Ohne dich - Richard

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Ich schätze Pauls Anwesenheit sehr.
Wir hatten gerade zur Zeit der Gründung viele negative Auseinandersetzungen, da wir uns nicht einigen konnten, wer Lead- und wer Rhytmus-Gitarre übernahm.
Paul hatte sich geschlagen gegeben und spielte seitdem mit Leidenschaft die Rhytmusgitarre.
Und das ist auch gut so. Wir beiden ergänzten uns prima.
Wir sind älter und reifer geworden, wenn wir im Kopf auch immer noch Jungs geblieben sind.
Die Band war meine Familie.
„Geht es dir besser?" erkundigte sich Paul.
„Ja, wenn auch nicht gut." gab ich zu.
Ich weiß selber nicht, wie das passieren konnte. Genau aus diesem Grund mied ich Alkohol, wo es nur ging.
Ich kannte meine Grenzen nicht sonderlich gut. Besser gesagt, ich kannte sie schon, aber es war mir, wenn ich einmal getrunken hatte, völlig egal.

„Willst du drüber reden?" fragte Paul unsicher.
Ich schwieg.
„Du weißt, dass du nicht reden musst.."
Sein Handy vibrierte, und er schaute drauf.
Er sah verwundert aus.
„Alles in Ordnung?" fragte ich stirnrunzelnd.
„Ja, alles gut. Olli schrieb gerade, wenn wir noch Lust haben, können wir rüber kommen. Sharleen ist auch da."
„Sharleen Spiteri?" wollte ich wissen.
„Ja, ist echt lang her..."
Man hörte in Pauls Stimme heraus, dass er liebend gerne zu den Jungs wollte, aber mich auch nicht allein lassen mochte.
Nachdem ich mir den Alkohol des letzten Tages durch den Kopf gehen lassen habe, fühlte ich mich mittlerweile tatsächlich ganz gut.
Aber ich hatte ehrlich gesagt keine Lust auf die Konfrontation mit meinen Bandmitgliedern. Aber mussten sie unbedingt wissen, was in der Nacht passierte? Vielleicht konnte ich Paul um stillschweigen bitten.
Und Sharleen? Die bräuchte das nun wirklich nicht wissen.
Mit Sharleen hatten wir Anfang der 2000er Jahre den Song „Stirb nicht vor mir" aufgenommen. Wenige Male gab es Liveauftritte zusammen, und seitdem verband uns eine entfernte Freundschaft. Besonders Till und Sharleen trafen sich regelmäßig. Die Band bekam sie dahingehend seltener zu Gesicht.
Gerade, als ich beschloss, Paul den Gefallen zu tun, mitzukommen,
sagte er mit leichter Bitterkeit in der Stimme „Vielleicht ein anderes mal. Ohne dich gehe ich nicht." und schaute mich von oben bis unten an. Ich muss schrecklich aussehen. Eine Dusche würde mir gut tun.
„Nein, Paul. Gib mir eine halbe Stunde, dann können wir los."
Paul schaute verwundert.
„Ist das wirklich in Ordnung für dich?"
„Sonst würd ich es nicht sagen. Und mir geht's prima", log ich, sprang auf, zog die Gardine zu und versperrte somit die Sicht auf den größten Fehler, den ich die Nacht hätte begehen können.
Ich fragte: „Weswegen sitzen wir hier gleich nochmal?", drehte mich um und grinste in Pauls Richtung.
Paul schüttelte den Kopf und lachte herzlich, während er die Füße hochlegte und die Arme in den Nacken legte.
„Los Casanova, ab unter die Dusche"

Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt