Kapitel 4-Ein Junge aus Tansania

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Mittlerweile ist es Donnerstag und ich arbeite im Supermarkt. Ich habe jeden Dienstag-und Donnerstagnachmittag die Aufgabe die Regale zu sortieren, Bestellisten auszufüllen und dem ein oder anderen Kunden helfen. Schon am ersten Tag wusste ich, dass das hier definitiv nicht mein Traumjob werden würde und bemühe mich seitdem noch mehr um gute Noten. Die Zeit vergeht wie immer schleichend langsam, aber irgendwann ist es halb sieben und ich darf den grässlichen Kittel ausziehen. Ich will gerade hinten rum an der Kasse vorbei gehen, als ich Agatha kreischen höre. Sie ist ein richtiges Biest und konnte mich von Anfang an nicht leiden. Was aber auf Gegenseitigkeit beruht. Obwohl ich eigentlich schnell nach Hause will, da Dad sonst unruhig wird, sehe ich nach dem Grund für ihr Gebrüll. Vielleicht liegt irgendwo eine Erbse auf dem Boden. Aber an der Kasse steht ein vielleicht achtjähriger Junge und starrt zu Agatha hoch, die sich über die Kasse gebeugt hat und wie ein feuerspeiender Drache über ihm thront. Der Junge hat eine dunkle Hautfarbe und wirkt ziemlich schmächtig.
"Na was is? Haste das Geld jetzt oder nich? Das is Diebstahl, Freundchen! Ich ruf deine Eltern an, ma sehen, was die dazu sagen. Obwohl, die werden mich auch bloß nich verstehn." Entschlossen drängele ich bis zur Kasse vor und lege dem kleinen eine Hand auf die Schulter. Er zuckt erschrocken zusammen und ich hoffe, er spielt mit.
"Mensch, hier steckst du! Ich hab dich schon überall gesucht. Ich bin fertig wir können jetzt gehen." Agatha sieht mich wütend.
"Was mischt du dich da ein?"
"Agatha, das ist...Paulõ. Er ist...der Sohn von Bekannten von uns. Ich habe ihn heute mit zur Arbeit genommen, ging nicht anders. Er kommt aus Bolivien. Wo war hier das Problem?"
"Er hat wat geklaut!"
"Oh, das ist natürlich nicht in Ordnung, Paulõ. Du machst es doch nicht noch mal?" frage ich den Jungen und schüttele ganz leicht den Kopf, zum Zeichen das er es mir nach machen soll. Er macht es, Gott sei Dank.
"Gut. Ich bezahle die Dinge die er versehentlich eingesteckt hat, natürlich. Was war es denn?" Agatha schnaubt.
"Versehentlich. Pah! Der Appel hier und der Riegel." Ich krame mein Portmonee aus der Tasche, bezahle und gebe beides dem Jungen. Dann schiebe ich ihn vorsichtig aus Agathas Reichweite. Über die Schulter sage ich noch:
"Ach und Agatha? Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Familie unsere Sprache spricht, aber ob sie Sie versteht wage ich zu bezweifeln. Man sollte sich immer bemühen die Sprache richtig zu sprechen." Jemand aus der Schlange peift, ein anderer klatscht. Ich grinse und gehe mit dem Jungen an der Hand ein Stück weg. Wir bleiben an einer Pinnwand hängen, wo Leute verschiedenste Dinge zum Verkauf bieten. Der Junge hat seelenruhig seinen Riegel auseinander gewickelt, isst ihn und guckt sich dabei die ganzen Zettel an.
"Und was machen wir jetzt?" frage ich ihn. Er sieht mich an und sagt nur ein Wort:
"Ryder." Oh bitte nicht. Hat denn alles mit ihm zu tun? Keine zehn Sekunden später steht er neben uns, etwas außer Atem.
"Ich hatte Recht", sagt er.
"Ja dir auch Hallo. Womit?"
"Das war deine Stimme die ich gehört habe. Du hast ihn verteidigt?" Ryder klingt ungläubig.
"So überrascht? Vor Agatha hätte ich jeden verteidigt, aber vielleicht solltest du deinem Freund beibringen immer ein paar Münzen in der Tasche zu haben." Ryder grinst.
"Hat er normalerweise auch. Keine Ahnung warum er sie nicht hingegeben hat." Er sagt etwas in einer fremdem Sprache zu dem Kleinen. Der antwortet mit einem verschmitzen Lächeln. Ryder lacht.
"Was?" frage ich.
"Er hat Geld mit, wusste aber nicht was die Frau von ihm wollte, er dachte er kommt durch, weil sie ihn am Anfang nicht gesehen hat. Außerdem fand er deine Show toll."
"Show?" Ich muss lachen. "Ich habe praktisch meinen Kopf hingehalten."
"Danke dafür." Ich sehe ihn überrascht an. Ryder sieht nicht aus wie jemand der sich häufig bedankt und nach unseren Auseinandersetzungen dachte ich, er würde nie wieder ein Wort mit mir wechseln.
"Wo warst du überhaupt?"
"Hinten, beim Kühlregal. Ich habe ihm gesagt, er soll warten. Na ja hat bestens funktioniert. Er heißt übrigens Juan, nicht Paulõ und er kommt aus Tansania. Aber tolle Story."
"Danke", sage ich. Ein paar Sekunden stehen wir da und sehen uns an. Ryders Augen sind braun mit goldenen Sprenkeln um die Pupille.
"Stalkst du mich eigentlich?" höre ich mich fragen.
"Wieso? Dasselbe könnte ich dich fragen und dabei weiß ich noch nicht Mal deinen Namen."
"Cat", sage ich.
"Oh ein Kätzchen. Das passt."
"Lass das."
"Kitty?"
"Halt die Klappe!" fauche ich. Ich hasse, hasse diesen Namen. Da klingelt mein Handy. Ich werfe einen Blick drauf. Dad. Oh scheiße.
"Ich muss los."
"Warte, das Geld..."
"Lass gut sein." Ich gehe schnellen Schrittes zum Ausgang und nehme das Gespräch entgegen.
"Cathrina? Wo zum Teufel bist du?"
"Noch im Supermarkt, aber ich komme jetzt und..."
"Wieso bist du noch da? Deine Schicht hat vor einer halben Stunde geendet!"
"Ja ich habe..."
"Du hättest mir eine SMS schreiben müssen, wenn du länger arbeiten musst."
"Nein, Dad..." Er lässt mich wieder nicht ausreden.
"Komm nach Hause, sofort!"
"Ja." Aber er hat schon aufgelegt. Der Supermarkt ist bei uns direkt um die Ecke, der einzige hier draußen, weshalb ich auch nicht behaupten kann, der Bus kam nicht oder so. Kurz werde ich wütend. Ich bin siebzehn und er behandelt mich immer noch wie ein kleines Kind!
Zu Hause sitzt er in der Küche. Mum ist am Dienstag nach Paris geflogen, weshalb auch niemand da ist, der Dad wieder runter holen kann.
"Dad, ich kann das erklären..."
"Ich will die Erklärung aber nicht hören. Du hast Hausarrest. Bis zum Ende der Woche! Und dein Mädelsabend morgen fällt auch aus." Ich bin sprachlos vor Wut und gehe ohne ein Wort in mein Zimmer. Ich werde morgen in der Schule zu tun, als ginge es mir nicht gut, damit ich eine Ausrede habe, dass wir den Abend ausfallen lassen müssen. Em kann ich es vielleicht noch erzählen, aber die anderen beiden werden nicht verstehen, warum mein Dad mir mit siebzehn Hausarrest gibt und ich auch noch darauf höre! Ich mache meine Hausaufgaben und bleibe den Rest des abends in meinem Zimmer.


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