33; Abschiedsschmerz

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Kira

"Lass uns ein Spiel spielen." Wandte der große braunhaarige Junge neben mir ein.

Wir saßen auf einer Wiese in der Nähe unserer Hütte und betrachteten einfach den Sonnenuntergang an diesem warmen Sonntagabend. Es war mein letzter Abend mit ihm, da er kurzfristig doch schon morgen abreisen würde. Das hieß, ich würde ihn nicht an seinem Geburtstag sehen können.

Diesmal waren wir ohne El hier, weil sie ihrer Mum versprochen hatte, mit ihr zu einem Geburtstag zu fahren. Obwohl ich sie unheimlich gern hatte, verspürte ich ein wenig Erleichterung, dass ich mal mit Dylan allein hier war. Seine Anwesenheit beruhigte mich und auch wenn wir nicht sprachen, war es angenehm. Eine angenehme Stille ohne unnötige und störende Gedanken, die mir Sorgen bereiteten.

Doch ich hatte schon seit einer geraumen Zeit das Gefühl, dass irgendwas bald schiefgehen würde. Irgendwas sagte mir, dass Logan's Tod nicht das Ende, sondern erst der Anfang meines Kreuzwegs zu sein schien. Und ich hatte Angst, dass der nächste Schritt nicht mehr allzu weit entfernt war.

Ich drehte meinen Kopf und blickte ihn an. "Was für ein Spiel?" Fragte ich und er grinste.

"Wir stellen uns abwechselnd Fragen, die man mit ja oder nein beantworten muss."

"Aber wir sind doch keine Kinder mehr." Schmunzelte ich und er zuckte mit den Schultern, ließ sich nach hinten fallen, damit er auf dem Rücken im weichen Gras liegen konnte.

"Natürlich nicht, aber das heißt doch nicht, dass wir nicht ab und zu das Kind in uns aufblühen lassen sollten." Auf meinen verstörten Gesichtsausdruck hin, lachte er und ich ließ mich ebenfalls nach hinten fallen, drehte meinen Kopf, damit ich ihn ansehen konnte. "Und damit meine ich nicht, dass wir schwanger sind." Fuhr er fort und zog die Augenbrauen hoch. "Also, fang an."

"Fang du an, es war deine Idee."

"Komm schon." Er setzte einen flehenden Gesichtsausdruck auf und ich seufzte.

"Okay, ähm... Pizza?"

"Ja, was eine Frage!" Rief er und verdrehte grinsend die Augen. "Schminke?"

"Das ist mies." Beschwerte ich mich und drehte mich komplett auf die Seite.

"Wieso?" Fragte er, strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr.

"Weil man das nicht mit ja oder nein beantworten kann. Manchmal schminke ich mich halt und manchmal nicht."

"Okay okay. Musik?"

"Ja." Antwortete ich ohne zu zögern. "Kino?"

"Hmm, jaa." Er lachte. "Okay, das ist wirklich langsam dumm." Ich nickte zustimmend und schaute wieder zum Himmel, wo die Sonne schon fast hinter dem Horizont verschwunden war und es langsam kühler wurde.

Wir lagen eine weile so da, betrachteten einfach die Wolken, die langsam vorüber zogen und die Sonne, die fast nicht mehr sichtbar war.

"Kira?"

"Ja?" Ich schaute wieder zu Dylan, dessen Gesicht mir näher war, als zuvor.

"Meiner Meinung nach brauchst du eh keine Schminke oder so." Lächelte er und berührte meine Wange. Ich lächelte ebenfalls und spürte, dass ich rot wurde, woraufhin sein Lächeln breiter wurde.

"Ich werde dich vermissen, wenn du wieder in Amerika bist." Sagte ich wahrheitsgemäß und spürte ein unangenehmes Stechen in meiner Brust, bei dem Gedanken, dass er bald nicht mehr bei mir sein würde. Und das Gefühl, das mich schon eine ganze Weile verfolgte, die Angst vor dem letzten Schritt, wurde größer.

"Aber El wird doch hier sein." Sagte er und strich sanft mit seiner Hand über meine Wange bis hin zu meiner Schulter. "Ohne sie wird es garantiert nicht langweilig."

"Aber mit dir ist es..." Setzte ich an, woraufhin er mich aufmerksam musterte und ich schwören könnte, dass er leicht besorgt aussah. "Mit dir ist es anders. Bei dir fühle ich mich sicherer und irgendwie gibst du mir das Gefühl, ich wäre mehr als nur das depressive Mädchen, das ihren besten Freund verloren hat. Und ich traue mich sogar, solche Dinge zu sagen. Ich habe einfach das Gefühl, das ich dich gesucht und gefunden habe, weißt du... ich brauche dich einfach." Ich wurde am Ende immer leiser und meine Stimme brüchiger. "Ich brauche dich so sehr."

Dylan strich mit seinem Daumen eine Träne von meiner Wange, die sich unbemerkt aus meinen Augen geschlichen hatte. Bevor er etwas erwidern konnte, fielen vereinzelte Regentropfen aus den Wolken über uns, die sich unbemerkt zusammengezogen hatten und wurden immer mehr, bis ich mich aufsetzte und mir die nassen Haare aus der Stirn wischte. Keiner von uns beiden machte auch nur einen Laut und ich begann mich zu fragen, ob ich zu viel oder etwas falsches gesagt hatte.

Schließlich stand ich unschlüssig auf und verschränkte die Arme vor der Brust, damit sie nicht zitterten. Dylan richtete sich ebenfalls auf und fuhr sich mit einer Hand durch die nassen Haare, warf mir einen ernsten Blick zu und schien anscheinend mit sich zu ringen, ob er etwas sagen sollte.

Ich seufzte, als sich ein paar weitere Tränen über meine Wangen bahnten und ich hatte keine Ahnung wieso ich nun weinte. Wahrscheinlich war es alles zu viel. Logan's Tod war heute genau acht Monate her und ich hatte mich endlich einer Person geöffnet, die eigentlich nie die Klappe halten konnte und nun schwieg wie ein Grab. Meine Gefühle hatten überhand genommen. Und ich war sogar kurz davor gewesen, ihm meine Gefühle zu gestehen. Denn er bedeutete mir mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Das war mir schon auf dem Konzert bewusst geworden. Wahrscheinlich wusste ich es auch schon länger. Seit ich ihm das erste mal begegnet war, hatte ihn irgendeine Aura umgeben, die mich nicht mehr loslassen wollte und mir auf irgendeiner Art und Weise gut getan hat. Er machte mich zu einer glücklicheren Person. Endlich konnte ich wieder jemand sein, der ich vor dem Tod meines besten Freundes gewesen war und nun würde diese Person mich auch wieder verlassen, zusammen mit Dylan.

"Kira," Ich blickte auf und bemerkte, dass er direkt vor mir stand und seine braunen Augen beinahe im Licht der untergehenden Sonne funkelten. Ich ließ den Kopf wieder sinken, als er nichts sagte und betrachtete meine dreckigen nassen Schuhe im Gras. Er legte eine Hand unter mein Kinn und hob meinen Kopf wieder, damit ich ihn ansah.

"Du bist kein depressives Mädchen, das ihren besten Freund verloren hat. Obwohl, vielleicht bist du es doch. Aber das heißt nichts schlechtes. Du bist eine so starke Persönlichkeit, du musst nur nicht ständig an dir selbst zweifeln. Und du musst an dich selbst glauben, dann stehst du alles von allein durch. Dafür brauchst du mich nicht." Seine Hand wanderte von meinem Kinn zu meinem Nacken und er strich langsam mit der anderen über mein Schlüsselbein. Ich schluchzte leise auf, obwohl ich es nicht wollte.

"Ich bin nicht stark." Erwiderte ich mit zitternder Stimme. "Nicht ohne dich."

"Doch, das bist du." Sagte er schlicht und ich sah auch, dass er durch den Regen ein wenig zitterte.

"Ich will nicht, dass du gehst."

"Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich dir." Und diesmal lag in seiner Stimme ein zittern, das er mit einem leichten Lächeln zu verstecken versuchte. "In den Winterferien sehen wir uns wieder. Wir können Weihnachten zusammen feiern."

"Das wäre wunderbar." Lächelte ich nun auch und strich mit einer Hand über seine Wange.

"Außerdem leben wir im 21. Jahrhundert. Ist ja nicht so, dass Amerika noch nicht entdeckt ist." Schmunzelte er.

Der Regen wurde immer heftiger und prasselte unnachgiebig auf uns nieder, während wir einfach nur dastanden und uns anstarrten. Er machte seinen Mund auf, wollte anscheinend etwas sagen, schloss ihn jedoch wieder.

"Lass uns nachhause gehen." Sagte ich schließlich und nahm seine Hand.

Und so rannten wir zurück zum Jeep und stiegen schnell ein, um endlich dem Regen zu entkommen, was auch nicht viel nützte, da wir eh schon bis auf die Knochen durchnässt waren. Dylan schaltete die Heizung ein und langsam wurde es uns ein wenig warm. Die Fahrt verlief schweigend. Anscheinend hatten wir genug gesagt.

Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihm alles erzählen sollte. Dass ich ihm vor seiner Abreise erzählen sollte, dass ich ihn liebte.

Alive - Dylan O'Brien AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt