Gefährliche Sympathie •Finnick Odair•

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Ich hatte nie verstanden, warum die Menschen sich daran ergötzten, die Hungerspiele zu sehen. Diese brutalen, grausamen Spiele, bei denen Kinder aus den verschiedenen Distrikten gegeneinander kämpfen mussten, bis nur einer von ihnen übrig war. Es war wie ein grausames Schauspiel, und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr ekelte ich mich vor der Vorstellung, dass irgendjemand Freude an so etwas finden konnte. Aber ich war die Enkelin von Präsident Snow, und meine Familie hatte viel Einfluss, so viel, dass ich oft in diese Welt hineingezogen wurde, obwohl ich mich dagegen wehrte. Heute war ein weiterer Sieg. Finnick Odair hatte gewonnen. Ein strahlender Held für das Kapitol. Aber ich wusste, was hinter dem Glanz der Medaillen und den schillernden Festen steckte. Ich wusste, dass mein Großvater hinter verschlossenen Türen Dinge plante, die nicht nur grausam, sondern auch zutiefst unmenschlich waren. Ich hörte es zufällig, als ich im Flur vorbeiging. Mein Großvater hatte Finnick schon zu seiner Feier eingeladen, aber das war nur der Vorwand. Er wollte ihn zwingen, sein "Geschenk" für das Kapitol anzunehmen – etwas, das für Finnick bestimmt ein Albtraum werden würde. Etwas, das kein Sieger verdienen sollte. Ich konnte nicht länger warten. Ich konnte dies nicht ertragen.

Am Abend der Siegerfeier, als die Lichter des Kapitols die Straßen erleuchteten und die Bewohner in ihre schicke Kleidung gekleidet waren, schlich ich mich aus der Wohnung meiner Familie. In meinen Händen hielt ich mein Kleid, das mir meine Mutter für die Feier geschenkt hatte, aber meine Gedanken waren nicht bei den Feierlichkeiten. Es ging nur um Finnick. Als ich die Treppen zur oberen Etage des Kapitols hinaufstieg, wo die Feierlichkeiten stattfanden, konnte ich ihn schon sehen. Finnick stand dort, als er wusste, dass alle Augen auf ihm ruhten. Die Frauen flogen auf ihn, lachten, flirteten, doch ich konnte die Leere in seinen Augen sehen. Die Verachtung, die er für das alles empfand, war so offensichtlich, dass es fast schon schmerzte, ihm zuzusehen. Ich wartete, bis er allein war. Dann trat ich aus den Schatten und ging auf ihn zu. "Finnick", sagte ich, meine Stimme war fester, als ich mich fühlte. Er drehte sich abrupt um, die Augen verengten sich misstrauisch, als er mich ansah. "Wer sind Sie?" "Laura", antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln. "Ich bin... nun, ich bin die Enkelin von Präsident Snow." Er zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich dachte, Sie wären eine von denen, die den ganzen Spaß hier genießen", sagte er schneidend. Ich schluckte. "Ich... verstehe nicht, warum das alles so sein muss. Ich... ich finde es grausam. Ich habe gehört, was mein Großvater mit dir vorhat. Und es tut mir leid." Er lachte bitter. "Tust du das? Hast du nicht auch ein wenig Spaß daran, zu sehen, wie wir alle hier für das Wohl des Kapitols geopfert werden?" "Nein!" entgegnete ich schnell, bevor ich mich zügelte. "Ich meine, es ist nicht fair. Du hast gekämpft, du hast gewonnen. Aber das, was mein Großvater dir antut... das ist kein Sieg. Das ist Zerstörung." Finnick sah mich an, seine Augen mischten sich aus Misstrauen und einer seltsamen, tiefen Traurigkeit. "Warum sollte ich dir glauben, Laura? Was weißt du schon über das, was hier passiert? Du bist Teil von all dem, Teil des Systems, das Menschen wie mich benutzt." Ich senkte den Blick, meine Hand zu einer Faust geballt. "Ich bin nicht wie er", sagte ich leise. "Und ich will dir helfen, wenn ich kann. Aber ich brauche, dass du mir vertraust." Er schüttelte den Kopf, als ob er darüber nachdachte, was er antworten sollte. Dann, nach einem langen Moment des Schweigens, sagte er: "Du weißt, dass du mich in Gefahr bringst, oder? Wenn du jetzt mit mir sprichst, wirst du selbst ein Ziel für den Präsidenten. Er wird dich genauso benutzen wie alle anderen." "Ich weiß", flüsterte ich, "aber ich kann nicht einfach zuschauen, wie du... wie du zerstört wirst." Finnick warf einen Blick auf die Tänzer und das Gewimmel der Leute, die sich von der Feier treiben ließen. "Ich will nicht in Gefahr sein, Laura. Und ich will nicht, dass du es auch bist. Du solltest wirklich gehen." Ich wusste, dass er recht hatte. Ich wusste, dass mein Großvater alles tun würde, um zu verhindern, dass jemand gegen seine Pläne sprach. Aber ich konnte es nicht ertragen, zu schweigen. Nicht jetzt. Nicht bei Finnick. "Ich werde nicht gehen", sagte ich fest. "Aber ich werde auch nicht dafür sorgen, dass du dich in Gefahr begibst. Ich werde etwas tun. Etwas, das ihm zeigt, dass ich nicht ein Teil davon bin." Finnick starrte mich an, als ob er versuchte, etwas in mir zu sehen. Irgendetwas, das ihm Hoffnung geben konnte. Doch dann senkte er den Blick und nickte. "Du bist verrückt", murmelte er, "aber vielleicht ist das das Einzige, was uns noch etwas Menschlichkeit lässt." Ich trat einen Schritt zurück, zögerte, dann drehte ich mich um und ließ ihn allein mit seinen Gedanken, während das Lächeln der Feier weiterhin den Raum füllte. Aber in meinem Inneren wusste ich, dass ich nicht einfach nur eine weitere Zuschauerin war. Ich konnte noch etwas tun. Ich musste.

One Shots nach Lust und Laune 5.0Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt