Kapitel 1

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Schritt. Schritt. Schritt. Atmen. Meine Schritte dröhnen zum Beat. Mit jedem Schritt fühle ich mich besser. Die Bässe lassen mein Trommelfell vibrieren. Worth it. Fifth Harmony. Schritt. Schritt. Schritt. Atmen. Ich jogge durch den Park. Wie jeden Tag. Ich brauche das, wie die Luft zum Atmen. Hier kann ich abschalten, hier bin ich für mich.

Langsam breitet sich die Wärme in meinem Körper aus. Mit jedem Kilometer fühle ich mich leichter, ich fühle mich gut. Noch eine Runde, dann nach Hause. Duschen. Ah, ich muss die Gästeliste fertigstellen. Noah hat seine schon längst fertig. Habe ich an alle gedacht? Ich muss meinen Teil der Liste noch auf 50 kürzen. Das habe ich ihm versprochen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so viele Menschen kenne. Und dass ich sie alle dabei haben will. Er muss unbedingt noch einmal drüber schauen. Die Hochzeit ist in fünf Monaten. Die Zeit wird langsam knapp.

Wir müssen uns auf ein Layout für die Einladungskarten einigen. Ich will es elegant. Weiß, Grau, Latte Macchiato. Gold oder Silber? Ich weiß es nicht. Schritt. Schritt. Schritt. Atmen. Ein Glück, dass mir Kim dabei hilft. Noah ist keine große Hilfe. Gold oder Silber? Egal. Weiß oder Eierschale? Egal. Als wäre das egal. Das ist der wichtigste Tag im Leben. Er soll perfekt sein. Schritt. Schritt. Schritt. Atmen.

Ich werde heiraten. Heiraten. Ich werde Frau Bloom. Lilia Bloom. Schritt. Schritt. Schritt. Atmen. Ich mache ein paar Schritte zur Seite und weiche einer Frau mit Kinderwagen aus. Ich jogge wieder zurück auf meine Spur, denn hinter ihr kommen die nächsten Jogger. Der Erste ist klein und dick. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Dahinter joggt ein junges Mädchen. Sie ist blond und schwebt wie eine Feder über den Boden. Ich lächle ihr zu. Der letzte von ihnen ist groß, wirkt muskulös. Er trägt einen hellgrauen Jogginganzug. Die Kapuze seines Pullovers hat er tief ins Gesicht gezogen und sieht zu Boden. Ich sehe seine markanten Kieferknochen. Er hebt seinen Kopf etwas und sieht mich an. Uh, sind das blaue Augen! Schritt. Schritt. Schritt. Atmen. Heute kann ich nicht abschalten. Ich muss mich unbedingt weiter um die Vorbereitungen kümmern, sonst werde ich noch ganz nervös. Gut, dass Kim heute vorbeikommt und mir bei den Einladungskarten hilft.

Ich kürze meine Runde ab und biege auf den Parkplatz. Ich werde langsamer. Mein Herzschlag normalisiert sich, meine Beine werden schwerer. Ich gehe über den Parkplatz zu meinem Auto. Ich nehme die Wasserflasche vom Beifahrersitz und trinke einen großen Schluck. Zum Joggen fahre ich gerne in den Park, denn ich liebe die kleine Anlage, mit dem See in der Mitte. Wir wohnen etwas außerhalb in einem kleinen Haus. Noah hat es letztes Jahr für uns gekauft. Es steht frei, umsäumt von einem kleinen Garten. Man hat einen fantastischen Ausblick auf die Skyline der Stadt. Es ist perfekt für uns. Doch joggen möchte ich hier. Ich trinke noch einen Schluck und tippe auf mein Handy.

See you at seven, pumpkin! Ich grinse. Kim.

...

Ich öffne die Haustüre. „Noah?", rufe ich. Doch ich bekomme keine Antwort. Er leitet zusammen mit seinem Vater die Marketingfirma seiner Eltern und arbeitet manchmal bis spät in die Nacht. „In so einer Position hat man keinen Feierabend", hat er mal gesagt. Manchmal ist das richtig anstrengend. Ein Blick auf sein Handy hier, ein Anruf da. Ich muss nochmal kurz in die Firma. Lilia, ich komme heute später. Doch ob ich das verstehe oder nicht, ich muss es akzeptieren. Immerhin ist er mein Chef. Irgendwie.

Wir kennen uns schon seit der achten Klasse. Zuerst waren wir lange befreundet und ich durfte eine Ausbildung in der Firma seiner Eltern machen. So richtig verliebt haben wir uns vor sechs Jahren. Ich arbeite immer noch in der Firma seiner Familie. Und jetzt werden wir heiraten. Mein Körper kribbelt bei dem Gedanken daran. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und gehe die Treppen nach oben.

Im Badezimmer lege ich meine verschwitzten Kleider in den Wäschekorb und stelle mich unter die Dusche. Das warme Wasser tut gut. Bin ich zu jung um zu heiraten? Nein. Ich bin 24. Wir sind seit sechs Jahren zusammen. Er ist der Richtige. Er ist der liebevollste Mensch, den ich kenne. Wir verstehen uns blind. Er kennt mich so, wie kein Anderer. Bei ihm kann ich so sein, wie ich bin. Ich steige aus der Dusche, creme mich ein und schlüpfe in eine bequeme Hose und ein enges Top. Kim müsste jeden Moment hier sein. Ich binde meine nassen Haare zusammen. Von unten höre ich die Türklingel zwei Mal kurz hintereinander. Kim. Sie ist hier. Pünktlich auf die Minute. So kenne ich sie gar nicht. Ich gehe die Treppe nach unten und öffne die Türe.

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