-6- ➳ Tag Zwei

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Irgendwann - ich wusste nicht genau, ob es nur Minuten oder gar Stunden später war – hatten wir aufgehört zu tanzen und uns stattdessen auf den Boden nieder gelassen.
Auf irgendeiner Weise fühlte ich mich anders, leichter. Mit dem Kopf gegen die Wand lehnend fuhr ich mit meinen Fingern durch den Staub, der den ganzen Boden bedeckte. Mit langsamen Bewegungen zeichneten sie wie von selbst Muster.
„Jenia?", fragte ich leise und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich ein fragendes Ja ihrerseits bekam.
„Hat dir deine Mum noch mehr über das Wetter erzählt? Also ich meine über das richtige?", Die Frage interessierte mich brennend und in der Zeit, wo Jenia mir noch nicht antwortete, konnte ich wieder dem Klopfen des Regens zuhören.
„Oh ja, Sophia", setzte sie schließlich an und ich konnte regelrecht das leichte Lächeln aus ihrer sanften Stimme heraushören. „Sie hat mir eine Menge darüber erzählt. Einmal, als ich noch kleiner war, musste sie Überstunden machen, da die Skyscraper ihrer Zuordnung in eine so heftige Gewitterfront geraten waren, dass es teilweise keinen Strom mehr gab. Mum hatte mir an diesem Abend, als sie spät nach Hause kam, erzählt, wie die dunklen Wolken bei einem Gewitter am Himmel tanzen, die Blitze als ihre Scheinwerfer über den Himmel zucken und der Regen als Applaus auf die Erde nieder donnert. Ist es nicht unwirklich, dass etwas, was sich so schön anhört, so gefährlich sein kann?",
Ich nickte, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sehen konnte.
„Weißt du, Sophia, meine Mum war eine tolle Frau. Wenn solche wie sie im hohen Rat wären, würden keine elfjährigen Mädchen ohne Eltern ihrem Schicksal überlassen werden. Wenn solche wie sie die Macht hätten, würden wir uns jetzt nicht im Wettlauf mit der Zeit befinden. Wenn sie noch leben würde, wäre ich nicht hier. Genauso wie du nicht hier wärst, wenn das Schicksal etwas anderes geplant hätte, Sophia", Ich nickte immer noch. „Und weißt du was das komischste ist? In dem Moment, wo ich auf Jordan getroffen bin, war es auf einmal okay, dass mir das Schicksal Mum geraubt hat. Es war okay, denn ich hatte ihn. Ich habe ihm auch vom Gewitter erzählt und wenn ich daran denke, höre ich immer noch sein Lachen in meinen Ohren und seine Stimme, die sagt, dass ich mich anhören würde, als würde ich am liebsten selbst ein kleiner Teil des Wetters sein wollen", Jenia holt einmal Luft und ich wagte es nicht, sie zu unterbrechen. „Stell dir vor: Der Regen besteht aus Milliarden von kleinen Tropfen, die alle ihre Reise zur Erdoberfläche antreten. Sie sind nie alleine und zusammen bilden sie eine riesige Einheit. Und Jordan hatte Recht: Ich möchte genauso verschwinden wie ein Regentropfen",

Ich war es nicht, die sie unterbrach, sondern Megs, die plötzlich die Tür öffnete, sie wieder hinter sich schloss und meine Beine zur Seite drückte, damit sie sich in die Mitte hocken konnte. Dies ging so schnell, dass ich nur irritiert in ihre Richtung blinzeln konnte.
„Jenia, du hast leider den Fakt vergessen, dass wir alle schon beschissene Regentropfen sind und unsere wunderbare Reise zu der Erde, die völlig im Arsch ist, bereits angetreten haben. Also hör bitte auf deine melancholischen Gedanken an so einen...", Megs stockte und ich konnte hören, wie sie sich bewegte, um sich umschauen zu können. „...dunklen, dreckigen Ort wie die Toilettenkabine zu verbreiten und reiß dich zusammen, okay?",

Ich konnte wage erkennen, wie Jenia nickte, doch sagen tat sie nichts. Stattdessen saßen wir zu dritt in der viel zu engen Toilettenkabine und hörten weiterhin dem Regen zu, der auf das Dach der Magnetbahn donnerte. Meine Gedanken kreisten weiterhin um das, was Jenia mir erzählt hatte.
Über das Wetter, über ihre Mum und über Jordan.
Vielleicht hatte Megs Recht, dass wir uns alle in Zeiten wie dieser zusammenreißen mussten, aber ich konnte Jenia dennoch verstehen. Wenn man so einfach verschwinden konnte, wie ein Regentropfen, würde so vieles einfacher werden.

Ich schluckte und streckte meine Beine etwas aus, sodass sie gegen die gegenüberliegende Wand stießen. Ich spürt die Anwesenheit der anderen beiden neben mir, hörte wie sie atmeten und wie der Regen uns weiterhin zu applaudierte.

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