Kapitel 12

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Ich fühle mich zerrissen, gebrochen. Tränen laufen meine Wangen entlang, hinterlassen feuchte Flecken auf seinem Shirt. Ich fühle mich, als würde mich eine unsichtbare Kraft in die falsche Richtung ziehen. Und ich bin machtlos. Ich kämpfe und strample, doch ich fühle mich zu schwach. Ich weiß, dass ich diesen Kampf nicht gewinnen kann. „Es tut mir leid", sage ich nochmal. Er drückt mich fester und ich schmiege mich mit geschlossenen Augen an ihn.

- - -

Ich jogge um den See und beobachte, wie die Sonne langsam am Horizont verschwindet. Die kühle Luft streift über mein Gesicht, die Straßenlaternen flackern ein Mal auf und tauchen den Weg langsam in ein orangefarbenes Licht. Die Menschen verlassen den Park, fahren nach Hause in ihre warmen Wohnungen. Bald wird es dunkel sein, doch ich habe gerade erst angefangen.

Ich möchte meinen Kopf frei bekommen, meine Gedanken sortieren. Gestern war ich mir sicher, dass ich mich trennen möchte. Heute zweifle ich daran. Ich weiß nicht, ob Noah diese Kommentare geschrieben hat. Er hat sie als Schönheit bezeichnet. Schönheit. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Gestern hatte ich das Gefühl, dass er es nicht war, dass er die Wahrheit sagt. Ich kenne ihn so lange, unsere Verbindung ist besonders. So lange habe ich davon geträumt, seine Frau zu werden. Und jetzt stehe ich vor den Scherben unserer Beziehung. Will ich das alles kampflos aufgeben?

Es hängt so viel an unserer Beziehung, unsere Leben sind miteinander verwoben. Es wird nie ein Leben ohne Noah geben. Ich arbeite in seiner Firma. Wie wäre das, wenn wir nicht mehr zusammen wären? Wie würde sich sein Vater mir gegenüber verhalten? Gerade erst hat er sich unser Verhältnis verändert. Für all das habe ich so hart gekämpft. Ich habe all meine Kraft in diese Beziehung gesteckt, doch ich weiß nicht, ob ich für das, was vor uns liegt noch Kraft habe.

Mit jedem Schritt und jedem Gedanken schlägt mein Herz schneller. Die Sonne verschwindet ganz, langsam legt sich die schwarze, kalte Nacht um meinen Körper. Das gedämpfte Licht der Laternen sieht schön aus. Es strahlt die Ruhe aus, die ich brauche. Meine Schritte dröhnen gleichmäßig in meinen Ohren, jeder Atemzug fühlt sich an, als würde eine Last von meinen Schultern fallen.

Noah hat mir versichert, dass er die Kommentare nicht geschrieben hat. Wieso sollte er das behaupten? Wieso sollte er in aller Öffentlichkeit diese Kommentare schreiben? Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich schüttle den Kopf und erkenne in der Dunkelheit eine Bewegung. Meine Sinne schärfen sich, ich versuche mich darauf zu konzentrieren, zu erkennen, woher die Bewegung kommt. Doch sie bleibt in der Dunkelheit hinter den Laternen verborgen. Ein Ast im Wind? Ein Tier? Ich blinzle und sehe es wieder. Es ist immer noch auf meiner Höhe, weicht mir nicht von der Seite. Mein Herz hämmert wild in meiner Brust, ich beschleunige meinen Schritt.

Der Song wechselt, für ein paar Sekunden verstummt die Musik in meinen Ohren. Meine Schritte knirschen auf dem Weg. Schritt. Schritt. Gleichmäßig. Doch aus der Dunkelheit höre ich dumpfe Schritte auf dem Gras. Der nächste Song beginnt, ich reiße mir den Kopfhörer aus den Ohren, versuche mich auf die dumpfen Schritte zu konzentrieren, doch sie sind verstummt. Ich höre meine laute Atmung, höre mein hämmerndes Herz. Bis zu meinem Auto ist es noch eine halbe Runde um den See. Ich möchte nicht alleine sein. Ich krame nach meinem Handy und renne schneller, meine Brust droht zu zerspringen.

Ich rufe Noah an und halte mir das Telefon ans Ohr. Ich möchte ihm sagen, dass ich Angst habe und möchte, dass er mir sagt, dass alles gut wird. Alles. Es klingelt, mein Atem raschelt im Lautsprecher. Ich versuche mich auf alle Geräusche um mich herum zu konzentrieren. Ich höre meine Schritte. Meinen Herzschlag. Meine Atmung. Die Autobahn in der Ferne. Ich zucke kurz zusammen, als seine Mailbox ertönt. Verdammt, soll ich die Polizei rufen? Die werden mich nicht ernst nehmen. Außerdem brauchen die viel zu lange, bis sie hier sind. Ich habe noch ein gutes Stück vor mir.

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