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"Ok das reicht fürs Erste. Kurze Pause für alle!", rief ich Emma zu. Mit einer geübten Bewegung steckte ich die Kamera in meine Umhängetasche und streckte mich. Genervt merkte ich, dass die Stelle an meinem Rücken immer noch grün und blau und blutig war. DasPflaster war schon wieder durchgeweicht. >So ne Pleite! Ohne Spiegel kann ich das Pflaster nicht wechseln!<

"Es sieht immer noch sehr schlimm aus. Warst du denn schon beim Doc?", Emma war unbemerkt an mich heran getreten. Erschrocken flog mein Kopf zu ihr herum bevor ich einfach nur stumm verneinte.

"Gib mal her, ich helfe dir das Pflaster drauf zu machen.", sagte sie und hielt mir ihre Hand hin. Dankbar legte ich ihr das große Pflaster in die Hand. Wieder einmal stellte ich fest, dass dieses blöde Pflaster so groß war wie die Hand eines Erwachsenen. Verlegen drehte ich mich von Emma weg und zog mein Top und mein Sommer-Jäckchen am Rücken hoch. Mehr als deutlich hörbar zog sie Luft ein. Der Grund dafür war mir natürlich klar. Dennoch sagte ich nichts und ließ sie einfach machen, froh darüber, dass sie kein Wort darüber verlor. Mit geschickten Händen löste sie das Pflaster ab, sog noch einmal überrascht die Luft ein und machte mir dann, immer noch kommentarlos das neue Pflaster drauf. Als sie fertig war bedankte ich mich bei ihr. Eigentlich hatte ich mich jetzt ein wenig hinsetzen und entspannen wollen, doch ich merkte, dass Emma nicht nur wegen dem Pflaster zu mir gekommen war.

Wie ein überforderter Teenager stand sie vor mir, den Blick nach unten auf den Boden gerichtet und knetete ihre Finger durch. Ein wunder, dass die Knochen bei der Behandlung noch unversehrt waren.

"Ich ähm.... Ich wollte einen kleinen Spaziergang machen.... hast du Lust...", fragte ich unsicher, doch die Antwort kam sofort und mit Nachdruck:"JA!!! ...Ich meine...wenn es für dich ok ist...", fügte sie wieder ihre Finger knetend hinzu.

"Sicher, gehen wir ein Stück.", ich winkte Ronan heran und bedeutete ihm, dass er auf meine Sachen aufpassen sollte. Er machte Anstalten sie sich zu packen und mir zu folgen. Hinter Emmas Rücken, wir hatten uns schon in Bewegung gesetzt, machte ich ein Zeichen, von dem er wusste, dass es hieß, dass er mir auf keinen Fall folgen sollte. Ich konnte seinen bitterbösen Blick im Rücken spüren, doch das war mir jetzt egal. Als wir in sicherer Entfernung zur Crew waren fragte ich Emma, was mit ihr los sei. Obwohl es mehr als offensichtlich war, dass mit ihr etwas nicht stimmte und sie etwas auf dem Herzen hatte behauptete sie, dass nichts wäre. Ich merkte, dass sie noch nicht bereit war, mit mir darüber zu sprechen, also drängte ich nicht weiter. Sie würde schon mit mir reden, wenn sie es wollte. Schweigen breitete sich zwischen uns aus, doch es war kein bedrückendes, eher ein einvernehmliches und harmonisches Schweigen. So spazierten wir die Straße auf und nieder, bis die Pause vorbei war und wir weiter arbeiten mussten. Emma war wie ausgewechselt. Es schien ihr gut getan zu haben. Ich fragte mich zwar immer noch, was genau ihr gut getan haben könnte, wir hatten ja nichts gemacht, aber gut. Was auch immer es gewesen war, es hatte ihr geholfen. Ich hatte das Gefühl, dass sie plötzlich von Innen strahlte und ich hoffte, dass ich es schaffen würde dieses Leuchten auf meine Bilder zu übertragen.

*

"Hallo Emma, wo ist Jj?", fragte ich, denn Emma gehörte hier mittlerweile schon zum Inventar. Seid die beiden sich vor drei Tagen kennengelernt hatten war Emma fast ununterbrochen hier. Natürlich lag es auch daran, dass Wes hier wohnte, aber Jj war ihr, glaube ich, noch wichtiger, denn die meiste Zeit verbrachte sie alleine mit ihr, in ihrem Zimmer. Immer wenn ich daran vorbei ging, um zu meinem Zimmer zu gelangen hörte ich die zwei lachen und scherzen. Ich musste zugeben, dass es mich immer ein wenig ärgerte, dass Emma mit ihr so viel Spaß hatte und ich ihr nur lästig schien, aber solange sie fröhlich durch den Tag kam sollte es mir recht sein.

"Sie ist oben! Oh, warte, sie hat mich gebeten dir auszurichten, dass du bitte zu ihr kommen sollst. Scheint so als wollte sie überirgendetwas mit dir reden...", schrie sie mir noch hinterher.Mir war als hörte ich jemanden Kichern, doch im nächsten Moment warnichts mehr wahr zu nehmen, also ging ich schnell die Treppen hoch.Sie wollte mich sprechen? Das war mal was Neues... Ich sprintete inmein Zimmer, doch dort war sie nicht, also war sie wahrscheinlich inihrem eigenen Zimmer. Ich klopfte an, doch es antwortete keiner.Wieder klopfte ich, doch es kam noch immer keine Antwort. Ob sie michnicht hörte? Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter und öffneteleise die Tür. Warum ich das genau tat, konnte ich grade gar nichtsagen, aber das Ergebnis konnte ich sehen lassen. Zuerst wollte ichpeinlich berührt das Zimmer wieder verlassen, doch irgendwie konnteich nicht. Meine Beine verweigerten mir den Gehorsam, wie auch meineAugen, die ich eigentlich von Jj abwenden sollte. Von ihren nacktenUnterarmen, Oberarmen und den nackten Schultern auf denen ich nur dieTräger ihres schwarzen BHs erkennen konnte. Aber ich konnte nicht.Der Anblick faszinierte mich, auch wenn der Rest ihres Rückenshinter der Lehne ihres Stuhls verschwand. Mein Blick fiel auf denGrund, warum sie mich nicht gehört hatte. Sie hatte ihre Kopfhörerauf. Groß und schwarz trumpften sie auf ihren Ohren. Auch ihregelockten nassen Haare vermochten sie nicht zu überdecken. NasseHaare...das Wasser tropfte von den Strähnen auf ihren Nackenherunter und lief in langen Bahnen ihren Rücken herunter. Eserinnerte ein wenig an ein Beachgirl und verdammte Hacke! Ich steheauf Beachgirls!

Ichstand immer noch unbeweglich da, als sie sich plötzlich erhob. EinUnwetter von Gefühlen machte sich in mir breit. Wut, Angst,Besorgnis, Verständnislosigkeit, Ratlosigkeit. Sie stand noch immermit dem Rücken zu mir, doch das, was die ganze Zeit von ihrem Stuhlverborgen worden war, stach mir nun deutlich ins Auge. Der kompletteuntere Rücken war dunkelblau, grün und braun. Mittendrin klaffteeine Wunde, nicht breit aber lang und blutig. Das musste noch von derParty sein...Gerade beugte sie sich vor und die Musik die sie hörtehallte auf einmal durch den ganzen Raum. In dem Moment in dem sie dieKopfhörer absetzte fragte ich wütend und laut:"Warum hast dumir nichts gesagt?"

Erschrockenfuhr sie herum. Ihre grünen Augen in Panik geweitet starrte sie michan. Röte stieg ihr in die Wangen und sie versuchte mit ihren Armenihre Oberweite zu verdecken. Mit nur wenigen Schritten hatte ich dasZimmer durchquert und sie am Arm gepackt. Wutendbrand drehte ich sieso um, dass ich ihren Rücken genauer sehen konnte. Die Wundränderwaren gerötet und wenn man die Haut drumherum berührte merkte manwie heiß sie war. Wieder drehte ich sie energisch um, dieses Mal so,dass wir Gesicht zu Gesicht standen.

"Willstdu sterben??? Warum passt du nicht ein bisschen auf dich auf? Warumbereitest du mir immer nur Sorgen? Ist es so spaßig mich Leiden zusehen?" In meiner Wut packte ich sie nun auch an der anderenSchulter und schüttelte sie. Die Tatsache das ich keine Antwortbekam machte mich nur noch rasender und ich wusste, wenn ich jetztnicht gehen würde, würde ich etwas tun, was ich später definitivbereuen würde. Rasend vor Wut stieß ich sie von mir und machte michauf den Weg das Zimmer zu verlassen.


"Ichrufe jetzt den Doc, und wehe dir du bewegst dich auch nur einenwinzig kleinen Nanomillimeter!", zischte ich ihr noch bösefunkelnd zu, bevor ich die Tür lautstark hinter mir zuknallte.



Schnapschuss = LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt