-15- ➳Erbsengroße Portion Glück

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Komischerweise fühlte ich mich an einen Abend aus meiner Kindheit zurückversetzt. Clovy war noch nicht auf der Welt und Mum gerade erst mit Sam hochschwanger. Es war der traditionelle Freitagabend, an dem ich komplett baden durfte. Etwas, was wir mit den Jahren immer weniger gemacht hatten, um Wasser zu sparen.
Ich war als Kind immer klein gewesen und unsere metallische Badewanne unglaublich riesig.
Das Wasser war nie klar, was aber nur zum Teil daran lag, dass ich so dreckig gewesen war.
In der Zeit, wo Mum das Abendbrot für mich und Dad zubereitet hatte, durfte ich etwas im Wasser spielen, aber nur mit der Tür zur Küche auf, sodass ich rufen konnte, falls etwas sein sollte.
Eines Freitagabends missachtete ich Mums Aufforderung, mich immer mit einer Hand am Badewannenrand festzuhalten und streckte meine Beine der Länge nach aus. Keine Sekunde später war ich mit meinem Oberkörper an dem Badewannenrand soweit in das Wasser hinein gerutscht, dass mein gesamter Kopf unter Wasser war. Erschrocken hatte ich meine Augen aufgerissen, aber automatisch die Luft angehalten.
Es war eine neuartige Entdeckung für mich gewesen und wie fasziniert hatte ich die Luft, die als Bläschen aus meinem Mund kamen, auf ihren Weg nach oben zur Wasseroberfläche beobachtet. Meine Haare haben in dunkelbraunen Strähnen in dem Wasser schwerelos getanzt und selbst das Gezanke meiner Eltern war verstummt.
Stille.
Schwerelosigkeit.
Bis ich Mums Stimme erahnen konnte, die sich gedämpft einen Weg durch die Wassermassen zu meinen Ohren erkämpfen wollte.
Und im nächsten Moment hatte Mum mich aus meinen paar Sekunden Frieden gerissen. Ihre Augen waren so voller Schreck geweitet, wie ich es bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben noch nie miterlebt hatte. Ihr Griff um meinen Oberarm war unglaublich fest gewesen und sie schüttelte mich, bis ich sie angesehen habe.
„Sophia! Sophia! Bist du verrückt geworden? Es ist viel zu tief, du solltest dich doch festhalten, du kannst nicht schwimmen!"
Ich wusste noch genau, wie ich mich damals als vierjährige gefühlt hatte.
Ich habe von Mums Augen voller Angst, Wut und Erleichterung zu dem Wasser, in dem ich mich immer noch befand, gestarrt und mich gefragt, wie so etwas friedliches so gefährlich sein konnte, doch ich konnte es kein weiteres Mal herausfinden, da ich, solange ich noch so klein war, nur noch in eine viertelvollen Badewanne steigen durfte.

14 Jahre später wusste ich, was Mum gemeint hatte.
Wieder einmal umhüllte mich Stille und Schwerelosigkeit.
Doch diesmal war das kleine bisschen Frieden, das es mir versuchte zu schenken, eine Illusion. Ich wusste, dass wenn ich mich ihr hingeben würde, niemals wieder an die Wasseroberfläche, zur Realität kommen würde.
Panisch riss ich meinen Kopf hin und her, versuchte die Luft in meinem Lungen zu behalten, obwohl ich am liebsten laut schreien würde, und schlug ohne jegliche Kontrolle mit meinen Armen und Beinen um mich.
Es half alles nichts.
Ich versank immer weiter wie ein Stein.

Ich konnte nicht schwimmen.
Und ich hörte wieder Mums Stimme in meinem Kopf, die mich daran erinnerte, mich an der Kante der Badewanne festzuhalten.
Doch wo war sie?
Wo war diese verdammte Kante?

Ich griff mit meinen Händen nach oben, oder zumindest nach dem, was ich für oben hielt, doch meine Bewegungen liefen wie im Trance ab, die Wassermassen wollten meinen Bewegungen nur unglaublich schwer nachgeben.

Meine Haare tanzten wie vor vierzehn Jahren um meinen Kopf, doch diesmal faszinierte es mich nicht, sondern versetzte mich nur noch mehr in Panik. Alles wurde dunkler und ich wusste nicht, ob es an der Wassertiefe lag, oder daran, dass ich so langsam, aufgrund Sauerstoffmangels, das Bewusstsein verlor.
Meine Lungen schrien nach Luft, genauso wie mein Kopf danach schrie, endlich durch die Wasseroberfläche zu brechen.
Doch ich konnte es nicht.
Ich versagte in allem.
Wie hätte ich jemals denken können, Sam auf dieser Reise beschützen zu können, wenn ich mich selbst noch nicht einmal retten konnte?

Der Druck auf meinen gesamten Körper wurde immer größer, doch ich wollte noch nicht aufgeben. Ich machte weiterhin Kreisbewegungen mit Armen und Beinen und versuchte die vor meinen Augen tanzenden schwarzen Punkte zu ignorieren. Sie schienen mich zu verhöhnen und mich spottend dazu aufzufordern, endlich dem Drang nachzugeben.
Mums Stimme war da, die mich an die Badewannenkante erinnerte, mich vor dem Wasser warnte und dann versprach, da zu sein, falls etwas sein sollte.
Doch dann verstummte sie.

SkylandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt