Kapitel 30-Weil es unfair ist

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Ich kann das nicht. Ich kann nicht so tun, als wäre nie etwas passiert. Ich liebe ihn. Und trotztdem...sitze ich hier mit Jeremy. Wir sind zurück aus Kourton, es ist Dienstag. Jeremy und ich haben uns etwas zu essen geholt und sitzen jetzt auf einer Parkbank. Ich stochere lustlos in meinen Nudeln.

"Hast du keinen Hunger?" Jeremy deutet auf meine Nudeln.

"Nicht wirklich. Kann...kann ich dich was fragen?"

"Klar." Er klaut sich meine Nudeln und sieht mich aus blauen Augen liebevoll an.

"Ryder hat mir gesagt, dass du von dem Kuss weißt. Wieso hast du nie was gesagt? Mir nicht und Em auch nicht.." Er verschluckt sich und hustet.

"Was?"

"Ich habe Ryder geküsst."

"Er hat dich geküsst", widerspricht Jeremy, als wüsste er tatsächlich was passiert ist.

"Ich habe ihn nicht weggestoßen." Er sieht mich nicht an.

"Ryder meinte, du hast es getan."

"Später. Viel später."

"Da spielt doch keine Rolle, du hast es getan und..." Plötzlich kann ich es nicht mehr hören.

"Jeremy! Hör auf, bitte. Ich bin nicht die Unschuldige, okay? Es ist auch meine Schuld und ich weiß, dass du willst, dass es funktioniert. Ich will es genauso. Aber...ich mag ihn auch." Ich habe es ausgesprochen. Tatsächlich ausgesprochen. Plötzlich fährt sein Kopf herum. Seine Stimme zittert ein wenig.

"Du machst Schluss? Cat, wir kenn uns vielleicht noch nicht so gut. Ihn kennst du auch nicht."

"Stimmt, aber das fühlt sich alles so..." Ich will nicht falsch sagen, denn damit würde ich Jeremy vermutlich zerstören.

"Was?" Er spuckt die Worte förmlich aus. Ich habe ihn noch nie so verletzt und wütend gesehen. Mein Handy erspart mir eine Antwort.

"Sorry", murmele ich und krame es aus der Tasche. Die Nummer ist merkwürdig und unbekannt.

"Hallo?",melde ich mich unsicher.

"Cathrina? Hier ist das Krankenhaus, ihr Vater wurde soeben eingewiesen." Eine eiskalte Ruhe breitet sich in mir aus.

"Er ist zusammen gebrochen, genaueres können wir leider nicht sagen. Kommen..."

"Ich bin in fünfzehn Minuten da." Ohne ein Wort zu verlieren, springe ich auf und renne los.

"Cat! Cat, was ist denn?" Jeremy holt mich ein.

"Meinem Dad geht es nicht gut, ich muss los."

"Ich komme mit."

"Nein, bleib hier, ich will allein sein, okay? Bitte." Er zögert.

"Wie du willst", sagt er und lässt mich gehen. Ich fahre mit dem Bus und schaffe es in weniger als einer Viertelstunde ins Krankenhaus. Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren, ich höre mich selbst nicht, als ich mich an der Rezeption vorstelle.

"Sie können bald zu ihm, haben Sie etwas Geduld."

"Wie lange? Was ist passiert?" Ich weine fast, die aufsteigenden Tränen nehmen mir die Sicht.

"Das kann ich nicht sagen. Vielleicht noch fünf Minuten, vielleicht auch fünfzig. Bitte warten Sie hier." Die Rezeptionsdame deutet auf einen der grauen Plastikstühle. Ich setze mich und fange an hemmungslos zu schluchzen. Die Dame reicht mir wortlos ein Taschentuch. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergeht, aber irgendwann hole ich mein Handy raus und scrolle mich durch die Nummern. Bei R bleibe ich stehen. Ryder. Ich drücke auf die Nummer, der Anruf wird aufgebaut. Bevor es jedoch richtig wählen kann, lege ich auf und stecke das Handy weg. Wieder vergeht Zeit. Da kommt eine Schwester.

"Sie sind Cathrina?"

"Ja, was ist mit ihm?"

"Kommen Sie mit." Während wir durch die langen weißen Flure gehen, erklärt sie mir mehr.

"Ihr Vater war betrunken und hatte einen Herzinfarkt. Wir mussten ihn wiederbeleben. Den Umständen entsprechend hat er großes Glück gehabt. Vermutlich schläft er jetzt." Sie deutet auf eine Tür. Ich zögere, bevor ich die Klinke runter drücke und eintrete. Dad's Gesicht hat die Farbe des Bettlakens. Leise setze ich mich neben ihn und nehme seine, von Kanülen durchlöcherte, Hand.

"Cat?" Mühsam öffnet er die Augen.

"Schh. Ich bin hier, Dad. Es...es tut mir so leid."

"Sie ist..." Er kann kaum sprechen, die Töne an dem Monitor werden unregelmäßiger. Die Schwester kommt wieder rein und bedeutet mir, dass ich gehen soll.

"Sie ist da, Cathrina."

"Was? Wer, Dad?" Doch er sagt nichts mehr und ich werde aus der Tür geschoben. Draußen dämmert es, meine Tränen schmecken salzig. Warum musste das passieren? Warum? Wieder klingelt mein Handy.

"Hallo?"

"Cat, wo bist du?"

"Jeremy, ich...gehe jetzt nach Hause."

"Soll ich kommen?"

"Nein." Ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch.

"Aber...na gut, wie du meinst." Plötzlich klingt seine Stimme abweisend. Ich lege auf. Zu Hause ist es dunkel und ich bin allein. Ich habe Jeremy wieder angelogen. Ich will nicht allein sein. Diesmal wähle ich wirklich seine Nummer, er geht nicht ran. Nur der Anrufbeantworter meldet sich und ich rede mir ein, dass es gut so ist. Dass ich kein Recht habe ihn anzurufen. Nicht jetzt. Nie. Weil es unfair ist. Weil wir immer das Richtige tun müssen.


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