Kapitel 19

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„Bitte", sagt Noah und zeigt den Polizisten mit einer Handbewegung den Weg ins Esszimmer. Ich bleibe stehen und sehe den beiden hinterher. „Noah?", flüstere ich. Er sieht mich mit großen Augen an, fährt sich durch die Haare. „Was soll ich jetzt machen?", flüstert er und sieht erst Richtung Esszimmer, dann wieder zu mir. Was? „Weißt du, warum sie hier sind?", frage ich. „Nein", flüstert er und sieht mich mit großen Augen an, doch ich sehe das Pulsieren seiner Iris.

- - -

Ich halte den Atem an. „Noah?", keuche ich, doch er dreht sich um und geht ins Esszimmer. Ich folge ihm langsam. Noah zeigt den Polizisten mit einer Handbewegung, dass sie sich setzen können. Er ist blass. Ich höre, wie sie die Stühle über den Boden ziehen.

„Möchten Sie etwas trinken?", frage ich wie ferngesteuert.

„Gerne", sagt der Größere der beiden. Der Andere legt einen Block vor sich und nickt.

„Herr Bloom, wir sind hier, weil wir Ihnen gerne ein paar Fragen über Nathalie Davin stellen würden"

Ihr Name lässt mich zusammenzucken, ich bleibe stehen und sehe Noah an. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare, sieht mich mit großen Augen an. Sein Gesichtsausdruck lässt meinen Atem stocken, ich kann ihn nicht länger ansehen, gehe in die Küche und gieße Wasser in die Gläser.

„In welchem Verhältnis standen Sie zu Natalie Davin?", höre ich einen der Polizisten im Esszimmer fragen.

„In keinem. Ich kenne sie nicht", sagt Noah schnell. Mit zittrigen Fingern bringe ich die Wassergläser ins Esszimmer und setze mich dazu. Der Polizist holt etwas aus seinen Unterlagen und legt es vor Noah. Ich beuge mich etwas über den Tisch, erkenne das blaue Logo. Noahs Augen weiten sich.

„Ist das Ihr Facebookrofil?", fragt er.

„Ja, das ist mein Account", sagt Noah.

„Herr Bloom", sagt der Polizist langsam und deutet auf den Ausdruck von Noahs Profil, „ich frage Sie noch einmal: In welchem Verhältnis standen Sie zu Nathalie Davin?" Noah nimmt das Blatt in die Hände und sagt: „Hören Sie. Ja, das ist mein Profil. Aber ich habe das nicht geschrieben. Ich kenne sie nicht"

„Kennen Sie diesen Gegenstand?", fragt der Polizist und legt ein weiteres Blatt vor Noah. Ich kneife meine Augen zusammen, versuche etwas zu erkennen. Es sind drei Bilder. Auf einem erkenne ich etwas dunkles, rundes. Auf dem anderen ist ein kleines, silbernes Rechteck. Und auf dem nächsten sehe ich in Silber gestanzte Buchstaben. N.B. Ich halte die Luft an. Es sind Fotos von Noahs Lederarmband. Ich habe es ihm zum Geburtstag geschenkt.

„Ja", sagt Noah, „das ist mein Armband"

„Wo...?", frage ich, doch ich kann die Frage nicht aussprechen.

„Das haben wir in Frau Davins Wohnung gefunden", sagt der Polizist und sieht Noah an. Noah stützt seine Arme auf den Tisch, fährt sich mit den Händen über das Gesicht und seufzt laut.

„Und ich frage Sie noch einmal: In welchem Verhältnis standen Sie zu Frau Davin?" Ich blicke zu den Fotos, sehe wie der kleine Polizist etwas notiert.

„Verdammt", sagt Noah leise, „wir kennen uns aus dem Fitnessstudio"

Ich wusste es. Ich wusste es. Ich wusste es.

„Wir haben uns ein paar Mal unterhalten, haben ab und zu zusammen trainiert", seine Worte rauschen durch meinen Körper. Ich merke, dass ich zittere.

„Doch es war nur freundschaftlich", sagt er und sieht mich an. Verschwommen sehe ich seine Umrisse, blicke schnell auf meine Hände. „Irgendwann hat sie mir erzählt, dass Dave vermisst wird". Ich sehe die Polizisten an, warte auf die Frage, wer Dave ist. Doch sie fragen nicht. War Dave ihr Freund? Und Noah kennt seinen Namen. Wie konnte ich nicht merken, dass er jemanden kennengelernt hat, mit ihr Zeit verbringt.

„Sie war verzweifelt, hat jemanden zum Reden gebraucht", sagt Noah leise.

Der kleine Polizist hört sein Schreiben auf, hält seinen Kugelschreiber ein paar Millimeter über dem Papier. „Wie oft waren Sie bei ihr Zuhause?", fragt er und sieht zu Noah.

„Ich war nicht...", sagt er, doch ich falle ihm ins Wort.

„Noah", presse ich hervor. Ich will seine Lügen nicht mehr hören. Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel. Er schluckt.

„Zwei Mal", sagt er schließlich und sieht den kleinen Polizisten an. Er nickt und notiert die Zahl auf seinem Block. Er war bei ihr Zuhause. Zwei Mal. Er hat mich angelogen. Unzählige Male.

„Herr Bloom, was wissen Sie über das Verschwinden von Frau Davin?", fragt der Größere.

„Nichts, verdammt. Ich weiß nichts darüber", sagt er verzweifelt.

„Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?"

„Vor zwei Wochen", sagt Noah.

„Wann genau?"

Noah schluckt. „Am Montag Abend", er sieht mich nicht an, denn wir wissen beide, dass das der Abend war, an dem ich mit ihm Zeit verbringen wollte. An dem er sagte, er wäre noch in der Firma gewesen. An dem er mir erklärt hat, dass es ihm leid tut und er sich so sehr wünscht, dass er mehr Zeit für mich hätte. Ich schließe meine Augen, will ihn nicht ansehen.

„War das Ihr letzter Kontakt?"

„Nein", sagt er und ich schlucke. Er schließt seine Augen und schüttelt seinen Kopf. „Sie hat mir am nächsten Tag eine SMS geschickt", sagt er.

„Was war der Inhalt dieser Nachricht?", fragt der Polizist während er schreibt.

„Das geht sie nichts an", zischt Noah. Der Polizist holt Luft, möchte etwas sagen, doch meine Wut kommt ihm zuvor. „Noah, verdammt. Was hat sie dir geschrieben?", zische ich,  meine Stimme bricht, Tränen laufen mir über die Wangen. Noah blickt auf sein Wasserglas.

„Sie hat geschrieben, dass sie den Abend schön fand und dass sie mich wiedersehen möchte" Seine Worte treiben eine scharfe Klinge stechend in mein Herz. Es hört einen Moment auf zu hämmern, fühlt sich an, als würde es schrumpfen, nur um danach schmerzend in tausend Stücke zu zerbrechen.

„Das war alles?", fragt der Polizist ohne ihn anzusehen. Ob das alles war? Als ob das nicht schlimm genug wäre. Noah antwortet nicht.

„Herr Bloom, wir würden ihr Handy gerne mit auf das Revier nehmen", sagt der Polizist und sieht ihn an. Noah rührt sich nicht. „Herr Bloom, Ihr Handy", wiederholt er und hält seine Hand auf. Noah zieht es aus seiner Hosentasche und legt es auf den Tisch. Der Polizist quittiert diese trotzige Geste mit einem festen Blick.

„Bitte halten Sie sich für weitere Fragen bereit. Ich empfehle Ihnen, sich einen Rechtsbeistand zu suchen", sagt er und nickt dem Kleinen zu. Sie sammeln ihre Unterlagen ein und stehen auf.

„Entschuldigen Sie die Umstände", sagt der Größere zu mir. Ich nicke und gehe hinter ihnen über den Flur.

„Auf Wiedersehen", sagen sie an der Haustüre und treten in die kalte Nacht.

Noah schließt die Haustüre. „Lilia", flüstert er. Ich sehe ihn an, doch ich kenne ihn nicht mehr. Er hat mich angelogen, hat alles kaputt gemacht. Und Shane hat mit seinen blauen Augen, seinen Lachfältchen und seiner anziehenden Art seinen Teil dazu beigetragen. Sie machen alles kaputt. Beide. Ich hole aus und klatsche ihm meine flache Hand auf die Wange. Ich verpasse ihm die Ohrfeige, die ich schon Shane hätte verpassen sollen. Noahs Kopf schnellt zur Seite. Er schließt seine Augen, atmet ein Mal tief. Langsam dreht er seinen wieder Kopf zu mir. Er holt Luft, möchte etwas sagen doch ich drehe mich um und renne die Treppen nach oben.

Ich möchte alleine sein, will seine Lügen nicht mehr hören. Doch ich spüre, dass das schrecklichste Geräusch die Stille ist, die sich um mich legt. Es ist schrecklich, dass ich seine Stimme nicht hinter mir höre, dass ich seine Schritte nicht höre. Ich bin alleine und will es nicht sein. Ich brauche Noah. Ich brauche Shane. Ich lege mich ins Bett, höre die Haustüre ins Schloss fallen und lasse meinen Tränen freien Lauf.




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