-31- ➳ Spiegelbild

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Für einen Moment bekam ich keine Luft mehr.
Meine Sicht verschwamm und mehrmals musste ich blinzeln, um wieder richtig sehen zu können.

Nein.
Nein.
Nein, nein, nein.
Das konnte unmöglich gerade passieren.

Doch ich war schon lange nicht mehr so naiv zu glauben, dass Marcus diesen Befehl nicht ausgesprochen hatte.
Niall war für ihn ein Dorn im Auge, eine Bedrohung und während er Liam, seinen anerkannten Sohn zurückholen würde, könnte er mit Nialls Tod gleich zwei Fliegen auf einmal schlagen.

„Also willst du mich jetzt erschießen?" Nialls Stimme klang weder panisch, noch in sonst irgendeiner Art oder Weise anders. Selbst seine Gesichtszüge waren noch immer wie versteinert.

Langsam hob er eine Augenbraue an, schien es vollkommen gelassen aufzunehmen, dass eine Waffe auf ihn zielte und Tennessee die Absicht hatte, ihn zu erschießen.

„Es war nur die Rede von Töten, genauso gut könnte ich dich aufhängen lassen. Aber erschießen ist die sauberste und schnellste Art: Also ja, ich will und werde dich erschießen, Niall", antwortete Tennessee und zuckte dann mit den Schultern.

Ich bemerkte, wie Megs unruhig wurde und versuchte, sich unter dem Gewicht des Fußes des Wächters aufzurichten. Doch mit einem gezielten Schlag landete sie wieder im Schutt.
„Ihr sollt alle verdammt sein!", schrie sie, wurde daraufhin aber vom Stiefel des Wächters dazu gezwungen, Staub zu fressen.

Nun wanderte auch Nialls Blick zu Megs und ich sah, wie sein eines Augen anfing zu zucken. Er presste die Zähne zusammen und knirschte mit dem Kiefer. Ihm gefiel nicht, wie der Mann mit Megs umging.

Ich hingegen versuchte mich von Megs und Nialls Anblick loszureißen und die Präsenz des Wächters hinter mir zu ignorieren. Stattdessen suchte mein Gehirn auf Hochtouren nach einer Lösung für unser Problem.
Zwar wusste ich, dass Niall und ich niemals Freunde werden würden, aber dennoch wollte ich nicht bei seiner Hinrichtung zu schauen.
Es musste doch eine Lösung geben.
Es gab doch immer eine, oder?

„Tennessee... Wir finden doch sicherlich eine andere Lösung!", rief Liam und versuchte sich weiterhin aus den Griffen der Wächter zu lösen. Jedoch ohne Erfolg.
Für ein paar Sekunden erlangte er jedoch die Aufmerksamkeit des blonden Offiziers. Mit einem langen Blick betrachtete er Liam, bevor er langsam den Kopf schüttelte und meinte: „Bringt Mr. Payne in den Helikopter, wenn er bei dem Exempel nicht anwesend sein möchte."

„Nein, Tennessee, verdammt nochmal nein!" Nun wurde auch Liam lauter, seine Tritte härter, als die Wächter ihn erbarmungslos nach hinten wegzogen. Er verlor den Halt und wäre er nicht vollkommen den Griffen der Wächter ausgeliefert, wäre er zu Boden gegangen.
Braune Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht, als er voller Wut und Verzweiflung immer wieder mit dem Kopf schüttelte. Sein Blick traf kein einziges Mal meinen.
„Tennessee!", schrie Liam weiterhin und hörte nicht damit auf, seinen Namen zu rufen. Doch der Offizier wandte sich mit einem leichten Lächeln wieder Niall zu.

„Möchtest du deiner Liebsten vielleicht ein letztes Mal in die Augen sehen?" Es war keine Frage, sondern Spott und auch Niall schien dies zu verstehen, denn sein Kiefer spannte sich noch mehr an.
Ohne einen weiteren Befehl erteilen zu müssen, verschwand der Fuß von Megs Rücken und mit einem Ruck riss der Wächter die wütende Megs hoch.

„Ihr verdammten Evolutionsbremsen! Ich bring euch alle um!", schrie sie und spuckte dabei Dreck aus. Der Wächter hatte seine Mühe, sie unter Kontrolle zu halten.

Und mit einem Mal kam mir eine Idee.

„Nun gut, vielleicht hätte ich sie doch besser weiterhin im Dreck schmoren lassen sollen, aber es würde doch nichts Tragischeres geben, als wenn du in den letzten Sekunden deines Lebens in ihre Augen blicken dürftest, oder etwa nicht?"

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