Stern

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WENIG SPÄTER BETRETE ich den Thronsaal durch eine Seitentür und mische mich möglichst unauffällig unter die Menge

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WENIG SPÄTER BETRETE ich den Thronsaal durch eine Seitentür und mische mich möglichst unauffällig unter die Menge. Wie Kaspian gefordert hat, trage ich ein Kleid. Es ist in einem schlichten dunkelblau gehalten, besitzt schwarze Ornamente und Stoffeinsätze und enganliegende Ärmel. Obwohl Rhea beinah einen Aufstand gemacht hätte und den gesamten Weg hier herunter noch leise neben mir gezetert hat, befindet sich mein Dolch an der Seite eines Schwarzen Gürtels, der das Kleid so ästhetisch wie möglich ergänzt. Auf das Langschwert musste ich wohl oder übel verzichten, denn so etwas berührt eine Dame am Hof nicht einmal. Sollte Kaspian außerdem tatsächlich unsere Verlobung verkünden – bei diesem Gedanken schlägt mein Herz augenblicklich höher – ist es ratsam, einer Frau angemessen aufzutreten und nicht wie die ungezähmte, kämpferische Heerführerin, die ich einmal war. Ja, immer wieder führe ich mir vor Augen, dass diese Zeit der Vergangenheit angehört. Die Reise auf der Morgenröte hat mich deutlich verändert. Einerseits bin ich ruhiger geworden, besonnener und geselliger. Nicht, dass ich früher ungesellig war, ganz im Gegenteil, aber ich habe nie an so etwas wie Liebe gedacht. Und jetzt sieh einer an. Andererseits hat sich meine eher misstrauisch veranlagte Natur in vielerlei Hinsicht verstärkt und nicht nur das, ich diskutiere nach wie vor nicht über Gut oder Böse. Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, was eine rechte und was eine schlechte Tat ist. Gerechtigkeit heißt für mich nicht nur Bestrafung, aber doch muss stets ein Urteil gefällt werden. Allerdings habe ich auch kein Problem damit, die Täter von schweren Verbrechen beim kleinsten Anzeichen eines Fluchtversuchs, Angriffs oder erneuter Tat zu verletzen oder sogar zu töten. Kaspian sieht all das anders. Natürlich, er als König muss eine diplomatische Meinung und ein friedvolles Bild vertreten und das kann er nur, wenn er auch davon überzeugt ist. Unter seinem Befehl laufen die Dinge logischerweise anders ab, als unter dem meinen. Wie dem auch sei, jetzt geht es um etwas Anderes. Ich sollte mir einmal überlegen, wie ich mich verhalte, wenn Kaspian tut, was er zu tun gedenkt. Was wird von mir erwartet? Muss ich etwas sagen? Und...bin ich überhaupt bereit dafür?


Ich komme nicht dazu, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, denn das Gemurmel der Anwesenden Lords und Ladies erstirbt. Kaspian betritt den Thronsaal durch die hohe Flügeltür am einen Ende und durchquert ihn. Lächelnd und nickend begrüßt er verschiedenste Leute, während seine Augen suchend über die Gesichter huschen. Jared und Trumpkin flankieren den König und begleiten ihn bis zum Treppenabsatz, dort gliedern sie sich in die Reihe der Ratsmitglieder ein, die ganz vorne Posten bezogen haben. Währenddessen steigt Kaspian die drei niedrigen Stufen empor und wendet sich der Menge zu.

» Geschätzte Lords und Ladies, verehrte Gäste «, beginnt er und die letzten Gespräche verstummen,

» In Anbetracht der gestrigen Vorfälle bin ich Euch eine Erklärung schuldig «. Sein routiniertes Lächeln verblasst und er legt aus Gewohnheit eine Hand auf den Knauf seines Schwertes. Einige der Anwesenden nicken bekräftigend, andere stecken tuschelnd die Köpfe zusammen.

» Uns erreichte die Nachricht, dass ein Anschlag geplant ist und an diesem Abend ausgeführt werden sollte «, ein empörter Aufschrei geht durch die Reihen und mehrere Lords verlangen die Namen der Täter und den genauen Hergang zu erfahren. Kaspian schluckt, ich erkenne seine Anspannung deutlich.

Die Reise des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt