-33- ➳Die Hügellandschaft

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Ich wurde wach, als Sam sich im Schlaf noch enger an mich drückte. Langsam öffnete ich meine Augen und musste mehrmals blinzeln. Eine Decke rutschte mir von den Schultern, als ich mich vorsichtig bewegte und überrascht sah ich ihr zu, wie sie auf den Boden fiel.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie aus meinen Rucksack geholt zu haben, geschweige denn, dass es überhaupt meine Decke war.

„Ich dachte, es schläft sich mit einer Decke leichter", kam es von Liam und vom Schlaf noch etwas verwirrt blinzelte ich ihn mehrmals an, bis ich verstand, was er damit sagen wollte.
Liam hatte Sam und mich zugedeckt.
Für einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke, dann konzentrierte er sich jedoch wieder auf das Fliegen. Von der Seite aus betrachtete ich ihn für ein paar weitere Augenblicke.
Er sah müde und erschöpft aus, die dunklen Ringe unter seinen Augen waren nun viel deutlicher zu sehen, als die letzten Tage. Kein Wunder, wenn er die ganze Nacht durchgeflogen ist.

„Danke", sprach ich schließlich mit rauer Stimme und mein Blick schweifte zu meinen Bruder, der noch immer an mich gekuschelt auf seiner Seite des Sitzes schlief. Als ich mich versichert hatte, dass ich ihn nicht weckte, wenn ich mich bewegen würde, beugte ich mich etwas vor, um die Decke vom Boden aufheben zu können.

So wie es schien, hatte ich ein paar Stunden geschlafen. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass ich mich noch lange nachdem es dunkel geworden war, mit Liam unterhalten habe. Es waren belanglose Sachen gewesen, über die wir geredet haben. Er hatte mir eine Geschichte erzählt, die sehr der Ähnelte, die er mir damals in meiner Zeit als Auszubildende bereits unterbreitet hatte.
Doch irgendwie war es tröstlich und beruhigend zugleich seiner Stimme zu zuhören, die davon berichtete, dass auch er den mir nur so vertrauten Chaos im Alltag mit Geschwistern kannte.
Auch wenn es etwas ganz anderes war, dass er sich nur mit seinen älteren Schwestern darum gestritten hatte, wenn er für sie in ein Prinzessinnenkleid schlüpfen sollte.
Ich hörte in seiner Stimme einen Hauch von Wehmut, der mir zeigte, dass auch er des Öfteren an seine beiden Schwestern dachte. Er jedoch musste sich nicht um sie sorgen.
Denn sie lebten, irgendwo in einem schicken Apartment in einem hohen Sektor, sicher und zufrieden ihr Leben, während mein Bruder hier draußen im Skyland an meiner Seite sterben könnte und meine Schwester gefangen durch ihre Lähmung in einer nasskalten Wohnung ausharren musste.
Ich konnte nur jeden Tag aufs Neue beten, dass zumindest die nackte Glühbirne über dem Küchentisch noch immer funktionierte und Marcus sich an sein Wort halten würde.

Denn er hatte uns zwei Monate gegeben, bis er weitere Maßnahmen ergreifen würde.
Und was das für Maßnahmen sein würden, wusste ich nur zu gut.
Nach Sektor eins kam Sektor zwei.
Weitere Stromausfälle und erneute Tierangriffe würden sich die Klinke geben.

Ein Schauer überlief mich und automatisch musste ich mich schütteln.
Dann seufzte ich einmal und mein Blick fiel wieder auf das Cockpitfenster.
Die Sonne ging gerade auf und es schien, als würden wir direkt in ihre tieforangenen Ausläufe fliegen wollen.
Gesamte Landpartien verwandelten sich innerhalb von Sekunden in feuerrote Felder.
Während ich meinen eingeschlafenen Arm, gegen den Sam drückte, etwas anhob, und die Decke auf meinem Schoß ausbreitete, beobachtete ich weiterhin fasziniert, wie sich die Sonne Stück für Stück in den Himmel erhob.
Wie eine Königin, die ihr gesamtes Land erstrahlen ließ.

Die ersten Vögel kreuzten unsere Flugbahn und auch die Landschaft unter uns hatte sich seit unserem Start verändert.

Viele Städte haben wir bereits hinter uns gelassen und machten nun Platz für hügelige Landschaften, die in vielen verschiedenen Grüntönen aufleuchteten. Selbst kleinere Seen überflogen wir.

„Ich wünschte, wir könnten für immer hier bleiben", flüsterte ich leise, vergaß dabei aber ganz, dass ich durch das Headset mit den anderen auf einer Leitung geschaltet war.
„Und dann?", hackte deswegen Liam nach und warf mir einen weiteren Blick zu.
Ich zuckte mit den Schultern und versuchte einen größeren Vogel im Blick zu behalten, der sich vor uns mit kräftigen Flügelschlägen in der Luft hielt.
Er glitt durch die Lüfte, ließ sich von den Luftströmen tragen, als würde er sie selbst lenken können, so als wäre er der König der Welt.
Und vielleicht war er dies auch. In einer Welt, wo es keine menschliche Zivilisation mehr gab, lebte es sich wahrscheinlich einfacher als wildes Tier.

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