Sobald die Morgenröte am nächsten Morgen bereit ist, stechen wir wieder in See. Mit direktem Kurs zur Dunklen Insel. Ein mulmiges Gefühl hat sich in mir breitgemacht und damit scheine ich nicht allein zu sein. Die gesamte Mannschaft ist unruhig, was nicht einmal der schwache Schein des blauen Sterns am Himmel über uns lindern kann.
» Unten diesen Umständen werden wir vermutlich mindestens zwei Tage brauchen «, sagt Kapitän Drinian gerade. Er meint den Wind und die Strömung. Beides ist so gut wie nicht vorhanden.
» Es scheint als wolle etwas nicht, dass wir unser Ziel erreichen «, murmelt Reepicheep, der auf der Reling balanciert. Nachdenklich sehe ich zu der Insel – oder was auch immer es wirklich ist – am Horizont, deren Konturen sich dunkel und unheilvoll vom Blau des Himmels abheben. Selbst die Strahlen der Sonne scheinen dieses Schwarz nicht erhellen zu können. Es ist als würde sich sogar der große Feuerball von dieser Insel zurückziehen, einen Ort ohne jeglichen Hoffnungsschimmer schaffend. Trotz all diesem Bösen vor Augen regt sich eine leise Neugier, was wohl wirklich die Wurzel dieses Übels sein mag.
» Seht nur! «, ruft Lucy plötzlich aus und deutet ins Wasser, das sie schon eine ganze Weile fasziniert beobachtet hat. Sofort folge ich ihrem ausgestreckten Arm mit den Augen und entdecke eine grüne Landschaft unter der glitzernden Wasseroberfläche. Dort unten zieht ein Schwarm von dicken, silbrig schimmernden Fischen vorüber. Mit ihnen schwimmt ein Wesen, das einem Menschen ähnelt. Nur hat es statt der Beine eine schuppige Flosse. Es ist eine Meerjungfrau. Lucy, die in ihrer Zeit als Königin stets Freundschaften mit Najaden, Baumgeistern, Quellweibchen und Meerjungfrauen schloss, erzählte mir bereits viel von früher. Im goldenen Zeitalter lebten die Meermenschen in einer Grotte unweit von Feeneden. Das Schloss wurde auf einer Landzunge erbaut, an deren Flanken zwei Flüsse ins Meer münden. Einst zerstören die Telmarer dieses Bauwerk, doch nun wurde es wieder errichtet. So wie Aslan es Kaspian bei seiner Krönung vor drei Jahren aufgetragen hat.
» Milady «, Reep räuspert sich kurz,
» Würdet Ihr uns die Ehre erweisen und dem heutigen Training beiwohnen? «. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und ich muss mir – ob des künstlich gehobenen Umgangstons der großen Maus – auf die Zunge beißen, um nicht zu lachen. Mir ist natürlich klar, dass mein kleiner Freund scherzt und mich sonst nicht mehr so förmlich anspricht. Mittlerweile haben wir zusammen so viel erlebt, dass das einfach nicht mehr passen würde.
» Aber mit dem größten Vergnügen, edle Maus «, erwidere ich und folge ihm und Eustachius auf das Vorderdeck.
Am Morgen des dritten Tages ist es schließlich soweit: Drinian ruft zur Vorbereitung, denn die Dunkle Insel liegt nun vor uns und der hoch aufragende Drachenkopf der Morgenröte hält entschlossen darauf zu. Aus der Nähe wirkt die Insel nicht wie eine Insel, sondern vielmehr wie ein Turm aus schwarzem Nebel, der mit seinen eisigen Fingern nach uns greift. Es erfasst mich keine Furcht, nein, ein anders Gefühl, das weit über jegliche Angst hinausgeht. Ungewissheit, Unruhe, einfach alles auf einmal. Lucy und ich sind in unserer Kajüte. Während die Königin gerade ihren Dolch an ihrem Gürtel befestigt, lege ich meinen ledernen Brustpanzer an. Das Schwert an der Seite und Köcher und Bogen geschultert, es scheint als würden wir uns auf einen Kampf vorbereiten. Da klopft es an der Tür und Edmund und Kaspian treten ein. Auch die beiden Könige sind gepanzert und bewaffnet.
» Seid ihr bereit? «, fragt Kaspian und mustert uns kurz. Seine Sachlichkeit versetzt mir einen Stich. Auf der Fahrt von der Insel des Sterns bis hierher haben wir kaum miteinander gesprochen. Ich weiß, im Grunde ist es meine Schuld. Ich war diejenige, die ihn in gewisser Weise zurückgewiesen hat. Ich allein. Einerseits bereue ich es, andererseits wieder nicht. Ich muntere mich damit auf, dass jetzt nicht wirklich Zeit für die Liebe ist.
» Ja «, antwortet Lucy schlicht. Ihre Stimme wirkt kontrolliert und zittert kein bisschen. Ich bewundere Lucy für ihren Mut und ich bin ihr dankbar für ihre Freundschaft. Wir verstehen uns ohne Worte, manchmal reicht ein einiger Blick aus. So auch jetzt. Sie sieht mich an, lächelt leicht und folgt ihrem Bruder nach draußen. Kaspian tritt auf die Tür zu, dann bleibt er noch einmal stehen und dreht sich um. Er scheint nach den passenden Worten zu suchen und es dauert eine Weile bis er sie gefunden hat.
» Ich kann das nicht länger «, sagt er,
» Ich kann nicht neben dir her leben und nur über irgendwelche Belanglosigkeiten sprechen, das habe ich viel zu lange getan. Ich kann dich nicht einmal ansehen, ohne mich nicht nach dir zu sehnen. Ich... «, er bricht ab und kommt einige Schritte auf mich zu,
» Ich weiß nicht, was uns in diesem Nebel erwartet und deshalb möchte ich, dass wenigstens zwischen uns Klarheit herrscht. Ich weiß, dass ich dir Zeit geben sollte, doch was, wenn wir diese Zeit nicht mehr haben? «. Seine Augen suchen die meinen als wären sie der letzte rettende Ring. Mein Herz klopft mit jedem seiner Worte schneller. Hätte es eine Stimme, würde es mich anschreien, dass ich endlich auf ihn zu gehen soll. Diesmal ist mein Verstand still. Langsam setze ich mich in Bewegung, ohne den Blick auch nur eine Sekunde lang on ihm abzuwenden. Kaspian sieht mir entgegen und streckt zaghaft die Hände nach mir aus. Ich tue es ihm gleich und unsere Finger verschränken sich ineinander. Das wohlbekannte Kribbeln breitet sich in mir aus und mein Herz schlägt Purzelbäume. Lange sehen wir uns einfach nur an und halten uns an den Händen. Dann schlingt Kaspian plötzlich seine Arme um meine Taille, zieht mich fest zu sich heran und legt seine Lippen auf meine. Ich lasse es geschehen und schließe die Augen.
» Luna, ich liebe dich «, flüstert er als wir uns atemlos voneinander lösen. Wieder sehen wir uns tief in die Augen. Meine Hände wandern über seine starken Arme zu seinen Schultern und schließlich zu seinen Wangen.
» Ich liebe dich auch, mehr als alles andere auf dieser Welt «, hauche ich und verschließe unsere Lippen erneut.
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Die Reise des Löwen | Eine narnianische Geschichte
Fanfiction"An deiner Seite bin ich immer bereit." Lunas Reise über Narnias Grenzen hinaus führt sie nicht nur zum äußersten Osten; sie findet eine Bestimmung, die über ihre Aufgabe, den König zu schützen, hinausgeht. März 2022: 3. Platz in FanFiction (The Bor...