Schwarz III - Paul

65 7 2
                                    

Ich hatte meine Knie fest zur Brust herangezogen.
Ich vergrub meinen Kopf in meinen verschränkten Armen.
Ich saß wie ein Häufchen Elend auf der Couch von Richard.
Ich konnte schon lang nicht mehr weinen.
Es war Anfang März und jeder Tag eine Qual für mich.
Abends, wenn ich ins Bett ging, war ich froh, den Tag überlebt zu haben.
Das einzig gute Gefühl, welches ich, nach wie vor verspürte, war, Richard immer in meiner Nähe zu wissen. Er tat mir gut.

Er legte seinen Arm um mich und streichelte meine Schulter, auf welcher seine Hand ruhte.
Ich liebte jede Berührung von ihn.
Es war wie eine Sucht. Ich brauchte sie.
Ich liebte ihn abgöttisch, wie am ersten Tag.
Mittlerweile akzeptierte ich, dass meine Gefühle für ihn vermutlich niemals nachlassen würden und ich diese auch niemals erwidert bekomme.
Ich versuchte es mit Distanz, jedoch scheiterte ich, und vereinsamte.
Nun hockte ich 24/7 bei Richard und konnte dennoch nicht genug von ihm, seiner Nähe und seinem Geruch bekommen.
Dieses verdammte Bauchkribbeln.
Wie oft wünschte ich mir, ihn einfach leidenschaftlich zu küssen.
Meine ganzen Gefühle, die sich in mittlerweile fast zwei Jahren aufgestaut hatten, in einen Kuss zu geben.
Möglichkeiten dazu, gab es genug.
Aber die Gefahr, dass ich Richard vollends von mir abschreckte, war zu groß.
Ich wusste, dass ich ihm zur Last fiel.
Ich wusste aber auch genauso gut, dass er es wirklich gerne tat.
Die einzige Ablenkung die ich bekam, war der kleine, mittlerweile 10 Monate alte Elias, auf den Richard und ich mehrmals die Woche aufpassten.
Wir waren inzwischen auf Papier die Taufpaten von ihm und auch Schneider hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm und brachte ihm spaßeshalber schonmal das trommeln bei, was ihm riesigen Spaß machte.
Bei der Taufe waren alle anwesend. Auch Till, Oliver und Flake. Glattgestriegelt und in Anzüge gesteckt.
So sah man Richard selten, und dennoch war er wunderschön.
Juliet war endgültig von Oday getrennt und meisterte ihr Leben als alleinerziehende Mutter mit Bravour. Natürlich durch unsere Unterstützung.
Wenn Juliet für Fotoshootings gebucht wurde, wurde Elias kurzerhand abgeliefert.
Juliet nannte uns immer „die Väter für Elias, den er nie hatte".
Es war verrückt, wenn man bedenkt, wie alles mit Juliet startete, und an welchem Punkt wir mittlerweile angelangt waren.
Ich befand mich seit zwei Wochen in der Therapie.
Je 90 Minuten alle 7 Tage.
Ich bewegte mich im Zwiespalt. Sollte ich meiner Therapeutin, Frau Sander, meine ehrlichen Gefühle mitteilen, oder die, die ich den Jungs vorspielte?
Hoffnungslos in Richard verliebt oder „after-concert-depression"?
Ich entschied mich für den vermutlich falschen Weg, und erzählte ihr von meiner miesen Stimmung nach dem letzten Konzert vor fast 2 Jahren.
Ich vertraute nicht auf das Arztgeheimnis.

Ich übte jeden Tag mit Richard aber es wurde nur minimal besser.
Realistisch gesehen hätte ich es bis Mai, zum Konzertbeginn sowieso nicht geschafft, wieder alle Fähigkeiten an der Gitarre auf Glanzleistung zu polieren.
„Dann holen wir Jens ins Boot?" fragte Richard unsicher und schaute mir mit seinen hellblauen Augen tief in meine Seele.
Ich nickte stumm.
Jens war einer unserer Manager.
Irgendwann mussten wir es ihnen sagen.
So waren wir nicht konzertfähig.
Entweder musste die Tour abgesagt, oder ich ersetzt werden, was mich traurig stimmte.

Richard holte sein iPhone aus der Hosentasche und wählte Jens' Kontakt aus.
Er schaltete auf Lautsprecher und als Jens heranging führten sie kurz ein Gespräch über belangloses.
Dann kam Richard zum Punkt und informierte Jens über meine Situation.
Dieser hörte ruhig zu um am Ende zu fragen: „Till hat euch noch nicht informiert?"
Ich verstand nicht. Richard schien ebenfalls verwirrt.
„Wir haben gestern Abend im Kreise entschieden, dass wir die Tour für 2021 auf 2022 verlegen. Die Inzidenzzahlen sind nach wie vor viel zu hoch, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Tour eh abgesagt werden muss, ist riesig."

Wir telefonierten kurz mit Till und Schneider.
Diese wahren überhaupt nicht erfreut. Alle wollten endlich wieder vor Publikum auftreten.

Abends lagen wir nebeneinander im Bett.
Richard scrollte durch Instagram und ich las ein Buch.
Dennoch bereitete mir seine Anwesenheit immer noch starkes Bauchkribbeln.
Mein Körper sehnte sich mit jeder Faser nach ihm.
Ich schlief nach wie vor mit Richard in seinem Bett.
Ich bot ihm mehrmals an, auf dem Sofa zu übernachten, doch dies schlug er immer wieder aus.
Leider nicht, weil er meine Nähe brauchte, sondern weil er Angst um mich hatte. Das wusste ich.
„Du, Paul?" er riss mich aus meinen tiefen Gedanken.
„Ja?" fragte ich ziemlich schockiert.
Er lachte. Oh Gott, ich liebte sein Lachen.
„Keine Sorge, es ist nichts schlimmes."
Er schaute betroffen zum Fußende des Bettes.
„Könntest du morgen vielleicht eine Nacht in deiner Wohnung verbringen?...
...Ich hab eine Frau kennengelernt und würde sie gern morgen Abend zu mir einladen."

Keine Sorge, es ist nichts schlimmes.

Für mich war eine Atombombe weniger schlimm als das, was ich gerade zu hören bekam.
Autsch.
Die Atombombe landete direkt in meinem Herzen und löschte alles aus.
Hoffnung, Liebe, Zuversicht... alles weg.
Es blieb eine totes, schwarzes Trümmerfeld.

Ich ließ mein Buch sinken.
Krächzte ein „Ja, klar" heraus, und drehte mich um. Weg von ihm. Weg von meinem Lebenssinn.
Ich schaltete das Licht aus und weinte lautlos das Bettlaken voll, während ich auf die dunklen Umrisse des Türrahmens starrte.

Als ich es hinter mir leise schnarchen hörte,
Stand ich auf, und verließ das Bett, in welchem sich in nicht einmal 24 Stunden Richard mit einer Frau in den Laken wälzte. Ich packte einige meiner Sachen zusammen und lief in das dunkel der Nacht hinein.
Die Tränen brannten auf meiner Haut und ich verlor jegliche Lust am Leben.

Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt