
Niemand wusste genau, was er sagen sollte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit brach Till die Stille.
„Was ist das jetzt zwischen euch?"
Ich schaute Paul an. Er hatte gerötete, glasige Augen. Er sah ungeschminkt aus, obwohl er vorher nicht geschminkt war.
Sein Gesicht war leer.
„Zwischen uns ist nichts." sagte Paul, während er auf den Parkettfußboden schaute.
Das tat weh. Aber ich hatte es wohl verdient.
Er hatte mit mir Schluss gemacht, ohne dass wir je eine Verbindung eingegangen waren.
Die plötzliche Zurückweisung oben in Pauls Zimmer hatte mich so traurig gemacht, dass ich wütend wurde. Ich wollte Paul gleiches antun. Daher erzählte ich kurzerhand, von meiner brodelnden Wut gelenkt, den Jungs vor zwanzig Minuten, dass da etwas im Busch war.
Diese ganze Situation nervte mich.
Ich wollte ein Gespräch unter vier Augen. Nur ich und Paul.
Es machte mich wütend, von allen angestarrt zu werden.
Also stand ich auf, mit dem Ziel, nach oben zu gehen.
Ich wurde jedoch von Olli wieder grob in das Polster der Couchgruppe gedrückt.
„Hiergeblieben!" schnauzte er mich an.
„Hier steht in nächster Zeit keiner auf, bevor diese ganze Scheiße hier nicht geklärt ist!" fügte er hinzu.
Er war sauer. Richtig sauer.
Er zügelte sich nur, weil er ab und an mahnende Blicke von Schneider bekam.
„Hat's euch die Sprache verschlagen?" Olli schaute mich missbilligend an.
„Was soll ich dazu noch sagen?" antwortete ich ihm trotzig.
„Wie wäre es zur Abwechslung mal mit der Wahrheit?" er krallte sich in die Sofapolster um nicht völlig die Fassung zu verlieren.
„Ich liebe Richard." sagte Paul leise, fast flüsternd.
Erstaunt blickten alle Paul an.
Olli schnaubte verachtend.
Das ist die Wahrheit." Pauls Stimme zitterte ungewollt. Dabei sah er mir tief in die Augen.
Das Bauchkribbeln wurde stärker. Mein Herz wollte aus meinem Körper herausspringen.
Es war ein wunderschönes Gefühl, wenn man ehrlich geliebt wurde. Und dass, obwohl ich es nicht verdient hatte. Nicht im geringsten.
„Und was ist mit dir?" fragte Schneider mich.
Nun blickten mich alle an.
Ich schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete scharf ein.
Da komme ich jetzt nicht mehr raus.
Ich schaute wieder zu Paul.
„Ich liebe Paul auch." bei meinen eigenen Worten bekam ich eine starke Gänsehaut.
Flake stieß unwillig ein „Ooh!" aus, wie als hätte er ein süßes Katzenbaby gesehen. Dabei lächelte er ehrlich. Wenigstens einer, neben Schneider, der sich freute.
Tills Meinung konnte ich nicht deuten. Er starrte auf die Wasserkaraffe auf dem Glastisch, welcher von einem grauen Filzuntersetzer geschützt wurde.
Olli vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Dann schlug er sich die Handflächen auf die Knie, stand auf und sagte: „Ja, dann können wir ja jetzt alle unsere Sachen packen und nach Hause fahren. Waren schöne 27 Jahre mit euch."
„Hier fährt niemand nach Hause" sagte Till scharf.
„Ich bin nicht derjenige, der gewillt ist, alles wegzuwerfen, was wir uns aufgebaut haben!" Oliver schaute mich und Paul abwechselnd an, als wären wir schwerstkriminelle.
Dann stand er auf und lief in dem großen Wohnzimmer auf und ab.
„Fahr mal einen Gang runter!" mahnte Schneider ihn ab.
Pauls Gesicht war leicht gerötet. Die ganze Situation war ihm, so wie mir, absolut unangenehm.
Oliver verließ wütend das Haus.
Daraufhin erntete Flake einen Stoß in die Rippen mit Tills Ellenbogen.
Der quirlige Keyboarder sprang sofort auf und lief Oliver hinterher. Nun waren wir nur noch zu viert.

Es vereinfachte das Gespräch um einiges.
Wir waren alleine mit den Männern, die versuchten, eine Lösung zu finden.
Till war anfangs noch skeptisch, konnte aber, als Paul seine ganze Leidensgeschichte der letzten drei Jahre, und die Begründung hinter seinen Suizidversuchen wiedergab, keine bösen Worte mehr verlieren. Auch ich musste schlucken und gegen meine Tränen ankämpfen, als mir mal wieder vor Augen geführt wurde, wie ich mit dem Gitarristen umgegangen bin.
Till sicherte uns seine uneingeschränkte Unterstützung zu.
Egal, wie wir uns entscheiden würden. Aber daran hatte ich, um ehrlich zu sein, nie gezweifelt.
Till war ein großer Befürworter von einer intakten mentalen Gesundheit.
Die Band stand für ihn, anders als bei Olli, nicht an erster Stelle.
Schneider riet uns, die ganze Situation alleine zu besprechen, bevor wir weitere Schritte unternahmen.
Paul war die ganze Zeit ruhig und schien fest entschlossen, sich nicht mehr weiter verletzen zu lassen.
Als Till und Schneider das Haus verließen, um uns alleine weitere Schritte bereden zu lassen, machte ich die Augen zu; wir waren allein.
Da stand Paul wortlos auf und bewegte sich Richtung Treppe.
„Wo gehst du hin?" fragte ich ihn.
Er antwortete nicht.
Also beschloss ich, ihm hinterherzugehen.
„Paul, Es tut mir leid! Ich habe überreagiert!" entschuldigte ich mich.
„Wie so oft." sagte er vorwurfsvoll.
Ich wusste nichts zu sagen.
Er drehte sich um und sagte:
„Du musst mich wirklich hassen."
Ich blieb perplex auf den oberen Stufen der Treppe stehen.
„Nein-" fing ich an, doch wurde wütend unterbrochen.
„Weißt du was, Richard? Für mein Herz war es deutlich sicherer, dich heimlich zu lieben"
Das hatte gesessen.
Nun drehte er sich wieder um und steuerte geradlinig auf seine Zimmertür zu.
„Paul bitte!" flehte ich ihn an.
„Paul, ich kann nicht mehr machen, als mich zu entschuldigen. Es tut mir leid! Bitte..."
Er schaute nicht zurück.
Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten.
Ich ließ mich auf meine Knie fallen und schluchzte wie ein kleines Kind.
Es hatte keinen Sinn. Ich habe alles kaputt gemacht, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Paul blieb stehen und drehte sich langsam um. Seine wutrote Gesichtsfarbe war nicht von ihm gewichen.
Er bewegte sich langsam auf mich zu und schaute verachtend auf das Häufchen Elend vor seinen Füßen hinab.
Dann schüttelte er den Kopf und sagte: „Du lässt mich von nun an in Ruhe!".
Dann drehte er sich herum und verschwand in seinem Zimmer.
Das zweite mal in meinem Leben wurde mir mein Herz gebrochen. Erst Juliet und jetzt Paul.
Ich spürte eine warme Hand auf meiner Schulter.
Ich drehte mich langsam herum und sah Schneider mit mitleidigem Blick.
Es war mir egal, was er von mir dachte.
Mir war überhaupt egal, was irgendjemand hier dachte.
Ich brauchte mich nicht mehr verstecken.
Schneider hockte sich neben mich und legte seine Arme um mich.
Er flüsterte „Es tut mir so leid!".

Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt