Biest - Richard

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Ich stürmte aus Tills Suite.
Gerade noch rechtzeitig, ehe man die Erhebung unter dem Handtuch erkennen konnte.
Ich war stinksauer auf mich.
Darauf, dass mein eigener Körper den Protest gegen die Homophobie plötzlich missverstand.
Ich musste erst 54 werden um meine homosexuelle Seite zu erkennen?
Nein, das musste nur eine Phase sein!
Eine Phase, in der ich das erste mal von einem Mann eine Erektion bekam.

Nun stand ich da, in meinem Zimmer, splitterfasernackt.
Das Handtuch ließ ich fallen, als ich die Zimmertür geräuschvoll hinter mir schloss.
Ich schaute an mir herunter.
Nein, ich würde meinem Körper nicht das geben, was er nun forderte.
Ich hatte Pauls Körper zu lang gemustert.
Beinahe jeden Zentimeter seines perfekten Körpers kurz in Augenschein genommen.
Darauf folgte prompt die unaufhaltsame Reaktion meines Körpers in der unteren Körperhälfte.
Ich bewegte mich Richtung Dusche, um mein Problem mittels kalter Dusche in den Griff zu bekommen.
Wenn ich diesen Gefühlen keinerlei Beachtung schenken würde, würden sie vielleicht auch wieder von selbst verschwinden, so dachte ich.

Nach der Dusche blieb ich bis in die frühen Abendstunden in meinem Zimmer. Ich mochte niemanden sehen. Jeder der Bandmitglieder hatte einzeln einmal an die Tür geklopft. Inklusive Paul. Und der war hartnäckig.
In einer gebrochenen Stimme entschuldigte er sich für seine Worte in der Sauna.
Er hatte nichts falsches gesagt.
Sehen wollte ich ihn trotzdem nicht.
Doch, ich wollte.
Ich durfte nicht.
Ich bestrafte mich selbst.

Ich starrte gedankenverloren an die weiß verputzte Decke mit dem diamantenen Kronleuchter.
Was wäre, wenn die Gefühle nicht zurückgingen?
Ich hielt es zunächst für eine harmlose Schwärmerei, aber scheinbar war mein Herz da anderer Meinung.
Sollte ich Paul meine Gefühle beichten?
Nein, auf garkeinen Fall.
Er war ohnehin schon so verletzlich.
Die letzten zwei Jahre waren so schwer für ihn. Das würde ihn völlig aus der Bahn werfen.
Vermutlich würde Paul sogar auf Abstand gehen, und mir nicht mehr in dem Ausmaße vertrauen, wie er es tat.
Vielleicht widerte es ihn sogar an.

Mein Handy vibrierte.
Es war einen Nachricht von Schneider.
„Junge, brennt dir der Helm? Paul ist völlig fertig!"
Ich schloss die Augen und bließ langsam die Luft aus meiner Lunge.
Ich verhielt mich wie ein Biest.
„Dann soll er kommen" schrieb ich mit zitternden Händen.
Ich zog mir schnell ein T-Shirt und eine Adidas-Jogginghose an, die weit genug geschnitten war, um im Falle eines Falles etwaige Gefühlsausbrüche sofort verstecken zu können.
Es klopfte.
Ich wischte meine verschwitzten Handinnenflächen an der Hose ab und seufzte, ehe ich mich zur Tür begab.
Ich verhielt mich wie ein Teenager.
In meinem Bauch kribbelte es schon wieder, weshalb ich kurz vor der Tür stockte.
Ich atmete tief ein und öffnete die Tür für Paul.
Er hatte geweint, aber versuchte es zu verstecken. Seine Augen waren an der unteren Wasserlinie leicht gerötet.
Was war ich nur für ein grenzenloses Arschloch?
„Komm her, Paul" sagte ich mit brüchiger Stimme und hielt die Arme herausfordernd auf.
Eine Sekunde, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam, zögerte Paul.
Dann kam er langsam auf mich zu und drückte mich feste.
Wir sagten nichts.
Einfach nichts.
Sein Körper klebte an meinem.
Ich musste mich beherrschen, nicht erneut die Fassung zu verlieren.
Wie konnte ich diesem Mann nur so weh tun?
Ihm das Gefühl geben, er wäre das Problem an der Sache?
Er war einfach nur Paul.
Nicht mehr, nicht weniger.
Noch bevor ich etwas sagen konnte, schaute mir Paul ins Gesicht.
„Es tut mir leid, Richard!" sagte er ehrlich.
„Du hast keinen Fehler gemacht." gab ich zu.
Ich wollte ihn so gern küssen.
Er schaute verwirrt.
„Ich dachte, du...-" setzte er stotternd an.
„Nicht so viel denken!" sagte ich und war bereit, ihn zu küssen.
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Mein Puls ging durch die Decke und mein Atem wurde schneller.
Mein Brust hebte und senkte sich.
Diese Spannung.
Diese Erregung.
Scheiße, was machte ich hier?
War ich gezielt darauf aus, Paul zu verstören?

Im letzten Moment bekam ich die Kurve und versuchte mich aus dieser Situation zu retten.
Ich löste mich von ihm und ging Richtung Sessel.
Er stand nach wie vor an der Tür.
Ich wischte erneut meine nassen Handinnenflächen an meiner Hose ab und spielte nervös mit den Ringen an meinem Finger.
Wann war das Verhältnis so angespannt geworden?
Ahnte er etwas?
Er kam langsam auf mich zu und setzte sich auf die schwarze Zweisitzer-Cordcouch mir gegenüber.
Dabei ließ er mich nicht aus den Augen.
Auch er schien nervös.
Vermutlich hatte ich ihn bereits verstört.
Ich überlegte kurz, wie ich mich aus der misslichen Lage retten konnte.
„Paul, ich hab überreagiert. Es tut mir leid".
Er sagte nichts. Öffnete aber seinen Mund leicht.
„Mir ging es nicht gut. Ich habe die Beziehung mit Maddie kurz zuvor beendet. Ich brauchte Zeit für mich." sagte ich.
So unwahr war das nicht.
Denn ich hatte es eh vor, mich zu trennen, sobald wir in Deutschland waren.
„Du- ich- WAS?" stammelte Paul nun komplett verwirrt.
Ich nickte betroffen.
Er starrte mit weit geöffneten Mund aus dem Fenster.
Innerlich war ich stolz auf meine spontane Notlüge.
Wenn er geahnt hätte, dass ich Gefühle für ihn haben könnte, wäre das spätestens jetzt vom Tisch, und er bräuchte keine Angst haben, dass diese Sache zwischen uns stehen würde.
Fest entschlossen, die Angelegenheit weiter zu vertiefen, berichtete ich ihm schließlich, dass ich bereits eine neue Frau datete.
Paul war sprachlos und ich erleichtert.
Ich hatte das Missverständnis ein für allemal aus dem Weg geräumt.
Paul lächelte gequält.
„Freut mich für dich. Ehrlich."
Um meine Glaubhaftigkeit zu unterstreichen, erzählte ich ihm von Kate, einer wunderschönen Frau, die mir beim Probestecken unserer Bühnenkostümierung mit Ollis und Schneiders Frauen aufgefallen war.
Er hörte zu, sagte aber nichts.
Ich schätze, dass das pure Erleichterung war, die er sich nicht anmerken lassen wollte.
„Ist wieder alles gut?" versicherte ich mich.
„Schätze schon" kam von Pauls Seite mit einem leichten lächeln.
Ich umarmte ihn kurz und hielt inne.
Wir wurden von einem klopfen aus unserer Umarmung gerissen.
„Ey Jungs, genug geknutscht, wir müssen los" scherzte Till hinter der Zimmertür.

#Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt