Kapitel 13

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Ich lehne mich gegen das Holzhäuschen, beuge mich keuchend nach vorne. Meine Brust droht zu zerspringen, ich bekomme kaum Luft. Knirschend nähern sich Schritte im Kies. Ich halte die Luft an und blinzle in die Dunkelheit. Das Knirschen wird lauter, zitternd richte ich mich auf und sehe eine große Gestalt auf mich zukommen. Gänsehaut legt sich um meinen Körper, mein Herz schlägt viel zu schnell. Meine Beine zittern, ich möchte schreien, doch ich bin wie gelähmt. Ich blinzle, doch die Dunkelheit verschluckt sein Gesicht.

- - -

Ich spüre die Holzwand im Rücken, presse mich fest dagegen. Die Gestalt kommt näher, ich keuche. „Lilia, ist alles okay?", höre ich eine dunkle Stimme und erkenne Shanes blaue Augen, als er ins Licht tritt. Meine Muskeln lockern sich, ich atme tief aus, meine Beine zittern. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu und legt seine Hände auf meine Oberarme. Sein Griff ist fest, sein Blick intensiv.

„Ja", hauche ich. „Ja, alles ok" , sage ich und blicke an ihm vorbei, auf den Weg. Er dreht sich um, folgt meinem Blickt und sieht über seine Schulter.

„Ich glaube, er ist mir nicht mehr gefolgt", sage ich schnell.

„Er?", fragt er und dreht sich wieder zu mir.

„Habe ich im Gefühl", sage ich und zucke mit den Schultern.

„Frauen und ihr Gefühl", sagt er und lacht. Ich lächle und zucke mit den Schultern. Langsam normalisiert sich meine Atmung, meine Beine fühlen sich stärker an.

„Wieso joggst du im Dunkeln?", fragt er mich leise und sieht mich an. Ich blinzle schnell, seine blauen Augen verwirren mich.

„Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht", sage ich ehrlich.

„Das solltest du aber. Das ist gefährlich" sagt er mit rauer Stimme.

„Ja, ich weiß", sage ich und merke, wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Ich fühle mich wie ein kleines Schulmädchen, dass bei etwas dummen erwischt wurde.

„Hast du die Polizei gerufen?", fragt er und runzelt die Stirn.

„Nein", sage ich und schüttle meinen Kopf, „ich wusste nicht, wie lange die brauchen und ob die mir glauben und dann wären die mit Blaulicht gekommen und...", plappere ich. Shane legt seine Hände um meine Handgelenke und hält sie sich vor die Brust. Ich verstumme bei dieser unerwarteten Berührung. Erst jetzt merke ich, dass ich mit meinen Armen wild gestikuliert habe.

„Wie fühlst du dich?", fragt er sanft und lässt meine Handgelenke los. Ich spüre den warmen Abdruck seiner Hände auf meiner Haut.

„Ich weiß es nicht", sage ich ehrlich. Die Angst rauscht immer noch kribbelnd durch meinen Körper, doch langsam verblasst sie, ich fühle mich stärker.

„Möchtest du etwas trinken?", fragt er und sieht mich an. Ich sehe Richtung Parkplatz. Mein Mund ist trocken, meine Kehle ist rau.

„Hier in der Nähe ist eine Bar", sagt er und grinst. Nein. Nein, ich darf mit ihm nicht in eine Bar. Ich muss nach Hause. Zu Noah. Muss meine Beziehung kitten. Muss um uns kämpfen. Ich liebe ihn.

„Okay", sage ich. Er lächelt. Okay? Ich darf das nicht. Das ist nicht richtig, doch mein Körper gehorcht mir nicht.

Wie ferngesteuert gehe ich neben Shane über den Kies. Er ist wie ein Magnet. Und ich werde unaufhörlich von ihm angezogen. Mit knirschenden Schritten verlassen wir den Kiosk und treten auf den dunklen Weg. Ich blicke erst nach links und dann nach rechts. Auf beiden Seiten erstreckt sich der spärlich beleuchtete Weg. Düster und verlassen.

„Dir passiert nichts", sagt Shane und legt seinen Arm um meine Schultern. Ich sollte ihn wegschubsen. Ihm sagen, dass ich das nicht will. Doch ich genieße die Sicherheit, die er mir gibt. Ich muss den Drang unterdrücken, mich an ihn zu schmiegen. Ich spüre seinen warmen Körper an meiner Seite, seinen starken Arm auf meinen Schultern, seine große Hand auf meinem Oberarm, rieche seinen Duft. Ich atme ein und konzentriere mich darauf. Er riecht herb, männlich. Sein Duft erinnert mich an verbrennendes Kaminholz, an Wärme, Schutz, Geborgenheit.

Ich fühle mich wohl, so nah bei ihm. Ich fühle mich beschützt in seinem Arm, obwohl ich weiß, dass ich mich nicht so fühlen sollte. Doch ich kann ihn nicht von mir wegschieben. Seine Nähe wirkt wie ein Panzer, der sich schützend um mich legt, unter dem mir nichts passieren kann.

Wir nähern uns dem Parkplatz, der silberne Lack meines Minis glänzt unter den Laternen. Ich sollte nach Hause fahren. Doch ich möchte nicht. Ich schüttle den Kopf über meine Dummheit.

„Warum grinst du so vor dich hin?", fragt er und betrachtet mich von oben. Ich blicke zu ihm auf, blicke in seine blauen Augen.

„Ich sollte nach Hause fahren", sage ich leise und nicke zu meinem Mini.

„Und deshalb grinst du?", fragt er und runzelt die Stirn.

„Nein", sage ich und schüttle meinen Kopf, „ich grinse, weil ich lieber mit dir etwas Trinken gehen würde" Ich habe es ausgesprochen. Wie seltsam das klingt. So falsch und gleichzeitig so richtig. Seine Augen funkeln hell im Laternenlicht, ich sehe kleine Lachfältchen um seine Augen. Es sieht schön aus.

„Das ist gut", sagt er und legt seinen Arm fester um mich. Mein Herz schlägt schneller, ich kichere wie ein kleines Mädchen. Wir verlassen den Park, verlassen den Parkplatz und biegen auf den Gehweg neben der Hauptstraße. Ich bin endgültig in Sicherheit, jetzt könnte er mich loslassen. Das sollte er neben der vielbefahrenen Straße sogar. Wir könnten gesehen werden. Doch ich möchte nicht, dass er mich loslässt. Am liebsten würde ich meinen Arm um seinen Rücken legen, obwohl ich ihn kaum kenne. Möchte ihn berühren, ihm noch näher sein. Ich weiß, dass ich das nicht denken sollte, nicht fühlen sollte. Doch ich kann es nicht mehr kontrollieren. Ich atme seinen Duft ein und grinse breiter.

Shane verlangsamt seinen Schritt, blickt über seine Schulter, dann wieder nach vorne. Er löst sich von mir, legt seine Hand auf meinen Rücken und dreht mich sanft Richtung Straße. Die Kälte kriecht über die Stellen, an der gerade noch sein warmer Körper war, holt mich in die Wirklichkeit zurück. Ich darf das nicht. Noah. Shane. Noah. Die Autos rauschen an uns vorbei, ihr gewaltiger Luftzug streift meinen Körper.

„Los!", ruft Shane plötzlich und tritt auf die Straße. Er hält mir seine Hand hin, ich blinzle schnell.

„Komm schon", lacht er und sieht mich an. Schnell ergreife ich seine große, warme Hand. Seine Finger umschließen meine Hand wie eine Mauer und er zieht mich sanft hinter sich her über die Straße. Die Autos kommen näher, wir beschleunigen unseren Schritt. Wir rennen, ich höre ein langes Hupen und spüre den Luftzug dicht hinter mir. Wir springen auf den Bürgersteig und lachen. Er lässt meine Hand los und plötzlich fühle ich mich verloren neben ihm. Auf einmal weiß ich nicht mehr, was ich mit meiner Hand machen soll und fahre mir durch die Haare.

„Jetzt bin ich meinem Verfolger entkommen und werde dafür fast überfahren. Du bist wirklich ein toller Beschützer", lache ich und verdrehe meine Augen.

„Dein toller Beschützer kauft dir jetzt einen Drink", lacht er und deutet hinter sich.

Erst jetzt merke ich, dass wir bereits vor der Bar stehen. Sie befindet sich im Erdgeschoss eines großen, alten Gebäudes. Hier war ich noch nie.

Ich stehe hinter ihm und höre die leise Musik, die auf die Straße dringt. Mit seiner Hand drückt er die Türe auf und wartet darauf, dass ich an ihm vorbei gehe. Ich schüttle noch einmal den Kopf über meine Dummheit, aber jetzt gibt es sowieso kein Zurück mehr. Ich ziehe meinen Kopf ein und schlüpfe unter seinem gestreckten Arm in den warmen Raum. Hinter mir höre ich ihn leise lachen. Ich lächle und drehe ich mich zu ihm um. Er grinst und schüttelt seinen Kopf.


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