Es wurde bitterkalt draußen.
Paul wohnte nun schon ein halbes Jahr bei mir am Checkpoint Charlie.
Zeitweise probierte er es immer mal wieder, bei sich zu Hause in seiner heimischen Wohnung zu schlafen, aber nachdem er wieder von Rückschlägen in Form von Albträumen berichtete, zog er schnell wieder ein.
Für mich war das kein großes Problem.
Seine Therapie würde im Februar starten und bis dahin gab ich weiterhin mein bestes.
Das war ich ihm schuldig.
Er wirkte oft sehr einsam. In sich gekehrt.
Als gäbe es etwas unausgesprochenes.Wir haben als Band lange gebraucht um die Geschehnisse untereinander aufzuarbeiten.
Zusammengefasst konnte man sagen, dass
wir uns auseinandergelebt hatten.
Da wir in fünf Monaten bereits, nach einem Jahr Zwangspause, wieder auf der Bühne stehen mussten, wollten wir nun die Bandproben auf jeden Samstag wieder einführen.
Ich spielte zwar oft, jedoch eher für Emigrate, als für Rammstein. Paul hingegen hatte seiner Gitarre nun seit 1,5 Jahren keinerlei Aufmerksamkeit mehr geschenkt.
Wie es um die musikalischen Fähigkeiten meiner Bandkollegen stand, wusste ich nicht.Paul war vor unserem ersten Probesamstag mehr als aufgeregt.
Deswegen holte ich meine Akustikgitarre aus der Abstellkammer.
Damit war es ein leichtes, wieder reinzukommen.
Aber so nicht für Paul.
Er kam absolut nicht zurecht.
Teilweise konnte man denken, es wäre seine erste Musizierstunde.
Nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen, gerade Töne herauszubekommen und seinen Riffs treu zu bleiben, holte ich eine klassische Konzertgitarre.
Er starrte diese verwirrt an.
Spiel mal „highway to hell" ermutigte ich ihn.
Dieses Lied spielten wir damals sehr oft. Es war einfach zu merken und zu spielen.Es fiel ihm wahnsinnig schwer, im Rhythmus zu bleiben, weswegen ich mittels Holzkochlöffel und Schale versuchte, ihm den Takt vorzugeben.
Es funktionierte nicht.
„Ich krieg es nicht hin." sagte er wütend.
„Ich weiß nicht woran es liegt, verdammte scheiße!" fügte er noch hinzu.
„Vielleicht hast du momentan zu viele andere Sachen im Kopf, die es dir schwer machen, den Fokus auf die Gitarre zu legen" sagte ich fürsorglich.
„Ja, das kann man wohl so sagen!" grummelte er.
Ich legte die Schale inklusive Kochlöffel zur Seite und nahm ihm die Gitarre aus dem Arm.
Ich habe ewig keine klassische Gitarre mehr gespielt.
Da ich jahrelang an Stahlsaiten gewöhnt war, und weniger an die aus Nylon, vermasselte auch ich die ersten Töne.
Aber es war reine gewöhnungssache.
Paul hörte mir zu während ich ACDC's Hit „Highway to hell" runterrockte.
Den letzten Ton ließ ich verstummen und lächelte Paul an.
„Willst du es nicht nochmal versuchen?"
Er schüttelte den Kopf und stand auf.
„Ich geh duschen..." sagte er zögerlich.
Seine tränenden Augen waren mir wohl aufgefallen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, während ich seufzend Rauch aus meinen Lungen bließ.
Scheiße.Zwei Tage später fanden wir uns im Proberaum wieder.
Die Setlist für das Jahr 2021, welche wir noch vor Tourneebeginn ausgearbeitet hatten, sah eine genaue Reihenfolge vor.
So wollten wir mit „Armee der Tristen" beginnen.
Flake begann mit der, für das Lied bekannten, Anfangsmelodie und als nächstes stiegen Ich, Paul und Oliver ein. Es dauerte keine 3 Sekunden, ehe Paul, mich und Olli aus dem Takt brachte.
Die Akkordbegleitungen zu meinen gespielten Melodielinien waren alles andere als rhythmisch.
Wir begannen wieder von vorne.
Gleicher Fehler.
Man sah Oliver langsam seine Ungeduld an.
„Hast du gesoffen oder was?"
„Konzentration, Paul. Wir beginnen nochmal. Zwo.. drei.. vier.." zählte Schneider.
Ich atmete scharf ein, als wir zur besagten Stelle gelangten, die Paul Schwierigkeiten bereitete.
Und es klappte tatsächlich.
Ich atmete erleichtert aus. Jedoch offensichtlich zu früh.
Ein unangenehmes Zurren und vorbei war's, noch bevor Till seine Stimme einsetzen konnte.
„Ich fasse es nicht" sagte Oliver verachtend.
Paul starrte ins leere, nahm seine Gitarre langsam mit dem Gurt von der Schulter und verließ den Raum wie in Zeitlupe.
Ich schaute Till an.
Dieser zuckte mit den Schultern, während er in Pauls Richtung schaute.
„Kriegt der eigentlich garnichts mehr geschissen, alter?" schrie Oliver durch den Raum.
Das hatte Paul mit Sicherheit gehört.
„Junge, brennt dir der Helm?" schrie nun Till unseren Bassisten an.
Flake und Schneider schauten teilnahmslos und schockiert drein.
„Vielleicht wäre es das beste gewesen, er hätte sich verdammt nochmal einfach aus der Band verpisst."
In mir stieg heiße Wut auf, die überzukochen drohte.
Ich stürmte auf Oliver zu und schubste ihn auf das hinter ihm stehende Ledersofa.
Ich schmiss mich auf ihn drauf und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Wie wäre es, wenn du nutzloses Stück Dreck dich einfach verpisst?" schrie ich ihn an.
Ich bekam eine Faust direkt auf die Nase, ehe ich ruckartig nach hinten gezogen wurde. Schneider war dazwischen gegangen. Ich landete unsanft auf dem Linoleum-Boden.
Ich blutete aus der Nase.
Ich stand auf, klopfte und strich mir den Staub von der schwarzen Jeans und drehte mich um.
Dabei schaute ich Oliver hasserfüllt an.
Ich musste mich um Paul kümmern. Ich stellte allerdings fest, dass Till mir zuvor gekommen war.
Paul weinte - mal wieder.
Er lang im Arm von Till und schluchzte.
Er hatte mir den Rücken zugedreht.
Till klopfte ihm auf den Rücken und schaute mich besorgt über Pauls Schulter an. Wir dachten das gleiche.
Ich räusperte mich.
Dies ließ Paul sich aus seiner Umarmung zu Till lösen.
Er drehte sich zu mir um, schaute mich an und mein Herz rutschte eine Etage tiefer.
So viel Schmerz in diesem Blick.
Er wusste es auch.
wir drei schauten uns an, während wir die dumpfen Schreie von Schneider und Oliver aus dem Keller hörten.„Könnt' ihr mir bitte einmal zuhören?" rief ich in die Runde.
Wir waren wieder heruntergegangen.
„Ich denke wir sollten das jetzt mal alle rational sehen.." fuhr ich fort, als ich die volle Aufmerksamkeit der Bandmitglieder bekam.
„Pauls Arzt machte mich bei seiner Entlassung darauf aufmerksam, dass durch den Sauerstoffmangel im Gehirn seine Kreativität eingeschränkt oder völlig verloren gegangen sein könnte".
Olli machte ein verachtendes Geräusch.
Daraufhin hätte ich ihm am liebsten noch eine verpasst.
„...Paul macht das nicht aus Bosheit" ergänzte Till meine Belehrung.
„Niemand hat ihn gezwungen, sich seine scheiß Arme aufzuritzen. Das war ganz alleine seine eigene Entscheidung" schrie Oliver wieder.
Das ließ meine Zündschnur im null komma nichts abbrennen und so bekam nun auch Olli seine verdiente Faust direkt auf die Nase.
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Paulchard - Mein Herz brennt!
Fiksi Penggemar„Eine kurze Rückversicherung. Es war okay. Unsere Gesichter kamen aufeinander zu. Ich spürte einen kurzen Windstoß seines Atems, bevor seine Lippen meine berührten. Ein Blitzschlag durchfuhr mich. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Meine Magengeg...