Kapitel 18

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Ich keuche und blinzle schnell. Habe ich etwas falsch verstanden? Ich nehme meine Hände von seinen Oberarmen und weiche einen Schritt zurück. Ich spiele mit meinem Schlüssel, meine Wangen werden heiß. „Danke, du auch", flüstere ich schnell und drehe mich um. Ich steige in mein Auto, stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Vorsichtig schließt er meine Türe. Ich kann ihn nicht ansehen, richte meinen Blick nach vorne und fahre los.

- - -

Ich fahre nach Hause und schließe die Haustüre auf. Ich stelle meine Tasche in den Flur und versuche krampfhaft mein schlechtes Gewissen zu verdrängen. Ich mache Noah Vorwürfe, aber bin selbst nicht besser. Ich dachte, Shane würde mich küssen. Ich hätte das nicht zugelassen, oder? Wollte ich, dass er mich küsst? Nein. Ich hätte das sicher nicht zugelassen. Ich hätte meinen Kopf weggedreht und ihm meine Meinung gesagt, oder?

Ich hätte ihn von Anfang an abblitzen lassen sollen. Ihm sagen sollen, dass ich verlobt bin und kein Interesse habe. Ich hätte ihn weggeschubst, wenn er mir noch näher gekommen wäre. Ja, ich hätte ihn weggedrückt und wäre gegangen. Wahrscheinlich hätte ich ihm sogar eine Ohrfeige gegeben. Ja, ganz sicher.

Noah sitzt auf der Couch und hat Rotwein in große Weingläser gegossen. Ich lächle. Er gibt sich wirklich Mühe. Einen Schluck Wein kann ich jetzt wirklich gebrauchen.

„Oh, verdammt. Ich muss dir die Email für deine Präsentation noch schicken.", sagt er, als er mich im Flur entdeckt.

„Ich hole dein Tablet", sage ich und hole es aus dem Büro. Ich setze mich neben ihn und nehme das große Glas an dem dünnen Stil. Die Gläser klirren hell, als wir anstoßen. Ich trinke einen Schluck des schweren Weins. Noah stellt sein Glas auf den Holztisch und öffnet sein Emailprogramm.

Ich blicke kurz auf seinen Posteingang und entdecke einen Smiley. Meeting? : ) lese ich im Betreff. Welcher Kunde macht einen Smiley in den Betreff? Ich suche schnell nach dem Absender und keuche als ich ihn entdecke, den Namen lese.

Nathalie Dawin.

Das vermisste Mädchen.

Das Adrenalin rauscht durch meinen Körper, bringt mein Herz zum Beben.

„Wieso bekommst du eine Email von der Vermissten?", platzt es aus mir heraus.

„Was?", fragt er und tippt nochmal auf das Display.

„Da ist eine Email von ihr", sage ich hektisch und tippe mehrmals auf den Betreff. Noahs Augen bewegen sich über den Text.

„Noah?", frage ich, lehne mich über seinen Arm und überfliege die Email. War schön dich zu sehen. Trennen. Vermisse dich. Das Blut rauscht in meinen Ohren, meine Finger kribbeln.

„Noah, was...?", meine Stimme zittert. Noah sieht mich mit großen Augen an.

„Ich weiß es nicht", sagt er und deutet auf das Display. Ich packe das Tablet und reiße es an mich. Mit zitternden Fingern tippe ich auf das Display. Noah zerrt an dem Tablet.

„Lass mich!", zische ich und funkle ihn an. Er lässt das Tablet los.

„Das ist sicher irgendein Spam", sagt er laut.

„Spam? Hältst du mich für total bescheuert?", schreie ich und springe auf. Ich gehe um den Couchtisch, stelle mich vor ihn und lese ihm vor: „Du hast versprochen, dich zu trennen. Du hast gesagt, du liebst Liliah nicht mehr. Ich habe dir geglaubt. Ich brauche dich. Du weißt, dass ich die Richtige für dich bin." Jeder Satz hämmert auf mein Herz, fügt ihm Risse zu. Mein Blick verschwimmt, eine Träne zerschellt auf dem Display, ich schleudere das Tablet auf die Couch.

Die Tränen laufen mir die Wangen hinab. Noah springt auf und kommt mit großen Schritten auf mich zu. Ich hebe schützend meine Hände vor meinen Körper.

„Nicht!", fauche ich. Ich will ihn nicht in meiner Nähe haben. Er bleibt stehen.

„Und sag deiner Tussi, meinen Namen schreibt man ohne h", fauche ich, drehe mich um und stampfe mit schweren Schritten über den Flur. Die Treppe knarzt und ächzt unter meiner Wut. Auf mich. Auf Noah. Auf Shane. Auf Nathalie. Ich bin so wütend auf alle, auf das, was passiert und darauf, dass ich es zulasse.

„Lilia, warte. Ich habe keine Ahnung, was das hier soll. Ich kenne sie nicht. Ich weiß nicht, woher sie deinen Namen kennt und was das überhaupt für eine Scheiße ist", sagt er laut und poltert hinter mir die Treppe nach oben.

„Lass mich alleine", fauche ich und hoffe, dass er stehen bleibt. Ich höre die Türklingel, unsere Schritte verstummen. Wir bleiben stehen und sehen uns an. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare, schließt kurz seine Augen und seufzt. Er geht die Stufen nach unten und öffnet die Haustüre.

„Guten Abend. Sind Sie Noah Bloom?", höre ich eine dunkle Stimme. Ich gehe ein paar Stufen nach unten.

„Ja, der bin ich", sagt Noah. Seine Stimme klingt so anders, er sieht hektisch zu mir, dann wieder nach draußen. Ich gehe die letzten Stufen nach unten, erreiche die Haustüre und stelle mich neben ihn. Ich halte die Luft an, bin nicht fähig zu sprechen.

„Guten Abend", sagt einer der Polizisten zu mir. Der andere mustert Noah mit festem Blick. „Herr Bloom, wir haben ein paar Fragen an Sie"

„Ist etwas passiert?", fragt Noah unsicher. Der größere der beiden sieht kurz zur Seite, dann wieder zu uns.

„Wir würden das gerne drinnen mit Ihnen besprechen", sagt er.

„Sicher", sagt Noah und macht einen Schritt zur Seite. Ich stelle mich neben ihn und lasse die Polizisten ins Haus.

„Bitte", sagt Noah und zeigt den Polizisten mit einer Handbewegung den Weg ins Esszimmer. Ich bleibe stehen und sehe den beiden hinterher.

„Noah?", flüstere ich. Er sieht mich mit großen Augen an, fährt sich durch die Haare.

„Was soll ich jetzt machen?", flüstert er und sieht erst Richtung Esszimmer, dann wieder zu mir. Was?

„Weißt du, warum sie hier sind?", frage ich.

„Nein", flüstert er und sieht mich mit großen Augen an, doch ich sehe das Pulsieren seiner Iris.




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