-23- ➳ Stoffarmbänder

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Es war, als würde ich plötzlich wieder unter Wasser sein.
Und es war egal, ob es das dreckige Badewannenwasser oder das verseuchte Wasser aus dem Liliental wäre.
Denn im Endeffekt fühlten sich die folgenden Augenblicke wieder so an, als würde ich in der Schwerelosigkeit mich versuchen zu orientieren.
Die Sekunden zogen sich wie Kaugummi in die Länge und ich bekam keine Luft mehr.
Es rauschte nur noch in meinen Ohren, der Schall drang nicht zu ihnen durch.
Ich hatte keine klare Sicht auf das, was gerade passierte.

Und dann – legte sich der Schalter wieder um.
Die Geräusche explodierten förmlich in meinen Ohren, aber Harrys Schmerzensschrei brachte sie erst zu klirren.

„Harry!", schrie ich und im nächsten Moment hatte ich ihn vollends in den kleinen Gang, weg von dem Wolf gezerrt.

Er stieß gegen die Wand, schrie erneut vor Schmerzen auf und krümmte sich, während sich die Wölfe nun gegenseitig weg von dem Gang schubsten, um jeweils ihre eigenen totbringenden Klauen nach uns ausstrecken zu können.

„Oh mein Gott, Harry!", schrie ich ein weiteres Mal und griff nach seinen Schultern, während er sich keuchend und mit qualvoll verzehrten Gesicht nach vorne beugte und seine Hände auf seinen Bauch presste.

„Harry, wir müssen...", setzte ich an und konnte es nicht verhindern, dass meine Stimme voller Angst und Panik zitterte, „Wir müssen..."
Ich wollte nicht auf seinen Bauch schauen, wusste aber, dass er Hilfe brauchen würde und zwang mich, seine Hände auf seine zu legen.
Er wusste was ich vorhatte und schüttelte seinen Kopf.
„Nein", stieß er abgehackt aus, „Nur ein Kratzer. Komm weiter, wir müssen weiter."
Das Kreischen der verärgerten Tiere verfolgte uns, als ich schließlich voller Panik und mit großen Augen nickte.
Wir mussten hier wirklich weg.

Ich legte seinen linken Arm über meine Schulter, sodass ich ihn stützen konnte, während er seine rechte Hand weiterhin auf seinen Bauch presste. Man konnte bereits die ersten roten Flecken erkennen, doch ich betete, dass seine Verletzung nicht allzu schlimm sein würde.

Vorsichtig umgriff ich mit meiner anderen Hand seine Hüfte und versuchte, ihm keine Schmerzen zu zubereiten.
Ich wagte es nicht, meinen Blick von Harry zu nehmen, einfach weil ich Angst bekam, dass er sich einfach so vor meiner Nase in Luft auflösen würde.
Sein Gesicht war vor Schmerzen verzerrt und er atmete hektisch ein und aus.
Sein Oberkörper hatte er etwas nach vorne gebeugt, sodass ihm Strähnen seiner längeren Haare ins Gesicht fielen.
Schweißnass klebten die anderen ihm auf der Stirn und das Blut in seinem Gesicht war zusammen mit dem Dreck bereits getrocknet.
Dennoch schaffte er es, relativ zügig voranzugehen, sodass ich mir einredete, dass es nur ein paar Kratzer sein könnten.

Der Gang endete bei einer stählenden Tür und erleichtert atmete ich auf. Zumindest war es keine Sackgasse, denn man konnte die Wölfe immer noch bis hier hin vor Wut jaulen und gegen die Wände kratzen. Das hieß, dass sie so zumindest keinen anderen Weg zu uns wussten.

„Ist es okay, wenn ich dich eben ganz kurz los lasse, um die Tür aufzumachen?", richtete ich meine Frage leise an Harry. Dieser kniff für eine Sekunde lang die Augen zu und nickte dann.
Er keuchte immer noch heftig und beunruhigt sah ich, was für Schmerzen er hatte.

„Okay, es dauert nicht lange, versprochen", flüsterte ich, wobei ich selbst nicht wusste, warum ich meine Stimme gesenkt hatte. Es schien, als wollte ich eher mich beruhigen, als ihn, denn er lehnte sich wie von selbst gegen die Wand, während ich mich der Tür zuwendete.
Der graue Stahl wies bereits dunkle Flecken auf und die Farbe war beinahe komplett abgeplatzt. Die Türklinke war aber noch vorhanden und ich hoffte, dass sie nicht abgeschlossen war, denn dann würde ich die naive Hoffnung, dass wir nicht den Tieren zu Opfer fielen, verfluchen, die sich ganz zögerlich in mir breit gemacht hatte.

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