Kapitel 36

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Ich kann nicht fassen, was gerade passiert ist. Ich atme viel zu schnell und merke, dass sich die Türen wieder schließen. Der Aufzug setzt sich in Bewegung und ich halte mich an der kalten Wand fest. Oliver bedroht mich. Er erpresst mich, weil ich so dumm war. Ich muss hier weg. Ich verlasse den Aufzug und renne in der Dunkelheit zu meinem Auto.

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Ich bemerke, dass ich bereits in unserer Einfahrt stehe. Wie ich hier hergekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich atme tief durch, steige aus dem Auto und gehe in der Dunkelheit zum Haus. Oliver bedroht mich. Er hat mich als Flittchen bezeichnet und erpresst mich. Mit zittrigen Händen sperre ich die Haustüre auf und gehe ins Haus.

Ich muss unbedingt mit Kim sprechen. Ich muss ihr von Oliver erzählen, ich brauche ihre Hilfe. Ein paar Mal versuche ich sie anzurufen, doch sie hebt nicht ab. Ich erinnere mich an ihr Date und seufze. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und versuche nachzudenken. Doch die Gedanken hämmern auf mich ein.

Ich fühle mich so schmutzig und allein gelassen und weiß, dass ich all die Gefühle verdient habe. Mein Körper ist angespannt und ich zucke zusammen, als mein Handy plötzlich laut auf dem Tisch vibriert. Kim.

„Hey", sage ich leise. „Pumpkin", flötet Kim. „Sorry, ich konnte vorhin nicht telefonieren. Ich bin gerade unterwegs. Ich hatte doch mein Date", sagt sie fröhlich. „Ja, ich weiß. Wann bist du Zuhause?", frage ich. „Ich bin schon auf dem Weg zum Auto. Ich denke in fünfzehn Minuten bin ich daheim", sagt sie und ich höre ihre knirschenden Schritte. „Pumpkin , ich sags dir, Mike ist super", sagt sie und lacht. „Pumpkin?", fragt sie. „Ja?", frage ich. „Ist alles in...", sagt sie.

„Ich weiß nicht, ob ich dir das am Telefon...", sage ich doch sie unterbricht mich. „Schhh...", flüstert sie. „Was ist?", frage ich. „Schhh...", macht sie wieder. „Kim, was ist?", frage ich und merke, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. „Ich weiß nicht", flüstert sie. Ich höre, dass sie ihre Schritte beschleunigt. „Lilia?", flüstert sie. Ich presse mir mein Handy ans Ohr. „Ja?", frage ich und merke, dass ich auch flüstere. Sie antwortet nicht. Ich höre ihre Schritte, höre ihre Atmung in der Leitung.  „Scheiße", flüstert sie plötzlich, „ich glaube, ich habe was gehört"

Ich springe auf. Das Blut rauscht in meinen Ohren, ich presse mir das Handy fest ans Ohr und halte den Atem an. Ihre Schritte werden immer schneller. „Kim", flüstere ich, doch sie antwortet nicht. „Kim. Was. Hast. Du. Gehört?", flüstere ich. „Scheiße, ich glaube, da ist jemand", keucht sie. „Oh mein Gott. Wo bist du?" frage ich schnell. „Parkplatz. Unteres Flussufer", sagt sie leise und ich stelle mir den von Bäumen umsäumten Schotterweg vor. Mein Herz schlägt schnell.

„Renn zu deinem Auto", sage ich hektisch. „Ich rufe die Polizei und komme sofort, okay?", Doch ich bekomme keine Antwort „Okay?", frage ich. Ich schnellen Schritte dröhnen laut auf dem Weg. „Kim? Ich lege jetzt..." sage ich doch ich höre einen schrillen Schrei. Der Schrei schießt schmerzend durch meinen Körper, ich habe das Gefühl zu erstarren, doch mein Körper vibriert. Ich keuche, meine Hände zittern. Der Schrei verblasst, klingt dumpf. Ich höre ein lautes Rascheln am Lautsprecher, höre sie schnell atmen, höre sie keuchen. Für eine Sekunde ist es still, doch plötzlich schreit sie wieder. Der Schrei fährt mir unter die Haut und sticht in mein Herz.

Ich höre ein lautes Geräusch und bin mir sicher, dass ihr Handy auf den Boden gefallen ist. „Kim? Kim?", schreie ich. Meine Stimme überschlägt sich. Ich höre sie wimmern, höre ihren Atem. Stoßweise. Ich höre dumpfe Geräusche und plötzlich ist es still. Ich presse mir das Handy fest ans Ohr „Kim?", flüstere ich. Meine Stimme zittert, Tränen laufen mir über die Wangen. Ich höre Schritte auf dem Kiesweg. „Kim?", flüstere ich. Die Schritte werden lauter und verstummen plötzlich. Es raschelt laut und ich höre einen Atem. Mein Herz pocht in meiner Brust, meine Hände zittern, das Telefon vibriert an meinem Ohr. „Kim?", flüstere ich doch meine Stimme bricht, denn ich weiß, dass das nicht Kim ist.

Ich stehe im Esszimmer und kann mich nicht bewegen, doch trotzdem dreht sich dreht alles viel zu schnell. Ich halte mich an der Tischplatte fest, setze mich auf einen Stuhl und wähle den Notruf. Ich vertippe mich und tippe die Nummer nochmal. Ich halte mir das Handy ans Ohr, erinnere mich an Kims Schreie, an ihr Wimmern, an den fremden Atem und zucke zusammen, als sich eine Dame meldet.

„Kim...bitte...sie...oh mein Gott, sie...kommen Sie schnell...bitte...Kim", keuche ich und kann meine Tränen nicht stoppen. Wie durch eine dicke Schicht Watte höre ich die Dame sprechen. Sie spricht langsam und sanft. „Bitte...Sie müssen kommen", unterbreche ich sie wieder.

„Hören Sie mir zu", sagt sie plötzlich in einem strengen Ton und ich halte die Luft an. „Ich werde Ihnen jetzt Fragen stellen und Sie müssen sie mir beantworten. Nur so kann ich Ihnen helfen. Okay?", fragt sie und ich nicke. „Okay?", fragt sie wieder. „Ja", flüstere ich und wische mir mit dem Ärmel über meine nassen Wangen.

„Bitte sagen Sie mir Ihren Namen", sagt die Dame. „Lilia Wess", sage ich. „Okay, Frau Wess. Was ist passiert?", fragt sie. „Kim...also meine Freundin...wir haben telefoniert und dann war da jemand und sie hat geschrien und dann war es still und dann hat da jemand geatmet und oh mein Gott das war nicht Kim und ich glaube sie ist tot und..." sage ich schnell.

„Wissen Sie, wo Ihre Freundin ist?", fragt die Dame und ich höre sie tippen. „Am unteren Flussufer. Also am Parkplatz", sage ich und deute in die Richtung, in der der Parkplatz liegt. „Wie heißt Ihre Freundin?" „Kim", sage ich. „Kim, und weiter?", sagt die Dame. „de Fries. Kim de Fries" „War sie alleine?", fragt die Dame. „Ja", sage ich. Sie stellt mir noch ein paar Fragen, ich versuche alle zu beantworten und atme tief durch.

„Okay. Wir kümmern uns darum. Bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Ich schicke Ihnen jemanden vorbei. Wie lautet Ihre Adresse?" Doch ich möchte nicht hier sein. Ich will zu Kim. Ich muss zu Kim. „Das ist nicht nötig", sage ich leise. „Ich benötige Ihre Kontaktdaten", sagt sie streng. Ich schlucke und nenne sie ihr.

„Frau Wess, ich schicke Ihnen jemanden vorbei", sagt sie. „Frau Wess?" „Okay", sage ich. „Die Kollegen werden in ein paar Minuten bei Ihnen sein" „Danke", sage ich und lege auf. Ich lege mein Handy auf den Tisch und stehe auf. Ich muss zu Kim. Jetzt.


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