34; Entschluss

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Kira

Als wir vor meinem Haus hielten, öffnete ich nicht die Beifahrertür, wie ich es eigentlich hätte tun sollen. Stattdessen drehte ich meinen Kopf und schaute Dylan an, der mich ebenfalls ansah. In seinem Blick lag so viel. Vieles, das ich nicht deuten konnte, aber vor allem erkannte ich Hoffnung und vielleicht sogar ein bisschen Freude, obwohl sein Gesicht müde und ausdruckslos war.

"Freust du dich auf dein Zuhause?" Fragte ich, wandte meinen Blick zu der Frontscheibe, an der die Regentropfen langsam hinunterflossen.

"Natürlich." Antwortete er. "Es ist mein Zuhause, wieso sollte ich mich nicht freuen?"

"Naja, du wirkst nicht gerade besonders glücklich darüber." Sagte ich langsam. Er griff nach meiner Hand und drückte sie leicht, woraufhin ich ihn wieder ansah. Eine Weile sagte er gar nichts, wir hörten einfach dem Regen zu und sahen uns an. Es war keine unangenehme Stille. Es war okay so. Wir würden uns wiedersehen.

"Du solltest jetzt reingehen." Unterbrach er schließlich unser Schweigen und ich nickte langsam, schenkte ihm ein Lächeln.

"Bis morgen." Als ich aussteigen wollte, zog er mich noch einmal zurück und presste seine Lippen auf meine, küsste mich sanft. Ich erwiderte den Kuss zögerlich und er vergrub eine Hand in meinen feuchten Haaren. Ich würde so vieles vermissen, aber vor allem das. Weil das nur uns befinden gehörte.

Nach einer Weile lösten wir uns voneinander und er schenkte mir einen letzten lächelnden Blick, bevor ich die Tür öffnete und zu meinem Haus lief, damit ich nicht noch nässer wurde. Ich drehte mich noch einmal um und winkte ihn zum Abschied, bevor er den Motor wieder startete und davonbrauste.

Ich schloss die Haustür auf und trat in den kleinen Flur unseres Hauses. Sofort umhüllte mich angenehme Wärme und ein leckerer Geruch nach frisch gebackenem Brot stieg mir in die Nase. Ich streifte die nassen Schuhe von meinen Füßen und hängte meine Jacke an die Garderobe.

Als ich in die Küche kam, sah ich Mum, die am Küchentisch saß und gerade in dem Rezeptbuch blätterte, das ich ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie sah frischer aus als sonst. Irgendwie auch glücklicher.

Sie blickte auf und ein kleines Lächeln durchkreuzte ihr Gesicht. Doch ihre gute Laune verflog sofort wieder, als sie mein Gesicht sah. Sie klopfte auf den Platz neben sich, damit ich mich setzte, was ich auch zögerlich tat. Sie schlug das Buch zu und strich mir eine nasse Haarsträhne hinters Ohr, musterte mich besorgt.

"Du willst nicht, dass er geht, oder?" Fragte sie und legte leicht den Kopf schief, so wie sie es immer tat, wenn sie etwas wissen wollte. Sie kannte mich einfach zu gut, das hatte ich erst in letzter Zeit wirklich bemerkt. Sie fand immer die richtigen Worte und das zur richtigen Zeit.

"Nein." Antwortete ich nur kurz und senkte den Kopf.

Es kam mir so falsch, so ungerecht vor. Ich hatte jemanden in mein Leben gelassen und dafür hatte er nicht einmal drei Monate gebraucht und nun würde er mich auch wieder verlassen. Es war egoistisch von mir, ihn hierbehalten zu wollen. Ich war nicht allein und ich war es auch nie gewesen. Grandma hatte recht behalten. Mum war immer für mich da und verstand mich als hätten wir die gleichen Gedankengänge. Und Grandma selbst stand mir immer zur Seite, auch wenn sie einen Ozean von uns entfernt lebte.

Nach Logan's Tod hatte ich alles falsch gesehen und damit auch mein Versprechen an ihn gebrochen. Ich hatte ihm versprochen, glücklich zu sein. Doch stattdessen hatte ich, wie Mum es so schön ausgedrückt hatte, vor mich hin vegetiert. Ich fühlte mich schuldig und zugleich furchtbar egoistisch. Es war ein scheiss Gefühl.

"Du weißt doch, dass du ihn im Winter wiedersiehst." Sagte Mum und legte mir eine Hand auf die Schulter, zog ihre Hand jedoch zurück, da mein Shirt pitschnass war. "Und dass du duschen solltest." Schmunzelte sie.

Ich brachte ein leichtes Lächeln zu Stande. Was würde ich nur ohne sie tun? "Danke."

"Wofür, Sweetheart?" Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht, weil sie ganz genau wusste, dass mich dieses Wort zur Weißglut bringen konnte.

"Für's da sein." Ich stand auf und wollte nach oben gehen, um zu duschen, blieb jedoch noch kurz im Türrahmen stehen. "Ich habe dich lieb, das weißt du doch, oder?"

"Ja, ich dich auch, Swee -" Sie brach ab, als sie mein Gesicht sah und grinste wieder.

"Pass auf, dass dein Brot nicht anbrennt."

"Passiert mir nicht."

"Das letzte mal mussten wir die Feuerwehr rufen."

"Das war aber Lasagne... und die war es selbst schuld, dass sie angebrannt ist." Mum verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust und zog eine Grimasse. Ich ließ sie kopfschüttelnd in der Küche und lief nach oben.

Nach einer warmen Dusche, die ich bitter nötig gehabt hatte, ließ ich mich auf mein Bett fallen und drehte meinen Kopf, um auf die Uhr zu schauen. 22:43. Ich seufzte und mein Blick wanderte weiter zum Schreibtisch, wo die Kamera neben einem Stapel ausgedruckter Fotos lag. Ich richtete mich auf und setzte mich auf den Stuhl davor, nahm die Bilder in die Hand und sah sie mir eins nach dem anderen an.

Es waren allerlei Fotos. Von Logan und mir als Kinder auf seinem 8. Geburtstag. Von Mum und Grandma in New York. Von dem Tag am See, wo Logan und ich samt Klamotten gebadet und am Abend den Ärger unseres Lebens kassiert hatten. Und schließlich auch Fotos von Dylan, Elena und mir in unserer Hütte. Er hatte unbedingt Fotos schießen wollen und Elena hatte natürlich sofort zugestimmt, nachdem ich ein eher halbherziges Nicken von mir gegeben hatte. Eins fiel mir dabei besonders ins Auge.

Elena hatte es geschossen und es zeigte mich und Dylan, kurz nachdem wir unsere Hütte neu eingerichtet hatten. Er stand neben mir, hatte einen Arm um meine Schulter gelegt und blickte mich lächelnd von der Seite an, während ich einfach in die Kamera grinste. Seit diesem Tag war ich anders geworden. Fröhlicher. Vielleicht auch lebensfroher. Eins weiß ich, diese beiden Menschen würden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Sie zeigten mir mein Leben von einer Seite, an der ich vorher gezweifelt hatte.

Und an diesem Abend fasste ich endlich den Entschluss, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Ich entschied mich dazu, alles von einer anderen, positiveren Seite zu sehen und glücklicher zu sein. Ich war es ihnen schuldig. Mum. Grandma. Sogar Elena und Dylan. Aber vor allem war ich es Logan schuldig. Wenn er nicht leben konnte, musste ich das Leben für ihn mitgenießen.

Alive - Dylan O'Brien AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt