Kapitel 20

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Ich verpasse ihm die Ohrfeige, die ich schon Shane hätte verpassen sollen. Noahs Kopf schnellt zur Seite. Er schließt seine Augen, atmet ein Mal tief. Langsam dreht er seinen Kopf wieder zu mir. Er holt Luft, möchte etwas sagen doch ich drehe mich um und renne die Treppen nach oben. Ich möchte alleine sein, will seine Lügen nicht mehr hören. Doch ich spüre, dass das schrecklichste Geräusch die Stille ist, die sich um mich legt. Es ist schrecklich, dass ich seine Stimme nicht hinter mir höre, dass ich seine Schritte nicht höre. Ich bin alleine und will es nicht sein. Ich brauche Noah. Ich brauche Shane. Ich lege mich ins Bett, höre die Haustüre ins Schloss fallen und lasse meinen Tränen freien Lauf.

- - -

Ich werde diese Geschäftsreise irgendwie überstehen. Ich bin froh, dass Oliver während der Fahrt zum Flughafen ein paar Telefonate führt, auch wenn mir das über die Freisprecheinrichtung unangenehm ist. Aber ich möchte im Moment nicht sprechen. Noah ist nicht nach Hause gekommen und ich frage mich, wo er die Nacht verbracht hat und was er mit Nathalies Verschwinden zu tun hat. Er könnte niemandem etwas antun, das bin ich mir sicher. Trotzdem habe ich heute Nacht einige Fakten zusammengetragen, doch ich traue mich nicht, sie auszuwerten.

Fakt ist, dass er Nathalie gekannt hat.

Fakt ist, dass er sich mit ihr verabredet hat, obwohl ich Zeit mir ihm verbringen wollte.

Fakt ist, dass er bei ihr Zuhause war.

Fakt ist, dass sein Armband bei ihr gefunden wurde.

Fakt ist, dass er mich betrogen hat. Gut, das ist kein Fakt, aber ich glaube das.

Fakt ist, dass eindeutige Emails und Kommentare existieren.

Doch der letzte und schlimmste Fakt ist, dass er alles geleugnet hat und dass er es mir nicht gesagt hätte, wenn nicht diese verdammten Polizisten bei uns aufgetaucht wären.

„Noah ist stolz auf dich", sagt Oliver nach dem Start und lächelt mich an. Wenn er nur wüsste, wie es um unsere Beziehung steht. Ich überlege kurz, ihm alles zu erzählen. Doch ich erinnere mich an seine Worte, berufliches und privates zu trennen und halte meinen Mund.

Olivers Zeitung raschelt neben mir und sehe aus dem Fenster. Es fühlt sich an, als würden meine Sorgen kleiner werden, wenn ich auf die Erde blicke. Es fühlt sich an, als wären sie nicht mehr wichtig, als würde ich alles schaffen können. Ich habe so viele Fragen an Noah. Aber ich weiß, dass ich ihm seine Antworten nicht glauben werde. Er hat mich so oft angelogen. So oft. Ich schließe meine Augen und versuche mich zu entspannen, den kurzen Flug zu genießen.

Als wir zur Landung ansetzen werden meine Sorgen wieder größer, die Leichtigkeit des Fluges verschwindet. Es holpert und kracht, die Turbinen werden laut, ich werde in den Sitz gedrückt und komme wieder in der Realität an. Das Flugzeug rauscht über die Landebahn und fährt langsam in die Parkposition. Ich warte bis das Flugzeug steht, schnalle mich ab und folge Oliver aus dem Flugzeug.

Ich staune, als ich sehe, dass ein Fahrer bereits an einem schwarzen Wagen auf uns wartet. Ich steige ein und genieße den Anblick der schneebedeckten Berge und der liebevoll gestalteten Häuser, die an meinem Fenster vorbeiziehen. Der Fahrer bringt uns in ein elegantes Hotel.

Ich sehe mich um, sehe Holz und Glas, sehe Teppich und Fell, sehe große Blumen und Vasen. Oliver holt unsere Schlüsselkarten und wir fahren mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. Ich suche nach meiner Zimmernummer und stelle fest, dass sich unsere Zimmer  gegenüberliegen.

„Du kannst dich noch etwas auf morgen vorbereiten", sagt Oliver und bleibt vor meiner Türe stehen, „ich hole dich in zwei Stunden zum Essen" Es ist eher ein Befehl als ein Angebot, doch ich weiß, dass er recht hat. Ich muss mich vorbereiten.

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