Ein letztes Mal

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"Hier ist David McBride. Ich würde gerne mit Valerie sprechen, wenn es geht"

Ich stand da, wie angewurzelt. Passierte das gerade wirklich? Oder spielte mir mein Leben nur wieder einen Streich? Oh man, da hatte es sich aber was ganz tolles ausgedacht!

"Hallo?", fragte die Stimme, die ich seit über sieben Jahren nun nicht mehr gehört habe. Doch. Das hier war die Wirklichkeit. Die verdammte Realität! Als hätte es das Leben nicht schon gut genug mit mir gemeint! Ich war nicht fähig, auch nur einen Laut von mir zu geben. Was sollte ich jetzt tun?

Ich versuchte mich zu sammeln und spürte Lucys Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten. Ich versuchte, möglichst kühl zu klingen. Höflichkeit war hier ganz und gar nicht angebracht!

"Tut mir leid. Du musst dich verwählt haben. Eine Valerie lebt hier schon seit über sieben Jahren nicht mehr, David" Nun starrte auch meine Tante mich geschockt an. Jetzt, da sie wusste, mit wem ich telefonierte, saß sie stocksteif da, als hätte sie mal eben ein Brett verschluckt.

"Sie kam bei einem Autounfall ums Leben, als sie ihren beschissenen Ehemann zurück holen wollte, der sie und ihre kleine, zehn Jahre alte Tochter verlassen wollte. Und eben dieses Kind fühlt sich jetzt gerade in diesem Moment ziemlich verarscht, dass du doch tatsächlich die Eier in der Hose hast, hier einfach anzurufen und nach ihrer Mutter zu verlangen!"

Okay. Ich hatte diesen Ausbruch nie geplant -immerhin habe ich ihn tatsächlich für tot gehalten- , aber ich war kurz davor zu platzen vor Wut. Ich ließ alles aus mir heraus und nicht einmal Lucy hätte mich jetzt noch bremsen können. "Wenn ich dich daran erinnern darf, hast du doch diesen feigen Brief hinterlassen und wolltest, dass ich dich für tot halte. Und damit kam ich ganz gut klar. Ich verstehe nicht, was in dich gefahren sein musst, dass du erst nach sieben verfickten Jahren anrufst, um dich nach uns zu erkundigen, du dreckiger Wichser."

Ich hörte, wie er etwas sagen wollte, doch ich gab ihm keine Chance dazu. "Nein, du hörst mir jetzt zu. Ich bin dran mit reden. Weißt du eigentlich, was du uns angetan hast? Wie es ist, ohne Eltern aufzuwachsen? Lucy arbeitet sich ihren Arsch ab, damit wir überleben und du? Du hast dir wahrscheinlich ein hübsches Leben aufgebaut mit einem fetten Haus und hast bestimmt auch noch den Arsch voll Geld. Weißt du was? Wir brauchen dich nicht. Das habe ich für meinen Teil zumindest noch nie. Ich werde jetzt gleich auflegen und danach wirst du uns nie wieder belästigen, ist das klar? Wir werden einfach so tun, als hätten wir dieses Gespräch niemals geführt. Denn für mich, bist du schon vor Jahren gestorben."

Ohne auf Antworten zu warten, legte ich einfach auf. Ich wollte nichts mehr von ihm hören!

Kraftlos lehnte ich mich an die Wand und spürte, wie meine Knie weich wurden, bis sie schließlich ganz nachgaben und ich langsam auf den Boden glitt.

Lucy kam langsam auf mich zu, als habe sie Angst, ich könnte noch einmal derart explodieren. Sie setzte sich neben mich und legte mir einen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich.

"Scheint so, als sei er doch nicht ganz so tot, wie ich immer geglaubt habe", murmelte ich verbittert und lehnte meinen Kopf an Lucys Schulter. Mir wurde urplötzlich schlecht. Eine Art Achterbahngefühl machte sich in meinem Magen breit und ich bereute es, überhaupt ans Telefon gegangen zu sein.

Was wollte er so plötzlich? Und warum wusste er nicht, dass Mom tot war? Hatte er etwa nicht seine tausenden Nachrichten von Lucy und der Polizei abgehört? Oder war das alles einfach nur ein mieser Scherz?

Ich verstand die Welt nicht mehr. Sie schien sich langsam in meiner Hand aufzulösen, bis sie vollständig zerbrach. All die Jahre hatte ich meine Wut verstaut, in der hintersten Ecke meines Gehirns in einen Karton mit der Aufschrift "Nicht öffnen, Explosionsgefahr" versteckt. Aber nun hat er sie wieder hervorkramt und mit einem kräftigen Ruck geöffnet.

Engelchen im Herzen, Teufelchen im Blut und den reinen Wahnsinn im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt