Und dann hat er ihn geküsst - Paul

97 9 2
                                    

Er hasste mich.
Richard Zven Kruspe hasste mich.
Seitdem ich aus seiner Tür herausgestürmt war, hat er mich nicht einmal mehr angerufen, geschrieben oder gar mit mir gesprochen.
Mit Schneider führte ich ein langes Gespräch. Er blieb dabei stets skeptisch und ruhig.
Ich gestand ihm nicht meine Gefühle für den Lead-Gitarristen.
Dafür war ich einfach zu unsicher.
Aber er war diesmal da, als ich ihn brauchte.
Ich beschrieb die Gefühle zu Richard als eine tief verbundene Freundschaft, die mich sehr glücklich machte, aber zugleich auch tieftraurig.
Ich hatte das Gefühl, dass Schneider mich verstand.

Vier Konzerte vergingen.
Zwei Tage in Leipzig, zwei Tage in Klagenfurt.
Es gab keine Showküsse, keine Berührungen, keine Blicke.
Richard blieb stehts kalt.
Auch nach der Show machte er sich sofort auf den Weg zu unserer Übernachtungmöglichkeit, und mied die spaßigen After-Show-Partys.
Kurzum: Er mied nicht nur mich, sondern uns alle.
Doch besonders das angespannte Verhältnis zwischen mir und Richard war den anderen Bandmitgliedern nicht verborgen geblieben.
Details wusste jedoch keiner.
Nach einer Weile hörten Flake, Oliver und Till auf zu fragen.
Sie erfuhren ja doch nichts.

Unser nächstes Konzert sollte in der Schweiz, in Zürich im Stadion Letzigrund stattfinden.
Am Abend des 28.05.2022 reisten wir an.
Es passierte nicht oft, aber manchmal griff unser Management tief in die Tasche und buchte uns extravagantes.
Dieses Mal bot sich eine moderne Villa am Schauenberg in den Bergen der Schweiz an.
Es war sehr abgelegen, und zugleich wunderschön.
Unsere Unterkunft war sehr gemütlich und bot genügend Platz zum verweilen.
Sie war ausgestattet mit vier Doppelzimmern. Till und Flake, sowie Olli und Schneider teilten sich, wie immer, ein Zimmer. Die letzten zwei Doppelzimmer belegten ich und Richard jeweils alleine.
Da waren wir uns alle einig.
Und trotzdem versetzte es mir einen Stich in der Magengegend.

Für den späten Abend plante Schneider ein Lagerfeuer.
Unsere Lust hielt sich wage in Grenzen.
Ganz besonders Richard fing das hektische diskutieren an.
Er hatte wohl absolut keine Lust, mit mir in einer gemütlichen Runde bei warmen, knisternden Flammen und Stockbrot zu sitzen und eine heile Welt vorzutäuschen.
Es brach mir jedes Mal aufs neue das Herz, wenn ich Richard so teilnahmslos erlebte.
Jedoch hatte ich in dieser Situation keinen Fehler begangen. Er war derjenige, der mich anlog, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Von meiner Seite aus, war es immer eine echte Freundschaft gewesen.
Aber das beruhte ja offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit.

Schneider und Flake bereiteten mit großer Freude den Stockbrotteig vor, als es breits dämmerte.
Oliver war mit Till draußen. Sie alberten herum und zündeten das Feuerholz an, nachdem sie einen ordentlichen Steinkreis gezogen hatten.
Richard verzog sich in sein Zimmer und ich versank, wie die letzten Tage, in großem Selbstmitleid auf dem Sofa und konzentrierte mich darauf, meine Tränen der Verzweiflung und unerwiderten Liebe zurückzuhalten.

„Erinnert ihr euch noch, wie wir uns alle kennengelernt haben, damals?" schwelgte Schneider in Erinnerungen.
„Verdammt lang her" bemerkte Till und lächelte.
Richard sagte nichts, war aber bei weitem nicht mehr so versteift wie zu Anfang.
Till hatte ihn gezwungen, sich zu uns zu setzen.
Damit begann eine riesige Diskussion, in der beide Parteien sich einmal anschrien, bevor Richard wütend nachgab.
Er starrte in das knisternde, wärmende Feuer und schwieg.
„Wir waren alle so verschieden, und doch hat die Musik uns verbunden" erzählte Schneider weiter, bevor er einmal tief Luft holte und mich und Richard abwechselnd, eindringlich und erwartungsvoll ansah.
„Manchmal vergessen wir, wie wichtig diese Verbindungen sind. Und wie gut sie uns tun, wenn wir mal den Mut haben, ehrlich zueinander zu sein." Schneiders Blick blieb auf mir haften.
Moment. Ich war doch nicht derjenige, der gelogen hatte.
Er zwinkerte mir zu und deutete in Richards Richtung.
Moment.
Er meinte nicht Richards Lüge.
Er meinte- oh.
Er wusste es. Fuck. Er wusste es.
Ich lief feuerrot an. Ob man es im flackern des lichtspendenden Feuers erkennen konnte, konnte ich nur mutmaßen.
Richard folgte fragend Schneiders Blick und blieb ebenfalls auf mir haften.
Unsere Blicke trafen sich.
Und statt Richards kühlem Blick, konnte ich etwas warmes, nachdenkliches in seinem Gesicht erkennen.
Meine Wangen glühten und mir wurde schwindelig.
Heiß war mir ohnehin schon.
Übelkeit gesellte sich blitzschnell auch dazu.
Es war, als hätte ich mich gerade vor allen anderen Bandmitgliedern splitterfasernackt ausgezogen und wurde von oben bis unten angestarrt.
Ich stand auf und räusperte mich.
„Komme gleich wieder" sagte ich mit brüchiger Stimme und ging Richtung Haus.
Ich musste mich erst einmal sammeln. Meine Gefühle ordnen.
Richard schien es noch nicht zu wissen, seinem Blick nach zu Urteilen.
Aber wenn Schneider es bereits wusste, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es eventuell alle Bandmitglieder wissen könnten.
Ich konnte Schneiders Plauderlaune schlecht einschätzen, da es nach fast 30 Jahren tiefer Verbundenheit und Bandgeschichte das erste mal vorkam, dass wir Geheimnisse voreinander hegten.
Ich blieb schräg vor dem Hauseingang stehen und stemmte mich gegen eine dunkle Gartenlaube.
Ich brauchte frische, kühle Abendluft.
Was war das gerade gewesen?
Ich spürte das ungeschliffene splitterige, leicht feuchte Holz unter meinen Handflächen.
Langsam kühlte ich ab und erreichte wieder einen geistigen Normalzustand.
Die ruhige, gleichmäßige Atmung half mir dabei, mich wieder zu sammeln und meine Gedanken neu zu ordnen.
Ich würde zurück zum Lagerfeuer gehen, und so tun, als hätte ich Schneider nicht verstanden. Ja. Das war wohl die beste Idee.
Doch da kam jemand. Ich hörte schwere, vertraute Schritte auf mich zukommen.
Schneider?
Die Dunkelheit war bereits längst über Zürich eingebrochen, weswegen ich nicht ausmachen konnte, wer sich gerade auf mich zu bewegte.
Der Nachtwind wehte sanft über mein Gesicht und gab der Situation etwas unheimliches.
Plötzlich fing mein Herz wieder an zu rasen, und meine Brust hebte und senkte sich, als ich erkannte, wer da auf mich zukam.
Es war Richard.
Er schien mit seinen hellblauen Augen tief in meine Seele blicken zu können.
Er hatte etwas ernstes, düsteres in seinem Gesicht.
Der leise Klang des entfernten Feuers und das Lachen meiner Kollegen mischte sich mit dem rhythmischen Zirpen der Grillen.
Richard blieb direkt vor mir stehen und blickte mir weiterhin eindringlich in die Augen.
Es war, als würde ich gleich ohnmächtig werden.
Als würden sich alles meine Organe, meine Knochen und die Haut verflüssigen und an mir selbst herabrinnen.
Der Schwindel nahm zu.
„Richard" flüsterte ich leise bedrohlich.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine Angst.
Ich wollte ihm so gerne sagen, dass er sich von mir entfernen soll.
Doch ich konnte nicht.
Er schüttelte mit seinem Kopf, während er mich weiterhin bedrohlich ansah.
Mein Herz würde mir jeden Moment aus der Brust springen.
„Paul" kam ebenfalls flüsternd von Richards wohlgeformten Lippen.

Fast zögerlich kam Richard noch einen Schritt auf mich zu.
So nah, dass ich seinen Atem spüren konnte.
Wollte er mich schlagen?
Das konnte doch unmöglich-
Ich spürte plötzlich eine warme Hand an meiner Wange, die langsam unterm Ohr Richtung Nacken wanderte.
Das konnte gerade nur ein Traum sein.
Und urplötzlich vernahm ich einen leichten Druck in meinen Nacken.
Richard zog mich zu sich hin und ich ließ es geschehen.
Doch, das passierte wirklich.
Ich spürte das Blut in meinen Adern rauschen.
Ganz wie automatisch, begann ich meine Augen zu schließen und hoffte nur, keine Abfuhr zu bekommen.
Ich brauchte seine Berührungen, seine Küsse.
Hier und jetzt.
Hatte er überhaupt vor, mich zu küssen?
Der Moment, als sich seine warmen, weichen Lippen auf meine legten, glich einer Explosion.
Der Kuss war sanft und vorsichtig.
Ein zarter Ausdruck aller unausgesprochener Gefühle, die sich über die Zeit bei mir aufgestaut hatten.
Es war der erste ehrliche Kuss, außerhalb der Bühne, den ich bekam.
Er ließ von mir ab, um in meine Augen blicken zu können.
Ich glühte.
Mein Atem glich dem eines Marathonläufers.
Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war.
Passierte das hier gerade wirklich?
Richard schaute mich unsicher an, jedoch hinderte dies mich nicht, einen Schritt auf ihn zuzugehen.
Als sich unsere Lippen erneut berührten, umfasste Richard meine Schultern, zog mich näher an sich und vertiefte den Kuss.
Die Berührung seiner weichen Lippen
Und die Wärme seines vor Erregung beschleunigten Atem ließen mich vor Glück erzittern.
Langsam öffnete Richard seinen Mund, was ich ihm mit Großer Unsicherheit gleichtat.
Der Kuss wandelte sich in einen leidenschaftlichen Zungenkuss.
Er drückte seine Zunge leicht gegen meine und dies ließ mich endgültig dahinschmelzen.
Es war ein Gefühl purer Wärme, so, als ob die letzten Puzzleteile in meinem Leben nun ein ganz neues Bild ergaben.
In diesem Moment empfand ich so viel auf einmal, die Erleichterung, nun die endgültige Wahrheit über meine Gefühle zu kennen, und diese in diesen Moment auch zeigen zu können, und das Richard scheinbar genauso empfand.
Tat er das wirklich?
Ich schloss die Augen fester und verlor mich in dem Moment, in Richard, und in den Gefühl, endlich, nach langer Versteckerei, angekommen zu sein.
Das kribbeln unserer verbundenen, aufeinandergepressten Lippen, und das sanfte Spiel unserer Zungen sprachen von einer tiefen Sehnsucht,die nun endlich ihre Erfüllung fand.

Schwer atmend zog er sich von mir zurück, stieß ein „wow" aus und schaute zu Boden.
Er lächelte mich an und nahm mich zärtlich in den Arm. Sein Kopf ruhte dabei auf meiner Schulter und ich spürte seinen warmen, schweren Atem an seinem Hals.
Die Welt um uns herum schien für einen Moment wie ausgeblendet und wir genossen die neu gewonnene Nähe und Intimität in vollen Zügen.
Niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass Ruchard eine derartige Zärtlichkeit an den Tag bringen konnte.
Plötzlich hörte ich in der Ferne die Schritte einer unserer Bandkollegen.
Richard entriss sich der Szenerie.
„Alles in Ordnung bei euch? Ihr wart so lang weg, und da ihr euch momentan ja nicht so grün seid, wollte ich nur sichergehen, dass ihr euch nicht zusammenschlagt" kam von Till.

Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt